Da ist der Tag schon wieder vorbei. Dabei waren wir nach der Arbeit nur noch schnell einkaufen, haben Vesper gemacht, die Kinder ins Bett gebracht und sind dann todmüde aufs Sofa gefallen. Vielleicht wären wir doch besser morgens nicht noch zum Joggen gegangen. Und warum fehlt uns eigentlich die Zeit, mal das zu tun, was uns selbst Spaß macht? Fragen wir also mal schnell einen, der sich damit intensiv beschäftigt hat …
Stefan Klein, Sie sind ein vielbeschäftigter Wissenschaftsautor und haben zum Thema Zeit ein Buch geschrieben. Für welche privaten Dinge nehmen Sie sich denn gerne mal die Zeit?
Wir haben drei Kinder. Sie brauchen eine Menge Zeit. Und die schenke ich ihnen gern.
Zeit ist in unserer Gesellschaft ja ein rares Gut geworden. Dabei waren keiner Generation zuvor so viel Lebenszeit und Freizeit vergönnt. Warum klagt dennoch jeder dritte Deutsche heute über Zeitnot?
Wir haben auch mehr Möglichkeiten als Menschen jemals zuvor. Das ist etwas sehr Schönes – zwingt uns aber dazu, uns zu entscheiden. Und weil wir so ungern verzichten, packen wir uns unsere Tage zu voll. Darum leiden Menschen umso mehr unter Zeitdruck, je reicher sie sind – obwohl gerade die Wohlhabenden sich von vielen lästigen Pflichten des Alltags freikaufen können. Hinzu kommt, dass wir Tag für Tag mehr Reize wahrnehmen – auch dank Werbung, Internet und dem Smartphone. Stress und Ängste sind die Folgen. Wir sind aber nicht deswegen gestresst, weil wir keine Zeit haben, sondern haben keine Zeit, weil wir gestresst sind.
Wie darf man das verstehen?
Stress verändert die Arbeitsweise des Gehirns. Gerade die Funktionen, die wir zur Zeitplanung bräuchten, werden dann abgeschaltet: Wir verlieren buchstäblich den Kopf. Wer seinen Arbeitsplatz in Gefahr sieht, der kann normale Aufgaben plötzlich gar nicht mehr bewältigen, oder braucht viel mehr Zeit dafür. Auch bei Arbeitslosen ist das so, wie Untersuchungen gezeigt haben. Sie können durch ihre Situation unter einem enormen Druck stehen und so Zeitnot empfinden. Dabei steht der Zeitdruck in keinem Verhältnis zu der objektiven Zahl freier Stunden und Minuten, die ihnen ja eigentlich am Tag zur Verfügung stehen.
Das Problem ist also die Struktur unseres Alltags?
Das könnte man so sagen. Die Zeit, die wir für die Organisation unseres Alltags brauchen, hat weniger mit den Stunden, Minuten und Sekunden auf unserer Uhr zu tun, als man annimmt. Denn jeder Mensch hat so etwas wie eine individuelle, eine innere Zeit. Wir dürfen uns daher nicht zu Sklaven eines äußeren Taktes machen.
Sollen wir unsere Uhren einfach wegwerfen?
Natürlich nicht. Wir brauchen Uhren, um unser Zusammenleben zu regeln. Ohne sie wäre es für uns beide schwer geworden, uns zu einem Interview zu verabreden. Aber viele Menschen sehen ihre Kalender und Uhren nicht mehr als Hilfsmittel an, sie unterwerfen sich ihnen.
In südlichen Ländern geht man mit der Zeit entspannter um. In Südamerika sind sogar Busfahrpläne überflüssig. Sollten wir uns daran ein Beispiel nehmen?
Kann man sich schwer vorstellen, wenn man etwa an den deutschen Bahnfahrer denkt. Der flucht doch schon, wenn der ICE mal drei Minuten Verspätung hat. Viel lernen können wir von den Japanern. In Tokio ist das Leben weit schneller, als wir es gewohnt sind. Doch die Menschen dort können die Zeit vom einen Augenblick auf den anderen völlig vergessen. Sie haben sich von dem Wahn befreit, dass man in jedem Moment effizient sein muss. Solche Zonen ohne Tempo täten uns auch gut.