Mon dieu, wie schön!

Europas schönste Weihnachtsmärkte sind gleich um die Ecke: In Gengenbach und in der Capital de Noel: Strasbourg!

Text: Annika Schubert · Fotos: Dimitri Dell

Vergangenes Jahr in der Adventszeit. Reinhard End steht im Auge des weihnachtlichen Orkans. Hunderte Touristen strömen sternförmig auf das Gengenbacher Rathaus zu. An diesem Abend wird das 22. Fenster des Gengenbacher Adventskalenders geöffnet. Reinhard End, einer der Mitbegründer des weltweit bekannten Kalenders, hat es sich in einer Hütte mit direktem Blick auf das Rathaus bequem gemacht. Grüne Tannenzweige, Christbaumkugeln und schimmernde Lichterketten zieren den Fensterrahmen seines Stands. Draußen liegt süßer Waffelduft in der Luft, muntere Weihnachtsmusik dudelt im Hintergrund. Die vielen Lampen, Kerzen und Fackeln tauchen das Altstädtchen mit seinen Fachwerkhäusern und Stadtmauern in wohliges, gemütliches Licht. Das berühmte Städtle ist ja eigentlich das ganze Jahr über schön. In diesen Adventstagen aber noch ein bisschen schöner …

Der Gengenbacher Adventskalender 

Vom Kirchturm läutet es 18 Uhr. Der Tontechniker neben End gibt ein Zeichen, schiebt einen Hebel hoch. Das Mikro blinkt jetzt rot. „Seien Sie herzlich willkommen im wunderschönen Gengenbach. Unser Spezialgast für den diesjährigen Adventskalender ist – der Kleine Prinz“, begrüßt Reinhard End Einheimische und Touristen, die für das weihnachtliche Spektakel aus der ganzen Welt angereist sind. Ein vorfreudiges Raunen geht durch die Menge, die Köpfe recken sich nach oben. In einer Ecke des Rathauses bewegt sich etwas: Der Stoffvorhang vor dem 22.  Fenster wird langsam nach oben gezogen. Die Menge applaudiert, ein paar Sekunden später leuchtet ein Bildmotiv über den Platz: eine Illustration aus der Erzählung „Der Kleine Prinz“ des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry. 

Wie viel Zeit es brauchte, um diesen Moment möglich zu machen, weiß Reinhard End nur zu gut. Seit der ersten Ausgabe des Adventskalenders im Jahr 1996 ist der heute pensionierte Gymnasiallehrer mit dabei und als künstlerischer Leiter des Gengenbacher Museums Haus Löwenberg zuständig für die Bildmotive des Kalenders. „Die Künstler, die wir für die Adventskalenderfenster hier in Gengenbach einsetzen, sind Weltstars“, sagt er stolz. Werke von namhaften Künstlern wie Marc Chagall, Andy Warhol oder Tomi Ungerer haben in der Vergangenheit bereits den Adventskalender geziert. Um das möglich zu machen, agierte Reinhard End immer als Strippenzieher im Hintergrund. „In der Regel dauert es Jahre, bis das Einverständnis der Künstler oder ihrer Erbvertreter für die Verwendung ihrer Kunstwerke erreicht wird – die Vorgänge sind komplex und brauchen Verhandlungsgeschick“, sagt der Gengenbacher. Doch der Macher hatte stets Spaß an dieser Herausforderung und hat als künstlerischer Leiter viele Highlights miterlebt. 

Zum Beispiel das Treffen mit dem elsässischen Zeichner, Autor und Illustrator Tomi Ungerer im Gasthof Spielweg im Münstertal. Dort fachsimpelten beide, wie Ungerers Werke im Gengenbacher Adventskalender am besten zur Geltung kommen könnten. Auch die Korrespondenz mit den Erben von Andy Warhol in Amerika war etwas Besonderes. Bei ihnen galt es vor allem, eine Sensibilität für die doch sehr deutschen Themen Weihnachtsmarkt, Adventskalender und Schwarzwald entstehen zu lassen – „interkulturelle Kommunikation in gewisser Weise“, sagt End augenzwinkernd. Auch sie konnte er überzeugen, Werke von Warhol für den Gengenbacher Adventskalender zur Verfügung zu stellen.

