Zwei Brückenbauer im Gespräch

Landrat Frank Scherer und der Elsässer Departements-Präsident Frédéric BIerry sind überzeugte Europäer – und wollen eine enge Kooperation am Oberrhein

Text: Ulf Tietge · Fotos: Michael Bode

Monsieur Bierry, Herr Scherer. Lassen Sie uns mit einer Frage beginnen, die bei uns jeder beantworten darf. Was ist für Sie #heimat?

Bierry: Als Elsässer und Franzose bedeutet Heimat für mich Vaterland – und ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Scherer: Heimat ist für mich ein Gefühl aus mehreren Komponenten: Wo lebe ich? Fühle ich mich wohl? Fühle ich mich zu Hause? Das kann für mich überall sein. Jetzt ist die Ortenau meine Heimat und das soll auch so bleiben.

Was werden die 2020er-Jahre für Baden und das Elsass bringen? 

Bierry: Mobilität ist auf jeden Fall eine sehr große Herausforderung. Scherer: Und das auf beiden Seiten! Wir werden unglaublich viel zu tun haben, um Begegnungen und Arbeitswege zu erleichtern, auch wenn die Tram eine erste Verbesserung gebracht hat. Aber bei nur einer Buslinie, der von Erstein nach Lahr, kann es nicht bleiben. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Das zweite Thema, das uns begleiten wird, ist die Zweisprachigkeit. Nachdem wir in den vergangenen Jahrzehnten beobachten mussten, wie sich das Elsässische aus dem Alltag zurückzieht, hat Frankreich viel getan, um den Deutschunterricht wieder in den Vordergrund zu rücken. Das Tragische ist, dass wir auf der deutschen Seite einen Rückgang des Französischunterrichts konstatieren müssen. Immerhin haben wir den Fonds für Zweisprachigkeit beim Eurodistrict. Über die Volkshochschulen wollen wir jetzt versuchen, Schüler zu erreichen. In Frankreich ist die Zweisprachigkeit wieder im Aufwind, bei uns arbeiten wir daran.

Bierry: Ja, das hat sich gedreht. Am Anfang waren die Bemühungen auf der deutschen Seite größer, jetzt tut Frankreich mehr. Am Ende wird sich das ausgleichen. Ich glaube sehr an Sprachunterricht und an das  Eintauchen in die Sprache – dafür ist die Grenznähe von Vorteil. 

Wir stehen zusammen am Rhein, an der Nahtstelle zwischen Baden und dem Elsass. Markiert der Rhein für Sie eine Grenze oder ein verbindendes Element?

Bierry: Für mich ist es ganz klar eine Verbindung. Es ist einfacher, über den Rhein zu gehen als über die Vogesen.

Scherer: Dem kann ich mich anschließen: Für uns ist es einfacher, über den Rhein zu gehen als über den Schwarzwald in Richtung Schwaben.

Wir nutzen den Rhein wirtschaftlich – jedoch kaum touristisch. Warum eigentlich?  

Scherer: Da gibt es tatsächlich noch viel Potenzial, das wir heben wollen. Die ganze Region könnte davon profitieren, wenn künftig die immer beliebter werdenden Fahrgastschiffe häufiger anlegen und Touristen das Umland erkunden.

Bierry: Der Rhein spielt eine große Rolle beim Tourismus. Mich interessieren aber auch die Burgen und Schlösser am Oberrhein sehr. Ich wünsche mir, dass wir dieses Erbe mit Events um die Schlösser mit ihren Mythen und Sagen bewerben. In ihnen haben und schaffen wir die gemeinsame Identität Oberrhein.

Das Elsass und der Schwarzwald sind zwei Destinationen, zwei touristische Ziele. Unterschiedlich, aber auch mit vielen Gemeinsamkeiten. Kann man das nicht irgendwie besser vermarkten als bisher? Gemeinsam?

Scherer: Elsass und Baden sind in vielen Punkten ähnlich und in den Unterschieden ergänzen sie sich gut. Deshalb ist die Vermarktung der entscheidende Punkt. Wir bilden zusammen eine Region, die wir als größere Einheit vermarkten sollten, damit sich etwa der Europareisende aus China nicht für Schwarzwald oder Elsass entscheiden muss, sondern auch den Oberrhein wählt und beides besuchen kann.

