Tabak in Baden

Wir besuchen eine der letzten Tabakbauern Badens und werfen einen Blick in die Vergangenheit, als Tabak noch für Reichtum sorgte

Text: Pascal Cames Fotos: Konstantin Werner

Der Tabak reinigt den Magen, vertreibt Zahnweh, verscheucht die Läuse, heilt Geschwüre und schützt vor der Pest“, steht in einem 400 Jahren Kräuterbuch geschrieben. Wer aber Migräne hat, soll ihn lieber schnupfen, wusste schon Katharina von Medici (1519–1589), die den Schnupftabak in Frankreich salonfähig gemacht hat. Auch für Entspannung und Konzentration soll das Gift gut sein. Aber dass es auch süchtig macht, das war ebenfalls schon lange bekannt. Bei all diesen Wirkungen und der „Kunden-
bindung“ war’s also kein Wunder, dass sich Tabakanbau schon damals finanziell lohnte.

Guter Tabak bringt gutes Geld

Baden war früher ein Tabakland. Um 1900 gab es 300 Tabakfabriken. Wohin man auch in der Rheinebene schaute, die Felder waren gelb- oder giftgrün. Das brachte eine Menge Zaster in die Dörfer. Tabakgeld. Heute ist alles ein bisschen anders, aber Tabak wird immer noch angebaut, wenn auch keiner mehr für Zigaretten, Zigarren, Stumpen, Fehlfarben oder Rillos sondern für Shisha. Der Altenheimer Tabakbauer Jochen Adam stellt sich als einer „der letzten Veteranen“ seiner Zunft vor. Im Ländle gibt es noch 30 Tabakbauern, in ganz Deutschland sind es um die 60 Betriebe. Der Mann, der nicht raucht, verdient immer noch wie sein Vater und Großvater sein Geld mit Tabak. Aber es ist schon ä bissel anders geworden bei ihm im Ried. Der Tabak ist heute ein anderer, die Pflanzung läuft ein bisschen anders ab – und reich wird man davon auch nicht mehr. „Aus der Tradition“, lautet seine Motivation.  „Solange es ein bisschen Geld bringt.“ Mittlerweile hat er in Altenheim nur noch einen Kollegen, früher waren es zehn. 

Jochen Adam steht in seiner Halle. Es ist laut. Sechs Bänder sind am Laufen. An einem Ende steht ein Arbeiter, der trockene Tabakblätter auf das Rollband legt, am anderen Ende ein anderer, der die für gut befundenen Blätter in einen großen Karton steckt bzw. stopft und dann auch noch drauf herumtrampelt, damit möglichst viel Tabak hineinpasst. (Abgerechnet wird später nach Gewicht.) An den Bändern stehen links und rechts Leute, die den Tabak in Augenschein nehmen und aussortieren. Wenn irgendwo Flecken sind, muss dieses Blatt raus. Jochen Adam schnappt sich ein großes Blatt und zieht es wie eine alte, ledrige Schatzkarte auseinander. Nur ist darauf kein Plan zu sehen, dafür aber die Farbe. Ist das Blatt gleichmäßig hellbraun? Oder sind grüne, schwarze, grün-schwarze, an Schimmel erinnernde Flecken oder Verfärbungen zu sehen? Raucher erkennen sofort die Qualität des Tabaks, weiß Jochen Adam und reißt einen Fetzen ab. Goldgelb ist dieser. So muss er sein! Da jeder Karton vom Käufer kontrolliert wird, ist diese Arbeit enorm wichtig. Nur guter Tabak gibt gutes Geld.

Düwack, Duwack, Tabak

Der Tabak in den Kartons wird zudem noch maschinell gepresst. Mit dem Gabelstapler wird ein Karton auf einen anderen gestellt, sodass sich in der Halle die Kartons auf vier Etagen stapeln. Vorne wird sortiert und gefüllt, hinten aufeinandergesetzt. Da die Adams 80 Hektar Tabak haben, kommt auch einiges an Menge und Zeit zusammen. (Bloß Geld nicht. „Drei Prozent des Endpreises bleiben hängen“, sagt Jochen Adam.) Da sich die Tabakernte über zwölf Wochen hinzieht, läuft die Produktion genauso lange. Tabak gilt als eine der zeitintensivsten Kulturpflanzen, vergleichbar mit dem Wein, der ähnlich viel Arbeit macht. Tabak reift von unten nach oben, das ist zum einen ein Nachteil, weil die Erntehelfer über Wochen beschäftigt werden müssen. „Mais und Weizen geht einfacher.“ Aber die ersten Blätter brachten anno Tobak das erste Geld. Und das wurde dringend gebraucht!

