Fußball trifft Gastro: Fritz Keller im Interview

Im Schwarzwald ist die Welt noch in Ordnung, sagt Ex DFB-Chef Fritz Keller. Warum das so ist, erzählt er im Interview

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Friedrich Keller, sagen manche Kollegen, wenn sie über den Gastronomen und Winzer sprechen. „Guten Tag, Fritz Keller“, stellt er sich dagegen mit leiser, weicher Stimme vor. Wir setzen uns in den Schatten seines Weinguts in Oberbergen. Blick auf die Weinlage Kähner. Kann losgehen …  

Vor fast zehn Jahren wurden Sie für Ihr Lebenswerk geehrt. Wie geht’s Ihnen damit?

Das war ja keine Ehrung für die Beerdigung. Ich habe mich gefreut, vor allen Dingen auch darüber, dass auch das Produkt, also Wein und Gastronomie, goutiert wird, obwohl man nicht immer alles mainstream gemacht hat.  

Wie fühlen Sie sich?

Hervorragend! Ich genieße jetzt Fußball in den schönsten Zügen. Gerade habe ich mit Kollegen in Hamburg ein Restaurant* aufgemacht. Ansonsten freue ich mich, dass die nächste Generation am Start ist.

Was machen die Kinder?

Der Große macht das operative Geschäft fürs Weingut und ist im Weinimport. Der Mittlere ist beim SC Freiburg und der Jüngste ist ein klasse Koch geworden, alle mit viel Fleiß und Engagement. Und sie lieben ihren Job. Deshalb habe ich jetzt Zeit für ein Auf zu neuen Ufern!  

Ihr Vater galt als Patron alter Schule. Sie nennen sich selbst einen Dickschädel, aber Ihr Bruder musste fort, Sie nicht. Warum ging es mit Ihrem Papa gut?

Der Unterschied ist halt, dass ich ein paar Jahre jünger bin und dank meinem Job als Winzer weiter weg von ihm war. Ich bin in die Reben oder in den Weinkeller gegangen und habe in Ruhe meine Arbeit gemacht. Mein Bruder in der Küche war halt damit konfrontiert. Mein Vater hat ihm keine Lorbeeren gegönnt. 

Warum das denn?

Auf Deutsch gesagt, der war damals schon wer. Franz hatte eine Ausbildung in Frankreich gehabt, unter anderem bei Paul Bocuse, wo er auch  Führungsaufgaben hatte. Da hat es halt geknallt zwischen den beiden.

Wären Sie auch gerne Koch geworden?

Nein, nein, nein. Da hat mich meine Großmutter geprägt. Der habe ich in der Grundschule den Henkelmann in die Reben gebracht und habe ihr geholfen. Aber so gut dosiert, dass ich nicht den Eindruck hatte, dass ich Kinderarbeit machen müsste.

Beeinflusste Ihr Vater Sie? 

Also ich musste schon schaffen bei meinem Vater. Aber das hat schon eine Leidenschaft erweckt, die Liebe zur Natur und das Beste aus der Natur rauszuholen. Das hat mich inspiriert. Wir waren früher in der Hauptsache eine Kellerei, die Trauben gekauft hat. Heute sind wir ein Weingut. 

Wo liegt der Unterschied? 

In einem Weingut kann man von der Pflanzung bis zum Wein optimal  agieren und auf die Reben Einfluss nehmen. Das zeigt sich bei unseren nationalen und internationalen Erfolgen.  

Welchen Stellenwert hat das Klima?

Wir haben frühzeitig erkannt, dass wir auf die Wetter- und Klimaveränderungen reagieren müssen, sodass wir schon vor Jahrzehnten auf Sorten gegangen sind, die weniger Ertrag bringen und nicht auf Zucker geklont sind. Also nicht auf Öchsle und Menge. 

Wie definieren Sie Nachhaltigkeit? 

Es ist nachhaltig, in Generationen zu denken. Wenn man hier rausguckt, auf die kleinen Terrassen aus der Römerzeit und aus dem frühen Mittelalter, dann haben wir es meinem Vater zu verdanken, dass es die überhaupt noch gibt und nicht alles in den naturfeindlichen Jahrzehnten der 70er- und 80er-Jahre der neuen Landschaftsgestaltung zum Opfer gefallen ist. 

 

Wie wichtig ist Ökologie? 

Also ohne gescheites ökologisches Verständnis und ohne ökologischen Weinbau kriegt man keine Spitze. Unmöglich! Alle erfolgreichen Weingüter arbeiten so. Ich bin dankbar, dass mein Sohn Friedrich mit seinen biodynamischen Ansätzen noch radikaler ist als ich. Wir denken nicht nur an heute, sondern auch an morgen. Das ist die Urform eines guten Unternehmertums und, ja, vielleicht sogar christlich fundiert. Wir sind nur Gast auf dieser Welt.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Leute von Nachhaltigkeit reden, die noch nie im Wald waren.