Lohnenswert ist ein Besuch in Gengenbach aber nicht nur Ende Dezember, wenn die Mehrzahl der Adventskalenderfenster geöffnet ist. Auch schon Anfang des Monats hat die Stadt einiges für Besucher zu bieten. „Man muss wissen, das Museum Haus Löwenberg und der Adventskalender funktionieren wie siamesische Zwillinge. Der eine kann nicht ohne den anderen. Im Museum gibt’s deshalb im Dezember eine Begleitausstellung zum Kalender“, sagt End, „und außerdem haben wir einen wunderbaren Weihnachtsmarkt mit Unikaten von unzähligen lokalen Produzenten.“ 

Eine Schublade voller Ideen

Am Rathaus sind an diesem Abend nun 22 Fenster geöffnet und die Besucher haben sich nach dem Öffnungsritual wieder über den Platz verteilt. Schlendern von Stand zu Stand, kosten Liköre und Flammkuchen-Variationen. Schließlich hat sich der Weihnachtsmarkt seinen guten Ruf längst nicht mehr nur wegen des Adventskalenders verdient. Zufrieden blickt End hoch zum Rathaus. An diesem Abend bleiben noch zwei Fenster verschlossen – wenn sie geöffnet sind, ist Weihnachten und die Ausgabe des Adventskalenders 2022 beendet. „Aber nach dem Kalender ist auch vor dem Kalender. Für die nächsten Jahre habe ich noch einige Ideen in der Schublade“, sagt der Organisator freudig und verschwindet mit einem verheißungsvollen Blick in die adventliche Lichterkulisse der Gengenbacher Winternacht. 

 

Ortenau und Elsass im Weihnachtsgewand

In der Ortenau wird die Weihnachtszeit eingeläutet und auch 30 Kilometer nordwestlich, auf der anderen Rheinseite, macht sich die elsässische Hauptstadt Straßburg weihnachtsfein. Die Tradition währt schon eine halbe Ewigkeit. Warum nicht badische und elsässische Weihnachten zusammenbringen? Das wäre für Touristen, aber auch für Einheimische ein großes Vergnügen. So wurde 2021 von der Tourismusabteilung des Landratsamtes Ortenaukreis gemeinsam mit der Stadt Straßburg (Ville et Eurométro-pole de Strasbourg) eine grenzüberschreitende Weihnachtskampagne ins Leben gerufen. Die Weihnachthauptstadt und der Ortenaukreis treten auf einer Website und teils in den sozialen Medien gemeinsam auf. „Mit den zahlreichen Weihnachtsmärkten, die links und rechts des Rheins stattfinden, haben wir ein gemeinsames kulturell und traditionell wertvolles Erbe vor der Haustür. Dort lassen sich viele Facetten der Adventszeit entdecken und es lohnt sich auch, das Angebot unserer Partner auf der anderen Rheinseite kennenzulernen“, sagt Sandra Bequier, Tourismusbeauftragte des Ortenaukreises. 

Und zu entdecken gibt es vis-à-vis sehr viel! In Straßburg sind gleich elf Plätze für Verkaufsstände reserviert. Dort finden auch Konzerte und andere Veranstaltungen statt. „Besucher können in Straßburg Weihnachten erleben und gleichzeitig die wunderschöne Altstadt besichtigen“, erklärt Sebastian Saur und biegt auf den zentralen Kleber-Platz ein. Er ist Gästeführer im Elsass und studierter Historiker. Die Stadt Straßburg und ihre Geschichte kennt er wie seine Westentasche. 

Was es hier alles Besonderes gibt? Na, auf dem Kleber-Platz zum Beispiel zieht die 30 Meter hohe Tanne alle Blicke auf sich. „Die Tanne kommt traditionell aus den Vogesen. Jedes Jahr wird eine neue Dekoration für den Tannenbaum entworfen. Eröffnet ist der Weihnachtsmarkt übrigens erst dann, wenn bei einem offiziellen Eröffnungsritual Ende November der Baum zum Leuchten gebracht wird“, erklärt unser Guide und weist darauf hin, dass die Baumdeko in anderen Jahrhunderten natürlich nicht im Jahresturnus neu entworfen worden sei. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts seien es rote, an Schnüren aufgehängte Äpfel gewesen, die den Baum zierten. Nach einer miserablen Apfelernte habe ein Straßburger Glasbläser schließlich den Einfall gehabt, dass handgefertigte Glaskugeln eine hübsche Alternative darstellen könnten … 

Weiter geht’s entlang des Village du Partage auf dem Kleber-Platz, zu deutsch „Dorf des Teilens“, wo Hilfsorganisationen wie Greenpeace und Oxfam weihnachtliche Produkte verkaufen. Hier kann man seinen Glühwein bei den Pfadfindern trinken, der Erlös wird dann an gemeinnützige Projekte gespendet. Von jährlich insgesamt vier Millionen Touristen kommen zwei Millionen während des Weihnachtsmarktes nach Straßburg. 97 Prozent davon seien Franzosen, die nicht aus dem Elsass stammen: „Für die Franzosen aus dem Landesinneren ist die Weihnachtsmarktradition noch nicht geläufig. Es gibt zwar immer mehr Weihnachtsmärkte in ganz Frankreich, aber das Phänomen ist relativ neu. Die Märkte sind in gewisser Weise exotisch für die Franzosen.“ In den französischen Regionen hingegen, die an Deutschland angrenzen, hat sich die ursprünglich deutsche Tradition der Weihnachtsmärkte seit längerer Zeit etabliert – denn mal waren die Gebiete deutsch, mal französisch. So besteht der Straßburger „Christkindelsmärik“ zum Beispiel bereits seit dem Jahr 1570.

