Auf Rehjagd

Wir lieben Reh- und Hasenragout. Dafür müssen Tiere sterben – für Sternekoch Daniel Fehrenbacher eine natürliche Sache

Text: Nora Smets Fotos: Nora Smets, Michael Bode

Wenn man nicht wüsste, dass hier Tiere sterben werden, könnte man sich von der winterlichen Idylle berieseln lassen. Der Sonne. Dem Schnee. Dem stahlblauen Himmel. Der eiskalten Winterluft und den prächtigen Nadelbäumen. Hier in Reichenbach erscheint die Welt wie in einer Hochglanzbroschüre – mit den schönsten Landstrichen der Ortenau. Und Daniel Fehrenbacher passt mit seiner gestrickten Umschlagmütze in die Szenerie hinein, als sei er eigens dafür gecastet worden.

Doch Daniel Fehrenbacher ist kein Fotomodel. Er ist Sternekoch und Hausherr im Jagdrevier Langeck Lahr-Reichenbach. Seit fast zehn Jahren. Zuvor war das 316 Hektar große Revier im Besitz seines Großvaters, der ihn oft mit auf die Jagd nahm. Wald, Wild und waidmännische Grundsätze waren ihm schon früh vertraut. Als 30-Jähriger absolvierte er seine Jägerprüfung und ist seitdem einer von 41 000 offiziellen Jägern in Baden-Württemberg.

Die Treibjagd am Langeck gehört für alle befreundeten Jäger und Treiber des Sternekochs zum jährlichen Pflichttermin. Für nicht Eingeweihte: Eine Treibjagd ist, wenn Treiber und Hunde Wildtiere aufscheuchen und den Jägern, die im gesamten Revier aufgestellt sind, zutreiben. Der Grund für das Event ist nicht etwa die Gier nach Adrenalin oder die Lust am gemeinschaftlichen Töten von Tieren. Nein, für Daniel Fehrenbacher ist es ein notwendiges und wirkungsvolles Instrument, um die Population im Zaum zu halten. Denn was die Wildbestände anbelangt, ist das Langeck ein äußerst reicher Ort. Jedes Jahr werden rund 30 Rehe und Wildschweine geschossen, damit der Forst nicht leidet. Rehe knabbern mit Vorliebe an jungen Bäumen. Wildschweine sind ebenso verfressen und wühlen auf der Suche nach Futter den gesamten Waldboden um. Als Revierbesitzer ist Daniel Fehrenbacher an einem gesunden Wald interessiert und veranstaltet einmal im Jahr die Großjagd, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Tiere zu töten.

Militärisches Sonderkommando

Montagmorgen, 8:30 Uhr. Die ersten Pick-ups rollen an. Die Reifen der Autos greifen knirschend in den Schnee. Kräftige Männer öffnen die Heckklappen und lassen ihre Jagdhunde herausspringen. Gehüllt in orangefarbene Westen und Hüte mit Tarnmuster erinnert der Trupp eher an ein militärisches Sonderkommando als an das dunkelgrüne Klischee konservativer Waidmänner. 25 Schützen, neun Treiber und ihre Hunde versammeln sich am vereinbarten Sammelplatz. Hinter ihnen der Wald, vor ihnen die im Morgenlicht schimmernde Hügellandschaft. Sie reden, rauchen und warten. Ein buntes Treiben inmitten der winterlichen Idylle.

Mit einem „Waidmannsheil“ beendet der Gastgeber das Warten – auf dass die Waidmänner heil zurückkehren. „Waidmannsheil“ schallt es zurück, während die Männer ihre Hüte lüften. Laute und Gesten so klar und schneidend wie die Winterluft.

Schweigen. Spähen. Schauen

Mit der Büchse in der Armbeuge steht Jäger Peter Heck am Kreuzungspunkt zweier Wege. Er trägt eine grüne Steppjacke, dazu eine dunkle Cargohose. Es scheinen Kleidungsstücke zu sein, die schon ein Leben lang halten. Genau wie sein Gewehr. Für moderne Ausrüstung und grelle Tarnmuster ist er nicht der Typ. Für ihn ist die Jagd eine einfache Sache – seit mehr als 30 Jahren.

Mit schnellen Schritten geht es den steilen Waldhang entlang. Bergauf, bergab. Schleichend durchs Unterholz, als wolle er unbemerkt bleiben, um dem Wald sein Morgendasein zu lassen. Eine Markierung offenbart seinen Posten. Inmitten von Buchen und Douglasien nimmt er Waffe und Rucksack ab und lässt sich auf einem Stein nieder. Zeit für eine Zigarette, um das Getümmel der Welt für die kommenden vier Stunden endgültig hinter sich zu lassen.

Und dann: Stille. Die Stunden streichen dahin und es zeigt sich, was Jagd bedeutet: im Wald alleine sein. Zur Ruhe kommen. Schweigen. Spähen. Schauen. Beobachten. Und möglichst regungslos auf Beute warten. Doch Peter Heck ist kein schussgieriger Typ. Er versucht nichts zu erzwingen. Für ihn ist die Jagd kein Sport, sondern ein Handwerk mit langer Tradition. Und vielleicht ist die Jagd für ihn auch ein Vorwand, um alleine zu sein und über Dinge nachzudenken, die mit dem Töten von Tieren rein gar nichts zu tun haben.

Es tut sich was

Während die Kälte langsam in die Glieder kriecht, dreht Peter Heck seinen Blick rundum. Nichts. Nur das Gehämmer eines Spechts. Pause. Warten.

Plötzlich erfasst sein Auge einen herannahenden Schatten. Flach atmend lädt er die Büchse und fährt mit dem Schatten mit. Pulsfrequenz und Adrenalinspiegel steigen. Er drückt ab – und Schuss. Für einen Moment Adrenalin pur. Die Wirkung: durchschlagend. Getroffen hat es einen prächtigen Fuchs. Im vollen Winterbalg mit blütenweißer Blume am Ende seiner buschigen Lunte. Weiter war nichts los. Kein Reh. Kein Wildschwein. Kein weiterer Knalleffekt.

Die Arbeit beginnt

Gegen Mittag ist die Treibjagd vorbei, die eigentliche Arbeit beginnt. Die erlegten Tiere – vier Rehe und der Fuchs – werden geborgen und zur Jagdhütte gebracht. Weil schon nach kurzer Zeit die Darm-Barriere bricht und sich Bakterien im gesamten Wildkörper ausbreiten würden, müssen die Rehe zügig aufgebrochen werden. Die Schützen öffnen die Bauchdecken und ziehen Därme, Mägen, alle Innereien aus den Tieren heraus. Herz, Lunge, Leber, Milz. Alles hängt mit allem zusammen – eine ziemliche Schweinerei. Doch die Routiniers schaffen das in weniger als zehn Minuten. Sie reinigen ihre blutverschmierten Hände im Schnee und hängen die toten Tiere zum Ausschweißen auf.

Und dann sieht man die prächtige Beute und ist gefangen. Gefangen von der Schönheit der Tiere. Der brutalen Erkenntnis, dass ihrem Leben ein Schlusspunkt gesetzt wurde. Und der inneren Zufriedenheit, an diesem Montagmorgen in einer Welt ohne Schnörkel zu sein.

#heimat Ortenau Ausgabe 9 (4/2017)

Mit Lego und Käsefondue machen wir uns winterfein - und behalten das Wild so lange im Visier, bis es auf dem Teller liegt...

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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