Jochen Adams Nachbar Richard Karl, 83, war lange Zeit Tabakbauer (45 Hektar) und ist in der Rente zum Hobbyhistoriker geworden. Er weiß viel. „Wir waren ein reiches Dorf mit armen Bauern“, sagt er. Duwack oder Düwack, wie Tabak genannt wurde, brachte gutes Geld, aber das meiste Land gehörte der Gemeinde oder Adligen. Die Bauern mussten das Land pachten und das ganze Jahr über bei Bäcker, Metzger, Schuster anschreiben lassen. Aber wenn es das erste Düwackgeld gab, konnten ein paar Schulden bezahlt werden. „Dann hat’s daheim mal eine heiße Wurst gegeben.“

Frischer Tabak, schnelles Geld

Nach und nach kam dann mehr Geld ins Haus, denn die oberen Blätter sind gehaltvoller, also mit einem höheren Nikotingehalt. Bei der sogenannten Musterauflage kamen Bauer, Käufer und ein Bonitierer (ein unabhängiger Qualitätsexperte) zusammen. Wenn es um Menge, Qualität und Preis ging, konnte es hitzig werden. „Da lag Nervosität in der Luft“, weiß Richard Karl, denn innerhalb von fünf Minuten wurde ein ganzes Jahr verhandelt. „Der Pries (Preis) ging wie ein Lauffeuer durch’s Dorf“, sagt er. Bezahlt wurde auf die Hand. Der Käufer kam nicht selten mit 40 000 Mark von der Deutschen Bank in Lahr zurück und zahlte die Bauern aus. ’s isch’s Geld komme!

Dass es im Ried mit dem Tabakanbau so gut lief, war nicht ausgemacht. Tabak war zwar seit etwa 1600 in der Region bekannt, aber der Anbau wollte nicht fruchten. Um 1630 gab es einen Straßburger Kaufmann, der die Bauern auf der anderen Rheinseite zum Tabakanbau ermunterte. Erfolglos. Auch im Schwarzwald war Tabak schon bekannt. „In Griesbach und Rippolds gibt es Buden, in denen Tabak verkauft wird“, notierte der aus Willstätt stammende Barockdichter Johann Michael Moscherosch anno 1642. Allerdings war das nicht überall gerne gesehen, in Zell a.H. wurden 1672 junge Männer wegen Tabaktrinken mit dem Turm bestraft. Da trotzdem immer mehr geraucht und geschnupft wurde, rentierte sich das Geschäft. In Lahr wurden kurz nacheinander zwei Schnupftabakfirmen (1774, 1781) gegründet, es folgten welche in Kehl, Gengenbach und Helmlingen. Irgendwann hatte jeder Ort seine Zigarrenfabrik, wo meistens Frauen ein Zubrot verdienten.

Das Militär habe viel dazu beigetragen, meint Richard Karl, dass viel geraucht wurde. Schon im Dreißigjährigen Krieg kam das Soldatenkraut in Mode. Später gab es Regimenter, die Tabak schnupften, und andere, die Pfeife oder Zigarren rauchten. Kamen die Soldaten wieder heim, brachten sie auch gleich die Unsitte(n) mit. Da der Boden im Ried besonders gut ist und das schon damals subtropische Klima auch passte, gelang es hier am besten, den Geudertheimer (benannt nach dem elsässischen Dorf Geudertheim) anzupflanzen. Den badischen Bauern gelang ein Tabak, der „die besten elsässischen Blätter übertrifft“. Um 1820 schrieb ein gewisser Kolb: „Den schönsten und bestbehandelten Tabak liefern die Riedorte und unter diesen Dundenheim, Altenheim, Ichenheim und Meißenheim, dann auch Friesenheim.“ Tabak verdrängte Flachs und Hanf. Die Höfe wurden größer, die Tabakschöpfe höher. Kleinere Bauern organisierten sich in Tabakanbauvereinen. Wer schnelles Geld machen wollte, ließ sich auf einen „Dachkauf“ oder „Kauf am Nagel“ ein und verkaufte den noch nicht getrockneten Tabak.

