Pascal on Ice

Grips, Geschick und Kraft – Curling Multitasking pur! Unser Autor Pascal hat sich auf die Eisfläche getraut…

Text: Pascal Cames · Fotos: Michael Bode

Curling? Wow! Das war  mein Traumsport als Kind. Aber ich habe es nie gespielt.  Während ich in der Schwenninger Eishalle Pokale und Medaillen bestaune, wächst die Lust auf das Spiel, das dort populär ist, wo der Schneesturm tobt. Auch in Schwenningen ist es saukalt. Der Blick durchs Fenster zeigt aber was anderes: Leute in Shorts. Draußen ist es noch warm, aber nicht in der Eissporthalle des Curling Club Schwenningen. Hier hat’s fünf Grad! „Manche kommen hier trotzdem ins Schwitzen“, lacht Sebastian Schweizer. „Die spielen auch im T-Shirt.“ 

Kraft, Übung, Eleganz

Sebastian, 43, war als Nationalspieler (Junior, Mixed) in Japan, Schottland, Kanada, Las Vegas und anderswo in den USA. „Man kommt herum“, sagt er bescheiden und fügt hinzu: „National ist es leicht, aber wir müssen uns international orientieren. Davon leitet sich der Aufwand (im Training) ab.“ Da es in Deutschland keine 1000 Spieler hat, rechne auch ich mir eine Chance als Nationalspieler aus. Bin ja im besten Alter. Sebastians Mutter Gerlinde fing mit
60 Jahren an. Ich bin vier Jahre jünger. Jetzt ist sie 76 und bewegt sich wie eine Elfe auf dem Eis. Ich hab’s gesehen. 

Die Technik erscheint mir kinderleicht. Mit dem einen Bein in die Knie gehen, das andere ausgestreckt, so nach vorne gleiten und den Stein an einem Henkel halten und loslassen. Mit Gefühl, aber wohl auch mit Kraft. Schaut aus wie Kate Winslet am Schiffsbug. So ungefähr will ich es auch machen. 

Auch die Spielregeln sind pipi. Die eigenen Steine müssen in einem markierten Kreis am anderen Ende der Spielbahn platziert werden. Das Hindernis sind die Steine der Mitspieler und die Power, die es braucht, um den 20 Kilo schweren Stein 40 Meter weiter zu bewegen. Das kostet Kraft! Da Curling in Schottland erfunden wurde, sind die Fachbegriffe auf Englisch. Das Spielfeld heißt Sheet, die Eisdecke Ice Sheet, die an Teekessel erinnernden Granitsteine Rocks oder Loofies. Das ist sehr geschickt, denn damit ist das Spiel von Haus aus schon international. Meine Mitspieler sind alle schon seit Urzeiten dabei, Bernd Weiser sogar schon bei der Vereinsgründung 1968. 

Es war ein Unternehmer, der Curling in der Schweiz kennenlernte und in Schwenningen installierte. Mittlerweile führt dessen Tochter den Verein. Die wenigen Spieler sind fast wie eine Familie. Das Spielfeld ist durch blaue und rote Linien markiert. An beiden Enden des etwa 45 Meter langen Felds (exakt: 150 Feet) sind Kreise markiert. Da es davon zwei hat, lässt sich das Spiel immer von da spielen, wo die Steine liegen. Die Punkte werden in den Kreisen gemacht. Jede der beiden Mannschaft versucht, dort ihre Steine zu legen. Wenn’s geht, ganz in der Mitte. Liegen beispielsweise drei eigene Steine im mittleren Ring, dann sind das drei Punkte. Aber wenn nur ein gegnerischer Stein dazwischen liegt, gibt es keine volle Punktzahl. Hier sind die Regeln ähnlich wie beim Boule. Aber das Spiel wird „Schach auf dem Eis“ genannt. 

Schach auf dem Eis

Wer seine Steine gleich in der Mitte platziert – geübte Spieler können das  – ist selber Schuld. Garantiert wird dieser Rock vom Gegner entfernt. In der Fachsprache heißt das Take out. Darum beginnt ein Spiel typischerweise so: Zuerst wird ein Wächterstein (Guard) vor den äußeren, blauen Kreis gelegt. Schön fies, gell, aber effektiv.  Da sich aber von Spieler zu Spieler die Eisfläche mit Rocks füllt, schaut’s bald unübersichtlich aus. Wer liegt näher? Was liegt wo und wem im Weg? Aufräumen ist dann angesagt. Am besten mit Kettenreaktionen, um gegnerische Steine wegzuschieben und im Idealfall noch (s)einen  Rock in die bessere Position zu bugsieren. Eis, blockieren, anstoßen … Hey, alles klar, McFly? Wie so oft, habe ich es im Prinzip kapiert – und darf eine Runde mitspielen. 

Das Gewicht des Steins habe ich unterschätzt. Das 20 Kilo schwere Trumm stammt aus Schottland, wurde mit einem Laser bearbeitet und ist unendlich glatt. Auf der Unterseite hebt sich ein dünner Ring ab. Nur auf dieser winzigen Fläche gleitet der Stein über das Eis. Meine Aufgabe ist es, den ersten Stein so zu platzieren, dass er als Guard das Feld abriegelt. Den ersten Stein schiebt man zu schwach, den zweiten zu stark, weiß Sebastian aus Erfahrung. Genauso ist es. Der eine verhungert, der andere schwebt zu weit. Aber einmal gelingt es mir, ihn wirklich gut zu platzieren. Eine felsenfeste Blockade. Ein Bollwerk. Wir reden hier nicht von Perfektion. Für die Beinarbeit interessieren wir uns nicht, meint Sebastian, denn bei mir geht es noch nicht um Schönheit. Besser so. Meine nächste Aufgabe lautet Wischen. 

