Ein herbstliches Wochenende im Harmersbachtal

Im weitläufigen Harmersbachtal geht’s über Berg und Tal und vom Vesper zum Fine Dining. Die schönsten Sehenswürdigkeiten

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Das Harmersbachtal sorgt bei Ortsfremden für Verwirrung. Bekanntlich gibt es Zell am Harmersbach, Unter- und Oberentersbach, das Hambachtal (im Dialekt Hambe/Hombe genannt) sowie Unterharmersbach. Das alles gehört zu Zell, nur Oberharmersbach nicht. Also ist man für ein Wochenende im Harmersbachtal fast nur in Zell. Aber begonnen wird’s in Biberach! 

Schlemmen rund um Zell am Harmersbach

Freitag, 16:00 Uhr. Dort hat Manfred Bässler seinen schmucken Radladen. Da er vor lauter Schafferei nicht auf den Radsattel kommt, hat er nur einen Tipp: „Am Wald entlang Richtung Zell.“ Mein Ziel ist klar, ich fahr in eines der schönsten Dörfer der Ortenau, nach Unterentersbach. Am Bächle stehen Brennhiesle und Brothäuschen, zu den Häusern führen schmale Brücken. Die Vorgärten sind prächtig, einen Schnapsbrenner hat es auch. Wo die Kürbisse fast über den Zaun wachsen, fahr’ ich ums Eck und steuere aufs Landhotel Pflug zu. Dieses Hotel hat die Zeichen der Zeit verstanden, aber halt die Vergangenheit nicht vergessen. Vom Balkon bestaune ich das unverbaute Dorfglück mit seinen Wiesen, mit Gärten und Streuobst.

Freitag, 18:00 Uhr. Da ich schon eine verdammt lange Strecke (drei Kilometer!) gestrampelt bin, freue ich mich riesig auf das Biertasting im Biereckle. Bierbrauer Andy Alst mag Abwechslung. Das war mit ein Grund, als Bierbrauer in einer großen Brauerei aufzuhören und es eine Nummer kleiner zu machen. „Münchner Helles läuft am besten“, sagt er und hält mir ein Glas „Hell from Zell“ hin. Süffig! Wir probieren auch noch ein Bier mit Bananenaromen und ein IPA mit dem „Da kannst du dich reinlegen“-Faktor. „Weintrinker und Frauen sind die besten Biertrinker“, verrät er noch. „Die lassen sich auf Neues ein!“

Freitag, 19:30 Uhr. Auch Waltraud Bitsch, die Wirtin vom Land-
hotel Pflug, lässt sich gemeinsam mit ihrem Mann (er kocht) auf Neues ein. Dem Pflug sieht man noch seine alte Geschichte an, aber er wurde neu aufgestellt. Mit dem Holz aus einem alten Dachstuhl wurden die Zimmer neu gemacht. Charmant! Beim Abendessen in der angenehm klar eingerichteten Gaststube entscheide ich mich für eine solide badische Flädlesuppe (kräftig, so muss sie sein!) und einen zarten Sauerbraten vom Reh mit einem sehr leckeren Sößchen und einem Schuss sauer. Der badische Rote passt prima. Die Desserts laufen unter „Hausgemachte Sünden“. Zum Eisgugelhupf kann ich nicht nein sagen. Wie im Elsass, Chapeau! Und auch die Weinkarte ist exzellent, denn sie bietet ein tolles Best-of von badischen Weinen. Das Frühstück am nächsten Morgen hat die gleiche Klasse. Regional ist super!

Zell am Harmersbach: Sehenswürdigkeiten und Tipps!

Samstag, 10:00 Uhr. Endlich in Zell! Zweimal brannte die Stadt ab (1899, 1904) und das erklärt, warum hier so viele Jugendstil-Gebäude stehen. Die Reste der Stadtmauer als Ganzes oder verbaut in Gebäuden sowie der Bach geben dem Städtchen einen romantischen Touch. Auf meinem Spaziergang entdecke ich den zufällig geöffneten Rundofen, wo gerade eine Ausstellung installiert wird. Der
16 Meter hohe Ofen lief 100 Jahre heiß (bis 1942), um Keramik zu brennen. Damit es den Ofen bei 1500 Grad Hitze nicht sprengte, wurden eiserne Ringe um ihn gelegt (siehe Seite 44). Für diese Hitze wurde Holz ohne Ende gebraucht und der Schwarzwald kahl geschlagen. Die Rettung kam aus dem Saarland: Kohle!  

Das „Heute Städtle Markt“-Schild macht mich neugierig. Der Markt auf dem Kanzleiplatz ist überschaubar, doch wie heißt es so schön: klein, aber fein. Bratwurstgriller und Metzger Berthold Damm preist gleich noch seine Käseknacker an. Gegenüber steht ein Wagen mit Wurst aus der eigenen Hofschlachtung, daneben einer mit Käse, dann ein Stand mit Demeter-Gemüse, ein anderer mit Blumen. Ob die Marktbrezel die beste ist, muss aber noch geklärt werden, denn die Konkurrenz ist hart, wie ich beim Bummeln feststelle. Bei Kneisler schaue ich noch rein. Pflicht. Dieses kleine Familienunternehmen (Frau im Laden, Mann in der Werkstatt) schärft und produziert Messer. Diese sind aber nicht für die Vitrine gedacht, sondern für Anwender wie Waldbesitzer, die mit dem Holzreißer ihre Hölzer markieren, oder für Wanderer. Sogar aus Israel kommen Bestellungen: „Mein Opa hatte so ein Messer.“ Schräg gegenüber liegt der Trachten Shop. Hier könnte ich mich verschwarzwäldern? Falsch gedacht: Lederhosen- und Dirndlalarm! „Im Umkreis von vier Kilometern finden Sie acht verschiedene Trachten“, erklärt die Chefin. Aus Gründen der Vielfalt gibt es darum keine verbindliche Schwarzwaldtracht. Daher also bayrisch.