Bierry: Mit dem Europa-Park schaffen wir so eine gemeinsame Vermarktung schon ganz gut und ich begrüße die Zusammenarbeit sehr. Es ist gut, wenn unsere Touristiker enger zusammenarbeiten. Für mich sind besonders die Projekte an der Basis interessant, die das umsetzen. Deshalb das Beispiel mit den Burgen.

Scherer: Wenn ich auf Schloss Staufenberg am Schwarzwaldrand bin, dann schaue ich nach Westen in den Sonnenuntergang in den Vogesen. Wenn ich auf der Hochkönigsburg bin, schaue ich nach Osten in den Sonnenaufgang im Schwarzwald. Das ist keine Konkurrenz, sondern ein interessantes Gesamtangebot. Die Rad- und Genusstour Vélo Gourmand ist ein weiteres schönes Beispiel – hier erleben wir Mobilität und Tourismus gemeinsam.

Die europäische Einigung und die Fahrten nach hüben wie drüben sind für uns alle selbstverständlich. Aber machen wir uns oft genug auf den Weg in die Heimat unserer Nachbarn?

Scherer: Das würde ich jedem selbst überlassen.

Aber wie schade ist es, wenn Menschen dreimal im Jahr nach Mallorca fahren und ins Elsass so gut wie nie! 

Scherer: Das wäre tatsächlich jammerschade. Aber mehr als mit gutem Beispiel voranzugehen, kann man nicht machen. Ich persönlich nutze gern die Nähe und habe erst letzte Woche in Straßburg sehr gut gegessen.

Bierry: Für mich ist es wegen der Sprachbarriere leider nicht ganz so selbstverständlich wie für meinen Kollegen Frank Scherer, aber ich komme selbstverständlich gerne beruflich wie privat über die Grenze.

Gibt es zum kleinen Grenzverkehr Zahlen? Zu Berufspendlern bestimmt. Aber wie steht es mit Tagesausflüglern oder Touristen? Und gibt es das in nennenswerter Zahl, den Urlaub beim Nachbarn?

Scherer: Zunächst einmal haben wir zwischen Baden und dem Elsass an die 24 000 Pendler jeden Tag, darunter 23 000 Berufspendler vom Elsass nach Baden und etwa 1000 in die andere Richtung. Was die Touristen angeht, wissen wir wenig über Tagesausflüge. Bei den Übernachtungen im Schwarzwald machen die Franzosen nur elf Prozent aus. Das liegt aber daran, dass Gäste aus dem Nahraum in der Regel keine Übernachtung brauchen.

Bierry: Im Elsass haben wir aktuell mehr als 8,5 Millionen Übernachtungen, die größte Gästegruppe sind die Deutschen. Wir wissen aber nicht, woher genau diese deutschen Gäste kommen. 

Mit dem Forum am Rhein ist ein neuer Treffpunkt entstanden, in dem nicht nur die deutsch-französische Kultur hochgehalten wird, sondern auch gemeinsam badisch-elsässisch geschlemmt werden darf. Wie wichtig sind solche Einrichtungen?

Scherer: Man sieht ja am Zulauf, dass die Menschen solche Leuchttürme brauchen. Sie zeigen als Vorbilder, dass sich noch etwas bewegen kann in unserem grenzüberschreitenden Raum.

Bierry: Natürlich sind solche Institutionen wichtig – nicht nur für die Zweisprachigkeit, sondern viel mehr noch für unsere gemeinsame Kultur, die uns verbindet. Es ist wichtig, diese Verbindung sichtbar zu machen. Wir haben kürzlich in einer Studie festgestellt, dass sich die Jugendlichen in der Region zugehörig zu ihrem Land fühlen, zum Oberrhein aber noch nicht. Da helfen solche Einrichtungen hoffentlich für die Zukunft.

Apropos Genuss. Was schätzen Sie an der jeweiligen Küche auf der anderen Rheinseite? 

Bierry: Mir ist es gar nicht immer bewusst, wenn ich über den Rhein gehe – mal esse ich elsässisch, mal badisch, gestern zum Beispiel Schwarzwälder Kirschtorte. Kulinarisch fühle ich mich auf beiden Seiten zu Hause. 