Vorbei an duftenden Glühweintöpfen und dampfenden Pfannen mit herzhaften Elsässer Spezialitäten führt Sebastian Saur weiter in das historische Stadtviertel Petite France und bringt auf dem Fußmarsch entlang der urigen Fachwerkhäuser sein Wissen zum Weihnachtsmarkt ein. „Die Stadt Straßburg hat in den vergangenen Jahren überlegt, wie der Markt, der lange Zeit sehr kommerziell war, wieder zu einem traditionsorientierten Markt mit lokalen Produkten entwickelt werden kann“, erzählt der Historiker. Der Markt sei deshalb seit vergangenem Jahr nicht mehr bis in den Januar geöffnet, sondern lediglich bis zum 24. Dezember. Durch die Rückbesinnung auf lokale Traditionen habe sich auch die Produktauswahl für die Zubereitung bestimmter Speisen verändert. So heißt die „Tartiflette“, nach französischem Rezept bestehend aus Kartoffeln, Zwiebeln, Speck und Reblochon-Käse aus der Region Haute-Savoie, nun „Munstiflette“ – zubereitet mit elsässischem Münsterkäse. Und statt Champagner, ursprünglich aus der Region Champagne stammend, wird das elsässische Pendant Crémant d’Alsace auf dem Straßburger Markt verkauft.  „Ganz ohne Polemik sind diese Entscheidungen natürlich nicht abgelaufen“, sagt unser Guide und grinst. 

Abseits der Touristen-Autobahnen

Aber jetzt weg vom Politischen. „Ich zeige euch einen Geheimtipp in der Petite France auf dem Grimmeissen-Platz, abseits der Touristenautobahnen: den Marché Off. Der ist eher ein Festival als ein Weihnachtsmarkt.“ Auf dem überschaubaren Platz stehen Bierbänke und ein Konzertzelt, die Hauswände um den Platz herum sind mit Graffiti bemalt. Seit 2016 präsentieren sich hier gemeinnützige, soziale und ökologische Organisationen aus dem Elsass, verkaufen lokale und nachhaltige Produkte. „Das Publikum ist ein ganz anderes als auf dem restlichen Weihnachtsmarkt, sehr viel entspannter“, merkt Sebastian an. Generell habe sich der Straßburger Weihnachtsmarkt durch die Ideen der Stadt in den vergangenen Jahren wieder zu einem Markt mit Seele entwickelt, meint der Guide. „Durch die Maßnahmen während der Pandemie sind die Plätze sehr luftig gestaltet, die Stimmung ist adventlich gemütlich – ich komme wirklich gerne her!“ Tausende andere von beiden Seiten des Rheins sehen es genauso und schnabulieren sich durch die Gassen und über die Plätze der selbsternannten Weihnachtshauptstadt. Wo gibt’s die besten Bredle? 

Straßburg in der Weihnachtszeit

Straßburg verwandelt sich vom 24. November bis zum 24. Dezember in eine Weihnachtsstadt. 2021 wurden zusammen mit einer Bürgerjury Maßnahmen entwickelt, um den Traditionsweihnachtsmarkt noch authentischer, solidarischer und ökologischer zu gestalten. Unter anderem sollen ab 2023 ein Angebot für Familien mit Kindern, lokales Handwerk und Weihnachtstraditionen im Mittelpunkt stehen. Infos unter www.noel.strasbourg.eu/de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 41 (6/2023)

Draußen herrscht Schmuddelwetter, drinnen herbstliche Gemütlichkeit. Was da nicht fehlen darf? Der richtige Lesestoff! Das sechste #heimat-Magazin des Jahres kommt also wie gerufen! In der letzten Ausgabe für 2023 liefern wir Euch jede Menge Wohlfühl-Themen, darunter die schönsten Weihnachtsmärkte, leckere Glühwein- und Plätzchenrezepte, Schwarzwald-Curling, Weihnachtsbäume mit flauschiger Überraschung und vieles mehr. Außerdem haben wir wieder mit interessanten Schwarzwälder Charakteren gesprochen, darunter auch ein waschechter Promi: Fritz Keller! Reinlesen lohnt sich!

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