Der nördlichste Schwarzwälder

Der Unterharmersbacher Sepp Herrmann lebt in Alaskas Wildnis – und von der Hand in den Mund

Text: Stephan Fuhrer Fotos: privat

Sepp Herrmann friert. Der Ofen im Eck bollert deshalb auf Hochtouren. Die Hitze in dem kleinen Zimmer eines alten Schwarzwaldhofs im Harmersbachtal ist fast unerträglich. Frieren ist menschlich, doch beim Sepp wundert es uns dann doch. Draußen nieselt es bei 9 Grad plus. Da ist der Abenteurer anderes gewöhnt. In seiner Wahlheimat im Norden Alaskas fällt das Quecksilber im Winter schon mal unter minus 60 Grad. Sepp zuckt mit den Schultern. „Wenn ich im Schwarzwald bin, fröstelt es mich immer irgendwie.“

Vielleicht liegt das ja daran, dass der gebürtige Unterharmersbacher hier zur Ruhe kommt. Dass er sein Essen nicht selber jagen muss, so wie er das in der Brooks Range, der letzten Gebirgskette vor dem Polarmeer, macht. Dass er hier mit dem Auto von A nach B kommt, und nicht mit Hunden und Schlitten losziehen muss. Dass er hier einfach mal die Füße hochlegen kann. Obwohl: Sein Ding sei das eigentlich nicht, meint der Trapper. „Nach einer gewissen Zeit muss ich in die Wildnis, sonst werde ich nervös“, sagt der 62-Jährige.

Sepp Herrmann, der mit Sicherheit nördlichste Schwarzwälder, ist nicht mehr allzu oft im Harmersbachtal. Zuletzt war er in Deutschland, um sein Buch vorzustellen. „Ch’atth’an – einer jagt, wenn andere schlafen“: Drey-Verlag, 224 Seiten, 20 Euro. Es erzählt die Geschichte von seiner Begegnung mit einem Grizzly, einem Trauma, das er heute noch verarbeitet. Bei der Vorbereitung auf den Yukon Quest, eines der härtesten Hunderennen der Welt, tauchte wie aus dem Nichts ein hungriger Bär auf und tötete seine Hunde. Einen nach dem anderen. Nur einer überlebte schwerverletzt. Sepp schaute zunächst regungslos zu. Dann lenkte er die Aufmerksamkeit des Tiers auf sich. Eine Entscheidung, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Nur mit Glück entkam er dem Angreifer. Später kehrte er mit Helfern an die Unglücksstelle zurück und tötete den Bären. 

In langen, dunklen, arktischen Wintermonaten hat er seine Geschichte  bei Kerzenlicht handschriftlich niedergeschrieben. Es ist die einsamste Zeit in seiner Blockhütte, die etwa 100 Kilometer entfernt von der nächsten befahrbaren Schotterstraße und gut 600 Kilometer vom nächsten bewohnten Ort liegt. Manchmal sieht er in Alaskas hohem Norden vier bis fünf Monate lang keine Menschenseele. Selbst die Sonne macht sich dann rar. Um zu überleben, jagt er Karibus, stellt Wildfallen und fängt Lachse. „Mein Karibu-Schinken nach Schwarzwälder Art ist köstlich“, versichert der Metzgersohn. Ein Stückchen #heimat darf eben auch im hintersten Winkel der Welt nicht fehlen. 

Gelegentlich brutzelt er sich auch Steaks aus dem zarten, mageren Fleisch. „Die Wildnis hat einige Leckerbissen zu bieten“, erzählt Sepp und legt seine nackten, in viel zu kleine Adiletten gepressten Füße auf den Schemel vor sich. Eine Zehe fehlt. Die hatte er sich in seinem allerersten Winter vor mehr als 30 Jahren abgefroren. Nur durch Glück überlebte er die Blessur. Zurückmarschieren konnte er nicht. Kurz vor einer Blutvergiftung kam zufällig ein Flugzeug vorbei. Der Pilot nahm den Abenteurer in ein Krankenhaus mit. Sepp hatte schon überlegt, wie er sich eine Mini-Guillotine zur Amputation basteln könnte ...

In den wärmeren Monaten pflückt der Jäger und Sammler schießlich  Heidelbeeren, Cranberries und sammelt Morcheln, die er nach seiner Rückkehr in die Zivilisation zum Teil wieder verkauft. Nahe Fairbanks, einem öden 30 000-Einwohner-Loch, hat der Selbstversorger in der Nähe von Sohnemann Atigun noch ein Blockhaus etwas außerhalb, wo im Sommer auch Gurken und Salat wachsen. Viel Geld zum Leben braucht er nicht. Ein paar Dollar für Hundefutter, Benzin und Proviant. Das reicht. Aus Geld hat sich der Schwarzwälder ohnehin noch nie so viel gemacht. Um so ein Leben zu führen, muss man von besonderem Schlag sein. Das trifft auf Sepp mit Sicherheit zu. Schon als Kind kraxelte er nachts über die Schwarzwaldberge, um am nächsten Morgen bei seinem Onkel in Achern aufzuschlagen. Statt Hausaufgaben zu machen, sammelte der kleine Josef lieber Schlangen im Wald. Nach seiner Industriemechanikerlehre wollte der wohl einzige Hippie im Harmersbachtal nur noch weg. „In der Fabrik zu arbeiten, war für mich Ausbeutung“, erzählt Sepp. Er trampte nach Skandinavien, fuhr mit dem Schiff nach Afrika und landete schließlich in Alaska. Als er zum ersten Mal die Brooks Range besuchte, gingen ihm die Augen auf. „Ich wusste sofort, dass ich angekommen war.“

Was er denn dann hier so macht, wenn er zu Besuch ist, wollen wir noch wissen? „Im Wald spazieren. Ich muss eigentlich jeden Tag mindestens einmal in den Wald“, erzählt er. An diesem Tag hat er es aber tatsächlich mal sein lassen. „Es war mir einfach zu kalt.“

 

#heimat Ortenau Ausgabe 9 (4/2017)

Mit Lego und Käsefondue machen wir uns winterfein - und behalten das Wild so lange im Visier, bis es auf dem Teller liegt...

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In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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