Ja, wir haben ein großes gesellschaftliches Problem und das ist die Verstädterung der Hirne. Das, was die Generationen vor uns gearbeitet haben, wird nicht mehr so wertgeschätzt, wie es eigentlich sein sollte. Die Menschen geben viel zu wenig Geld aus für gute Nahrung. Das zeigt sich jetzt auch bei den Neu-Ökologen, die praktisch über die Ziele hinausschießen. Das germanische Pendel schlägt immer zu weit aus. Dazu kommt der Neid, weil man sich nicht auskennt und nicht weiß, wie viel Arbeit drinsteckt. Die sehen halt nur den Wert eines Weinguts oder eines landwirtschaftlichen Betriebs. 

Womit noch nichts gewonnen ist  … 

Wenn ich keinen Boden habe und keine Anlage drauf gebaut habe, dann kann ich nicht ernten. Es ist genauso, wie ein Schreiner Werkstatt und Werkzeug braucht. Ich glaube, dass es gar nicht so schlecht wäre, wenn die Menschen mal ein halbes Jahr irgendetwas anderes machen, um zu sehen, wie hart einer schafft, der in den Reben ist oder auf dem Acker Erdbeeren zupft.

Wo sehen Sie konkret die Verstädterung?

Beim Arbeitszeitgesetz. Das ist vielleicht gut fürs Büro, aber nicht für die Landwirtschaft. Wenn wir aufgrund des Wetterberichts wissen, dass es in vier Tagen regnet, dann muss man halt drei Tage vorher hinlangen und am vierten Tag hat man frei. Ich befürchte, dass wir in einer Art von städtischer Dekadenz unsere Gesellschaft und unsere Werte verspielen.

Beim Thema Essen wird häufig über Verbote gesprochen. Könnte gemeinsames Kochen bzw. Kochenlernen ein Weg aus der Misere sein? 

Die Frau meines Kollegen und Freundes Marc Haeberlin (Auberge de l’Ill, Elsass), Isabelle, ist von Haus aus Pädagogin und gab Kochkurse für Arbeitslose und für Leute in prekären Verhältnissen. Mit dem Ergebnis, dass die Leute dann selber kochen, was billiger ist, als Fertigprodukte zu kaufen. Viele haben Erfüllung und Spaß daran gefunden und arbeiten jetzt als Hilfsköchinnen oder in Haushalten. Wir haben eine zu einseitige Ausbildung, die an den grundsätzlichen Erfordernissen des Lebens vorbeigeht.

Dann plädieren Sie fürs Handwerk?

Ich glaube, wenn alle, die eine Ausbildung im Handwerk, der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor machen, die gleiche Wertschätzung bekommen wie eine geisteswissenschaftliche Ausbildung, dann kann uns nichts passieren. Wie gesagt, wir brauchen beides, nur von geisteswissenschaftlichen Ergebnissen werden immer weniger satt.

Welchen Wert hat für Sie das Mittagessen?

Also, das Mittagessen ist eine richtige große Pause, wo man zusammensitzt und sich austau-
schen kann. Ohne die geht der Austausch verloren. Wenn jeder so schnell wie möglich wieder nach Hause will oder sogar nur im Homeoffice sitzt, geht etwas verloren. Das mag in Krisenzeiten gut sein, aber der Mensch ist ein Herdentier und Herdentiere brauchen einander. Ohne das versauen und versauern sie. 

Würden Sie sagen, dass hier im Schwarzwald die Welt noch ein bisschen mehr in Ordnung ist?

Ja. Wenn ich mit Kollegen rede, wo die besten und verlässlichsten Mitarbeiter herkommen, dann stammt ein großer Teil aus dem ländlichen Gebiet. Auch im Topmanagement stammen sehr viele von dort, sogar von Bauernhöfen, nicht unbedingt aus Millionenstädten. Aber leider muss man feststellen, dass sehr viele Gaststätten aus unterschiedlichen Gründen nur noch abends öffnen können oder ganz zumachen müssen.

Was lernt man auf dem Land?

Also ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen, und das Wissen, wo was herkommt.

Haben Sie es auch schon mal bereut? Andere gehen ins Schwimmbad oder nachmittags bolzen?

Ich durfte nicht, weil am Sonntag musste ich hinters Büffet und arbeiten.

Fritz Keller

Die Kombination Fußball und Gastronomie wurde Fritz Keller (*1957 in Freiburg) in die Wiege gelegt. Sein Pate war Fritz Walter, der Fußballweltmeister von 1954, sein Vater der Kaiserstühler Gastronom Franz Keller. Fritz Keller war 20 Jahre Präsident der Sommelier-Union und gewann als Winzer etliche Preise. Deutschlandweit bekannt wurde er als Präsident des SC Freiburg und des DFB. Fritz Keller ist verheiratet und hat drei Söhne.   

#heimat Schwarzwald Ausgabe 41 (6/2023)

Draußen herrscht Schmuddelwetter, drinnen herbstliche Gemütlichkeit. Was da nicht fehlen darf? Der richtige Lesestoff! Das sechste #heimat-Magazin des Jahres kommt also wie gerufen! In der letzten Ausgabe für 2023 liefern wir Euch jede Menge Wohlfühl-Themen, darunter die schönsten Weihnachtsmärkte, leckere Glühwein- und Plätzchenrezepte, Schwarzwald-Curling, Weihnachtsbäume mit flauschiger Überraschung und vieles mehr. Außerdem haben wir wieder mit interessanten Schwarzwälder Charakteren gesprochen, darunter auch ein waschechter Promi: Fritz Keller! Reinlesen lohnt sich!

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