Samstag, 14:00 Uhr. Auf geht’s zum Hahn-und-Henne-Premiumwanderweg. Die Strecke beginnt in Unterentersbach (da kann man hinradeln) und führt mich erst mal viele, viele Höhenmeter hoch. Durch viele schöne Wälder und an grandiosen Aussichtspunkten vorbei, wo Wanderer fotografieren oder Eierlikör trinken. Dort, wo die allerprächtigste Aussicht ist, bleibe auch ich stehen.  Statt in Richtung Bratwurstabzweigung (sic!) laufe ich zum Höhengasthof Vogt auf Mühlstein. Mit wunderbarer Aussicht auf die Berge. Auf dem Mühlstein residierte in alter Zeit ein Vogt, bei dem die Nachbarn ihre Sachen besprechen konnten. Natürlich wurden beim Palavern die Kehlen staubtrocken. Die Dürre wurde bekämpft und schon dachte einer: „Warum machsch ned ä Wirtschaft?“ So oder so ähnlich soll’s der schreibende Pfarrer und Casanova Heinrich Hansjakob (1837–1916) zum Vogt gesagt haben, damit er auch noch ebbs verdient. Seitdem ist der Vogt auch ein Wirt und wartet auf Mühlstein auf Gäste, die zahlreich kommen wegen der Kartoffelsuppe, wegen des Kuchens, neuerdings wegen Schnitzel und Rumpsteak. Heute riecht es schwer nach Bratkartoffeln. Auch wenn’s mich juckt, wähle ich einen Käsekuchen. Fast könnte man von einem Wunder sprechen, denn die Wirtschaft ist noch wie anno Tobak. Altes Holz und Herrgottswinkel, alte Fotos und noch ältere Bilder von ernsten Herrschaften, den Vorgängern des jetzigen Wirts, machen die Rast zur Zeitreise. 

Samstag 19:00 Uhr. Richtig schnabuliert wird dann aber in der Pizzeria Piazza in Zell bei einer Pizza mit Spanferkel und Pfifferlingen. Hat sich hier ein Italiener verschwarzwäldert? „Nein. das ist eine italienische Spezialität“, ruft der Chef aus der Küche.

Sonntag, 10:00 Uhr. Jetzt mache ich das, was mir der Mann vom Radladen geraten hat. Ich fahre am Waldrand nach Zell, um mir das Museum im Storchenturm anzuschauen.  Der ehemalige Turm der Stadtbefestigung und das alte Gebäude sind total verschachtelt, stellenweise enorm verstaubt. Die Bretter ächzen bei jedem Schritt, wie ehemals die verdammten Seelen, die dort im Turmgefängnis  schmorten. Das Henkerschwert steht woanders, aber es gibt noch die Hellebarden des Nachtwächters, Schmiede, Tischlerei und andere Werkstätten mit Werkzeug, den Basler Totentanz, Puppen und Figuren, dazu Urkunden und andere Dokumente  sowie Fotografien und Bilder. Wer war der Mann, dessen Bild am Schreibtisch hängt? Das neue Gebäude ist bestückt mit der Keramikgeschichte der Stadt: Teller, Tassen, Schüsseln, Vasen. Hübsche Kuckucksuhren hat’s auch. Was schlägt die Uhr? Mittagessen! Mein Platz ist im Bräukeller reserviert, wo ein ganz versierter Koch das Zepter führt. Wie es dort war, lest Ihr im Restauranttest!

Zell am Harmersbach

Zell am Harmersbach (8200 Ew.) gehörte zu den wenigen eigenständigen Flecken des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Hier schöpfte kein Fürst oder Bischof den Rahm ab. Darum wurde Habsburg verehrt. Die seit 1804 badische Stadt wurde überregional als Keramikstadt (Rundofen) bekannt. Das typische Hahn-und-Henne-Geschirr war sogar schon in Hollywood-Filmen zu sehen.  

#heimat Schwarzwald Ausgabe 41 (6/2023)

Draußen herrscht Schmuddelwetter, drinnen herbstliche Gemütlichkeit. Was da nicht fehlen darf? Der richtige Lesestoff! Das sechste #heimat-Magazin des Jahres kommt also wie gerufen! In der letzten Ausgabe für 2023 liefern wir Euch jede Menge Wohlfühl-Themen, darunter die schönsten Weihnachtsmärkte, leckere Glühwein- und Plätzchenrezepte, Schwarzwald-Curling, Weihnachtsbäume mit flauschiger Überraschung und vieles mehr. Außerdem haben wir wieder mit interessanten Schwarzwälder Charakteren gesprochen, darunter auch ein waschechter Promi: Fritz Keller! Reinlesen lohnt sich!

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