Turn over

Und plötzlich macht der Barren Spaß: Mit seinem Unternehmen „Zur schönen Linde“ rettet Andreas Gröbel alte Sportgeräte

Text: Alexander Zimmermann Fotos: Simon Hofmann

Meist ist der Anfang schmutzig und wenig glamourös. In den hintersten Ecken deutscher Turn- und Schulsporthallen begutachtet Andreas Gröbel seine Ware. Alte Turnbarren, Pauschenpferde, Bänke, Turnmatten oder Sprossenwände. Oft in desolatem Zustand. Eingestaubt. Das Holz marode, der Lederbezug spröde und abgegriffen. Generationen von Sportlern haben darauf geturnt, geschwitzt, gejubelt, geflucht und den Sportgeräten eine ganz eigene Patina verliehen. Aber auch eine Geschichte, eine im wahrsten Sinne des Wortes bewegte Historie. „Für mich ist das Spannende an meinen Werken die Symbiose aus der Vergangenheit und dem Modernen“, erzählt Andreas. Und eben jenes Zusammenspiel kreiert er seit nunmehr 14 Jahren.

Erst ausgemustert, dann Design

So lange ist es mittlerweile her, dass der gelernte Dekorateur und Schlosser seinem alten Berufsleben den Rücken kehrte und sein Unternehmen „Zur schönen Linde“ gründete. Seitdem hat er zahllose vom TÜV ausgemusterte Turngeräte aufgekauft, bearbeitet und in ästhetische Möbel verwandelt. 14 Jahre, in denen er Vergangenheit mit Modernem verbunden und viele seiner Ideen realisiert hat: Sitzwürfel aus den charakteristischen blauen Bodenmatten, Hocker aus alten Sprungböcken oder Bänke aus dem Pauschenpferd. Nützliches Designobjekt oder kunstvoller Gebrauchsgegenstand? Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Echte Hingucker sind sie in jedem Fall.

„Das hier wird die neue Heimat der Möbel“, sagt Andreas Gröbel und zeigt in den Raum. Er steht in einem alten Industriegebäude – einer ehemaligen Seifenfabrik in Bruchsal, 18 Kilometer nördlich von Karlsruhe. In von der Decke hängenden schwarzen Metallregalen liegen alte Pauschenpferde. Ihr dunkles Leder bildet einen stimmigen Kontrast zur roten Holzwand dahinter. Böcke stehen im Raum verteilt, eine Sprossenleiter lehnt an einer Wand. Industrieromantik pur. Showroom und Werkstatt werden in den nächsten Wochen hier zusammengeführt. Letztere ist bereits jetzt komplett ausgestattet und im Einsatz. Kreissäge, Bandsäge, Hobel und zahlreiche Regale mit fein säuberlich geordnetem Werkzeug und Zubehör sind der Nukleus seines Schaffens. „Früher habe ich oft Freestyle gearbeitet. Häufig auch einfach im Freien. Heute bin ich froh, eine echte Werkstatt zu haben – so kann ich noch akkurater und effizienter arbeiten“, erzählt Andreas.

Nostalgie pur

Doch wie kommt man auf die Idee, Upcycling mit alten Sportgeräten zu betreiben? Da drängt sich direkt eine Frage auf: Hast du im Schulsport eigentlich gerne geturnt, Andreas? „Nein, überhaupt nicht“, antwortet der 58-Jährige und lacht. Die markante Ästhetik und Zeitlosigkeit von Sportgeräten sei ihm erst lange nach seiner Schulzeit bewusst geworden. „Ich bin ein sehr visueller Mensch. Als ich begonnen habe, mich damit zu beschäftigen, hatte ich schnell viele Ideen vor Augen, wie man die Geräte bearbeiten könnte“, erzählt er. