Heute schon ins Gras gebissen?

Bert Fischer, Wirt der Alten Zunft in Achern, schwört auf Wildkräuterküche – und lädt Redakteurin Karen zum Sammeln ein

Fotos: Dimitri Dell

So könnte ein Arbeitstag immer sein: Ein paar Vögel parlieren um die Wette, eine sanfte Brise lässt die Blätter der Bäume leise rascheln. Alles leuchtet, blüht und ist im Frühlingsmodus! Und wir strotzen vor Tatendrang: Bert Fischer, gastronomisches Urgestein aus Achern, sein Freund Eberhard Dinger, der eigentlich Gärtner ist, und unsere Autorin. Drei Wildkräuterexperten auf der Jagd nach den schmackhaften Schätzen der Natur. Was übrigens gar nicht so einfach ist – die Auswahl ist jetzt im Frühsommer riesig! Und wir müssen uns ja an das Menü halten, das Bert geplant hat.

Na, dann sammelt mal schön…

Melde, Fetthenne, Vogelmiere, Giersch, Dost und Gundelrebe müssen in die Körbe und Taschen. Wir brauchen Material für ein siebengängiges Menü und über vierzig Personen. Da ist es mit ein oder zwei Pfund nicht getan. „Im Schnitt sammeln wir zwei bis drei Tage, bis wir alles beieinanderhaben“, erklärt Bert. Und Eberhard ergänzt: „Wir gehen dann auch getrennt voneinander los, weil die besten Sammelplätze manchmal ein bisschen auseinander liegen.“ Das klingt nach Vorbereitungsstress der Extraklasse, denn schließlich hat jeder ja auch noch ein Geschäft in Achern. Für Eberhard und Bert aber ist das Sammeln auch ein Ausgleich: „Wenn ich sehe, was es in der Natur alles gibt und wie viel Freude die Gäste dann beim Essen haben, da geht mir einfach das Herz auf“, sagt Bert. Eberhard ist bei den Wildkräuterabenden selbstverständlich mit von der Partie. „Ich koche und er gibt den Erklärbär“, lacht der Küchenchef. „Die Leute interessieren sich und sind neugierig“, fügt Eberhard hinzu und erzählt von vielen Gesprächen, die er während der Events in den vergangenen neun Jahren geführt hat.

Learning by eating

„Da geht es dann nicht mehr nur um den Geschmack, viele wollen auch etwas über die gesundheitlichen Aspekte wissen“, sagt Bert. Und das könne eben keiner so gut rüberbringen wie Eberhard. Beide kennen sich lange und beschlossen Mitte der 2000er-Jahre, sich zu Wildkräuterpädagogen ausbilden zu lassen. Will heißen: Sie bringen Menschen alles Wissenswerte über die Unkräuter näher. „Wenn ich das schon höre“, Frohnatur Bert klingt leicht genervt: „Entweder ist es ein Kraut oder nicht. „Un-Kraut“ (er betont die Silben extra), „das Wort ist ja an sich schon Blödsinn.“

Womit wir beim Thema wären. Wie kommt ein gestandener Koch, der sich der guten, badischen Küche verpflichtet fühlt, ausgerechnet auf Wildkräuter? Noch dazu, wo die meisten dieses Grünzeug für Karnickelfutter halten? „Ich war davon schon immer fasziniert“, sagt Bert. „Was die Natur so hergibt, das hat einfach ein ganz anderes Aromenspektrum.“ Außerdem macht es ihm Spaß zu experimentieren.

Ein Salat, ein Stück Fisch oder Fleisch vom Grill kriegt plötzlich einen ganz anderen Dreh. Eberhard ergänzt: „Dazu kommt einfach, dass diese Kräuter eben die Urform unseres Essens darstellen. Melde zum Beispiel wurde gegessen, lange bevor es Spinat gab. Löwenzahn, Gänseblümchen oder die Blätter der Sommerlinde waren als Salat sehr beliebt.“ Dazu, so meinen beide, beschäftige man sich mittlerweile wieder intensiver mit dem Thema Naturapotheke. Altes Wissen werde wieder ausgegraben: Auch die Pharmaforschung widme sich verstärkt dem Thema. 

Ach, das kenn' ich doch…

„Gesundheit hin oder her – entscheidend ist, dass es schmeckt“, grinst Bert und macht sich auf in die Küche. Jetzt kommt die Hauptarbeit: Waschen, putzen, vorbereiten. Und zwar kiloweise! Auch Eberhard zieht noch mal los: Er braucht Bärwurz für den Gruß aus der Küche. „Das Kraut wird fein gewiegt, mit Ziegenfrischkäse gemischt und dann auf ein Stück Baguette gestrichen – einfach herrlich!“

Stimmt. Was auch immer die beiden am darauffolgenden Abend auftischen, ist einfach lecker. Ohne hinzusehen, weiß man genau, welcher Tisch sich gerade über das Essen hermacht: Es ist der, wo gefräßige Stille herrscht. Es wird nicht geschlungen, sondern andächtig gekostet, geschnuppert und so manch einer schließt die Augen und spürt den unbekannten Aromen noch mal nach. Kindheitserinnerungen werden wach: „Im Garten meiner Oma gab’s das“, sagt eine Frau aus Augsburg begeistert, als sie von der Pannacotta mit Melde kostet. „Sie hat den Kartoffelstampf damit verfeinert“, strahlt sie. „Toll, ich will mehr davon!“ Na ja, ein bisschen Platz wird sie noch lassen müssen, schließlich war das flaumige Sahnestückchen mit Paprika-Relish gerade mal die erste Vorspeise.

Da könnt ich mich reinsetzen…

Ein junger Mann aus Wiesbaden, der mit seinen Eltern angereist ist, wischt mit dem Finger sorgfältigst seinen Teller aus: „In das Vogelmiere-Pesto könnte ich mich reinsetzen.“ Und eine Freundin der Familie meint: „Ich kenne diese Gerüche von der Gartenarbeit. Das man so was daraus machen kann – Wahnsinn. Ich werde nächstes Mal irgendwie andächtiger Unkraut zupfen.“ Wen auch immer man fragt, die Antworten sind einhellig: „Sensationell, gigantisch, einfach klasse!“ Eberhard selbst kommt nicht zum Essen – der Erklärbär quatscht sich fest.

Fünf Stunden und gut 300 Gerichte später stehen Bert und sein Zunft-Team vor den Gästen. Ziemlich erschöpft, aber glücklich. Und trotz einer gewissen lukullischen Bräsigkeit, die sich bei den Gästen eingestellt hat, spenden alle lautstark Applaus. Und Bert meint: „Eigentlich könnte die Alte Zunft diese Wildkräuterabende noch viel häufiger anbieten. Aber ich glaube, das pack’ ich nicht …“

The Big Five

Ihr wollt die Rezepte von Bert mal nachkochen? Dann braucht ihr diese fünf Wildkräuter

Wilde Küche

Für die Wildkräutermenüs von Gastronom und Küchenchef Bert Fischer nehmen manche Gäste sogar mehrstündige Autofahrten in Kauf. Die Events in der Alten Zunft in Achern sind meist schon Minuten nach ihrer Ankündigung auf der Homepage (www.altezunft.de) ausgebucht. Bert Fischer zaubert am Herd bis zu sieben Gänge. Sein Freund Eberhard Dinger bereitet das Amuse-Bouche zu und klärt die Gäste charmant über Wildkräuter auf.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 15 (2/2019)

Wir gehen mal ganz wild wandern, fangen Fische im Fliegen und bewundern die schönste Harley des Schwarzwalds. Für den Hunger sammeln wir Wildkräuter, legen feinstes Fleisch auf den Grill und servieren den Sommer …

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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