Manche mögen's wild

Gulasch, Filet oder Braten von Reh, Schwein oder Hirsch kennt man. Aber da geht mehr! Metzger Joachim Seeger zeigt's uns

Fotos: Dimitri Dell

Er wirkt wie ein großer, liebenswerter Teddybär: Joachim Seeger hat irgendwie sowas Knuddeliges. Bis man ihm die Hand gibt – das hat dann was von einer Schraubzwinge. Er muss halt zupacken können. Und wir auch. An diesem Mittwochmorgen werden spezielle Rohwürste produziert: Salami, Wildknorzel und sogenannte Wildererwürste. „Nein, es sind keine Wilderer drin, garantiert“, grinst der Juniorchef. Stattdessen: Wildschwein. Das muss jetzt erstmal aus der Kühlung. Gut 40 Kilo wiegt so eine Sau, für Joachim Seeger ein Klacks. Er hat Übung. 

Zu wenig Zeit für die Jagd 

„Wir verarbeiten hier im Jahr etwa 400 bis 500 Wildtiere: Reh, Hirsch und Sau“, sagt er. „Alle aus hiesiger Jagd.“ Das Wild kommt aus der Umgebung von Kuppenheim und dem vorderen Murgtal. Ein Selbsterlegtes ist nicht dabei. „Ich hab’ leider zu wenig Zeit für die Jagd“, grinst er. Jetzt muss das Tier erst einmal abgeschwartet werden – sprich: gehäutet. 

Wir helfen, denn das Schwein erweist sich im Umgang momentan als recht störrisch. Nach dem Zerwirken sind die nächste Schritte dran. Keulen und Rücken werden entweder als Frischfleisch an der Theke angeboten oder verwandeln sich in Lachs- und Räucherschinken. Ob wir vielleicht mal davon probieren dürften? „Lass uns erst mal was schaffen“, lacht Joachim und packt sich ein paar Fleischstücke. Die werden erst gewolft, kommen dann mit einer speziellen Gewürzmischung („Die ist streng geheim!“) in den Cutter und werden schließlich in Därme gefüllt. 

„Allerdings muss auch ein bisschen Fett vom Hausschwein mit rein“, erklärt er. „Wildfleisch ist recht mager und die Würste würden sonst ziemlich trocken werden.“ Auch wir wollen unbedingt mal wursten. Ergebnis: Von der Performance her ist noch viel Luft nach oben. „Das ist doch schon ganz hübsch“, lobt Joachim. „Halt doch Teddybär“, denken wir. 

Willkommen im Schlaraffenland

Nach gerade mal 20 Minuten hat Joachim rund 50 sogenannte Wildknorzel produziert. „Die sind von der Art her wie eine italienische Salami.“ Und dann kommen noch die kleineren Wildererwürste und die Wildsalami dran. Ob wir jetzt dann vielleicht mal probieren dürften – bitte? „Kommt mal mit“, lacht er und öffnet die Tür zur Reifekammer. Halleluja! So hatten wir uns das vorgestellt: Würste und Schinken wie im Schlaraffenland. 

Der Erklärbär

„Die Wildknorzel und die Salami werden eine Nacht kaltgeräuchert und dann etwa fünf bis sechs Wochen luftgetrocknet, bis sie den optimalen Härtegrad erreicht haben“, erläutert Joachim. Aus dem Teddybär wird der Erklärbär. Von uns aus könnte er das Wildwürste-Einmaleins ein bisschen abkürzen. Bevor uns hier das Wasser im Mund überläuft und den pingelig geschrubbten Boden volltropft. „Der Wildschweinschinken ist jetzt drei Wochen alt. Er wurde gesalzen und eine Woche kaltgeräuchert, bevor er hier reift.“ Bei der Sache mit dem pH-Wert („5,6 ist optimal, da ist die Wasserabgabe am besten“) hören wir schon nicht mehr richtig hin. „Na, Hunger?“, grinst er. Und wir dürfen endlich zulangen: Das Warten hat sich mehr als gelohnt.

„Wildfleisch ist ein Top- Lebensmittel“, meint der 31-Jährige. „Und es lässt sich unheimlich viel damit machen: Terrinen, Würste im Glas, Leberwurst, Steaks, Spieße.“ Bei der Aufzählung seiner Delikatessen sind wir froh, schon was gegessen zu haben. 

„ Wir haben vor 20 Jahren angefangen, Wild in der Metzgerei zu verkaufen. Mein Vater ist ja auch Jäger und kam auf die Idee“, erzählt er. „Am Anfang mussten wir bei den Kunden ziemlich viel Aufklärungsarbeit leisten. Viele meinten, Wild schmecke so streng“, erinnert er sich. „Aber diesen markanten, muffigen Wildgeschmack gibt es schon lange nicht mehr. Früher ließ man das Fleisch überreifen und die Kühlmöglichkeiten waren auch nicht super. Aber heute? Wild schmeckt fein, frisch und ein bisschen würzig. Hautgout ist ein echtes No-Go!“. 

Wild auf Wild?

Gerade keinen Jäger zur Hand und keine Ahnung, wo es einen guten Wildmetzger gibt? Dann einfach beim örtlichen Forstamt oder dem Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord nachfragen. Eine super Liste für Anbieter von Wild aus heimischer Jagd gibt es unter: www.landesjagdverband.de/jagdpraxis/genuss-wild/wild-aus-der-region-alle-anbieter/ 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 19 (2/2020)

Auf Eiersuche: Wir lassen uns von den Wusslers aus Gengenbach was ins Nest legen, verputzen die Wutz und zapfen an Tannen. Zudem erzählen wir, wie (und warum) der Schwarzwald tickt und warum es sich auf jeden Fall lohnt, nach Colmar zu fahren.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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