Tabak braucht sehr viel zeit

Neben dem Geudertheimer war Burley eine gängige Sorte. Beide Sorten sind zeit- und arbeitsintensiv. Heute wird im Badischen fast nur Virgin-Tabak angepflanzt. Bei Geudertheimer und Burley werden die Blätter im Tabakschopf luftgetrocknet. Bei Virgin kommen die Blätter in eine Trockenkammer und werden über Tage verschiedenen Temperaturen ausgesetzt, damit sie trocken, aber nicht zu trocken werden – und eine schöne Farbe bekommen. 500 Arbeitsstunden werden pro Hektar für Burley gebraucht, für die anderen Sorten zwischen 650 und 1000 Stunden.

Aus Stumpen werden Stinker 

So wurde Baden das Tabakland Deutschlands. 1871 kam über ein Viertel des deutschen Tabaks aus der badischen Rheinebene, 1925 waren es 60 Prozent. In Dörfern wie Hohnhurst oder Hesselhurst wuchs auf einem Viertel der Ackerflächen Tabak. Aber dann wurde entdeckt, dass er doch nicht gegen Kopfweh hilft, sondern im Gegenteil Krankheiten verursacht.

Der Staat war in einer Zwickmühle. Die Steuereinnahmen waren willkommen, aber diese Nebenwirkungen! 2006 endlich wurden die Zuschüsse  gekappt und viele Bauern gaben auf. Dieser Trend war vorher schon am Laufen, denn „beim Burda“ (wie’s ein ehemaliger Tabakbauer sagte) war die Schafferei leichter und das Geld kam pünktlich. Und die Stumpen kamen aus der Mode. Richard Karl erinnert sich, dass früher die Bauern einen Zehnerstumpen (für zehn Pfennig) rauchten, wenn sie mit dem Fuhrwerk auf den Acker fuhren. Aus und vorbei! Übrig geblieben sind Veteranen wie Jochen Adam und die großen Tabakschöpfe, die an eine große Zeit erinnern, als viel Arbeit viel Geld brachte. Da heute nicht einmal die Tabakbauern rauchen, ist das Ende abzusehen.

Alte Geschichte schnuppern? Mehr Infos über das Heimatmuseum Neuried findet ihr hier und über das oberrheinisches Tabakmuseum Mahlberg hier.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 45 (4/2024)

Der Sommer im Schwarzwald ist immer ein Erlebnis! Wie gerade Radfahrer die Region optimal genießen, zeigen wir euch in dieser #heimat Ausgabe in unserem Rad-Special auf 15 Seiten. Apropos Sattel: Schon einmal daran gedacht, die #heimat auf dem Pferderücken zu bereisen? Wir haben Wanderreiter begleitet, haben mit Goldsuchern geschürft und mit einem Zwetschgen-Experten aus Bühl Kuchen gebacken. Wem das noch nicht genug Summer-Vibe ist, den nehmen wir mit auf Lavendelfelder und zum Vespern im Freien…

Weitere tolle Artikel aus der #heimat

Hier lodert der Genuss!

Restaurant-Check: Der Springbrunnen in Oberkirch

Im Springbrunnen in den Oberkircher Reben wünscht sich unser Autor einen zweiten Magen. Überzeugt auch die Weinkarte?
Tradition, Handwerk & Geschmack vereint

Stefan Böckeler: Der Meister der Bühler Zwetschgen

Sobald die ersten Zwetschgen reif sind, ist Kuchenzeit! Konditor Stefan Böckeler aus Bühl verrät seine besten Tipps...
Stephan Fuhrer

Zeigt her Eure Füße

Unser Kolumnist möchte mal die Hosen runterlassen, wie man so schön sagt. Was das mit unserer Region zu tun hat? Eine ganze Menge
Ganz schön pfiffig!

Die besten Ideen für die Pfifferlingssaison

Pfifferlinge müssen in die Sauce? Nicht unbedingt! Wir haben frische Ideen für eine hoffentlich glorreiche Pilzsaison
... Schwarzwald Tabak in Baden