Curling ist nicht nur dahingehend ein Mannschaftssport, dass vier Spieler acht Steine setzen, sondern dass derjenige, der einen Stein setzt, von seinen Mitspielern unterstützt wird, damit der Stein besser ans Ziel kommt. Wie sagte schon Goethe: Besen. Besen. Seids gewesen. Ohne Besen (engl. Pets) geht’s definitiv nicht. Mit den Pets wird das Eis vor dem angleitenden Stein gewischt. Durch die Reibung entsteht Hitze, durch die Hitze Wasser. Auf dem Wasserfilm läuft der Stein besser. Vier bis fünf Meter extra lassen sich so herausschinden. Das macht man, wenn der Stein in die gewünschte Richtung rutscht, aber noch ä bissl Bumms braucht, um einen anderen Stein zu touchieren, oder er vor dem Ziel verhungern würde. Das Wischen funktioniert bei mir wie aus dem Lehrbuch, aber dann holt mich das Geschrei „Achtung, Steine!“ aus meinem Film. Ich bin so vertieft in mein Ding, dass ich beim Rückwärtslaufen über die bereits gelegten Rocks stolpere. Zum Glück nix passiert. 

Mit dem Eis ist es so eine Sache, klärt mich Sebastian auf.  Bei hoher Luftfeuchtigkeit am Spieltag gleitet der Stein anders als beim Training, wenn die Halle menschenleer ist und die Luft trocken.  Vielleicht sind’s nur Nuancen. Aber die Profis rechnen das ein.

Das Abstoßen ist aber eine Nummer schwieriger. Ich beobachte Nationalspielerin Fiona Wunderlich: Sie nimmt Anlauf, geht mit dem einen Bein in die Knie und streckt das andere Bein nach hinten aus. Mit der einen Hand hält sie ihren Pet (um sich abzustützen), mit der anderen packt sie den Stein am Henkel und schwebt so nach vorne. Im entscheidenden Moment gibt sie dem Stein noch einen feinen Stoß mit, erst dann lässt sie los. Das ist das Geheimnis der ganzen Sache. Jetzt kommt’s! Das Spielgerät dreht sich um die eigene Achse und gleitet nach vorne, aber nicht gerade, sondern in einer großen, eleganten, weiten Kurve. Daher der Name Curling, der auch Locke bedeutet. Jetzt fällt der Groschen! Es geht nicht nur darum, den Stein zu setzen, andere wegzubugsieren, sondern auch, elegant einen Bogen um den Schlamassel zu machen. Das wäre schön, wenn man das im richtigen Leben beherrschen würde, oder? 

Am Ende einen Drink. Cheers!

Ich stehe und staune, wie das klappt oder auch nicht. Denn es klappt (noch) nicht. Einmal gibt Sebastian meinem Stein einen Tritt, damit er doch noch einigermaßen ins Ziel kommt und nicht bis ins Villinger Rathaus rutscht. Die Gentlemen-Mitspieler haben’s nicht gesehen, aber ich. Natürlich ist das in einem Spiel verboten. 

Der vielgerühmte „Spirit of Curling“ geht so weit, dass ein Spieler, der zufällig einen Stein berührt, das von sich aus meldet. Welcher Fußballer wäre so ehrlich, ein Handspiel zuzugeben? Der Sieger muss dem Verlierer auch immer einen Drink spendieren. Da robustere Winter rar sind und Schwenningen weit entfernt ist, bleibe ich wohl beim Boule. Allerdings sollte das mit dem Drink eingeführt werden. Cheers! 

Curling

Weltweit gibt es über 80 Mitgliedsverbände, sogar dort, wo es keinen Winter gibt wie in Jamaika, Katar oder Brasilien. Erfunden wurde Curling in Schottland, heute noch eine Hochburg mit 15 000 Spielern. Die andere ist Kanada mit 800 000 Spielern. Seit 1924 ist Curling olympisch. In der Schweiz gibt es 8000 Spieler, in Deutschland nur 800. Trotzdem wurden Deutschlands Männer sechsmal Europameister und die Frauen zweimal Weltmeister.  

#heimat Schwarzwald Ausgabe 41 (6/2023)

Draußen herrscht Schmuddelwetter, drinnen herbstliche Gemütlichkeit. Was da nicht fehlen darf? Der richtige Lesestoff! Das sechste #heimat-Magazin des Jahres kommt also wie gerufen! In der letzten Ausgabe für 2023 liefern wir Euch jede Menge Wohlfühl-Themen, darunter die schönsten Weihnachtsmärkte, leckere Glühwein- und Plätzchenrezepte, Schwarzwald-Curling, Weihnachtsbäume mit flauschiger Überraschung und vieles mehr. Außerdem haben wir wieder mit interessanten Schwarzwälder Charakteren gesprochen, darunter auch ein waschechter Promi: Fritz Keller! Reinlesen lohnt sich!

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