Scherer: Vieles ist hüben und drüben wirklich ähnlich gut, auch der Wein. Aber wenn ich etwas besser auf der elsässischen Seite essen kann, dann ist das der Käse. Schinken ist dafür bei uns besser.

Stichwort Wein: Ist man da Kollege oder Konkurrent?

Scherer: Zumindest kennt man sich ganz gut untereinander. Und von Konkurrenz würde ich nicht sprechen, eher von einem spannenden partnerschaftlichen Miteinander. 

Bierry: Dank des Klimawandels könnte die Entwicklung sogar irgendwann so sein, dass die Weinreben in Deutschland irgendwann besser gedeihen werden als in Frankreich.

Wäre es dann nicht auch eine Möglichkeit, beispielsweise zum Ortenauer Weinfest auch elsässische Winzer einzuladen und andersrum? 

Scherer: Wir haben schon Verkostungen von Weinen beider Seiten gemacht – aber eher im privaten Rahmen. Man könnte natürlich auch das Thema über die Vermarktung überregional angehen: sich als eine gemeinsame Region mit verschiedenen Geschmäckern darstellen. Aber ehrlich gesagt: Wir sehen ja schon, wie schwierig es allein bei der badischen Weinwerbung ist, alle unter einen Hut zu bekommen …

Bierry: … und das Gleiche gilt für Haut-Rhin und Bas-Rhin. Man muss auch sehen: Jeder möchte seine Besonderheiten behalten. Aber auf internationaler Ebene könnte man sich durchaus zusammentun. Die Technologieregion Karlsruhe und das Bas-Rhin haben sich zum Beispiel als Wirtschaftsstandort zusammengeschlossen. 

Welches Restaurant oder welche Spezialität würden Sie sich gegenseitig empfehlen?

Scherer: Ich glaube: Ein Restaurant, wo man montags schlachtfrische saure Leberle und Nierle kriegen kann.  

Bierry: Und ich glaube, ich würde Sauerkraut mit Fisch vorschlagen. Vielleicht im Maison Kammerzell oder in Obernai?

Wo wir schon beim Thema sind: Wer macht das bessere Sauerkraut?

Scherer: Die Franzosen.

Bierry: Das mag sein. Aber wenn ich an Würste und so denke, dann sind die Einlagen in Deutschland besser.

Wo leben mehr Störche?

Scherer: Bei uns, weil hier auch mehr Kinder geboren werden.

Bierry: Ich hatte Angst, die Störche würden ganz verschwinden. Jetzt sieht man aber zum Glück wieder mehr.

Wer hat das bessere Brot?

Scherer: Baguette ist drüben eindeutig besser. Beim dunklen Brot: weder noch. Da bleibt meine alte Heimat führend.

Bierry: Mein Opa war Bäcker – also muss ich antworten: das französische. 

Das bessere Bier?

Scherer: Das haben wir. Nicht nur wegen des Reinheitsgebots!

Bierry: Dazu kann ich nichts sagen, denn ich trinke aus gesundheitlichen Gründen kein Bier. 

Und wer wird Fußball-Europameister?

Scherer: Deutschland. Ihr seid Welt- und wir werden Europameister.

Bierry: Nicht einverstanden. Frankreich. Von mir aus aber gewinnen wir ganz knapp gegen Deutschland im Finale.

Brückenbauer

Südlich der Rheinfähre bei Greffern im Landkreis Rastatt bis nach Breisach gibt es nur eine Handvoll Brücken über den Rhein und die Rheinfähre bei Kappel. Zwischen Ottenheim und Gerstheim soll nun eine weitere hinzukommen, gedacht für Radfahrer, Fußgänger und Linienbusse. Umso wichtiger ist daher die Arbeit der gedanklichen Brückenbauer aus dem Grenzgebiet, die sich für mehr Mobilität und mehr Zweisprachigkeit engagieren.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 19 (2/2020)

Auf Eiersuche: Wir lassen uns von den Wusslers aus Gengenbach was ins Nest legen, verputzen die Wutz und zapfen an Tannen. Zudem erzählen wir, wie (und warum) der Schwarzwald tickt und warum es sich auf jeden Fall lohnt, nach Colmar zu fahren.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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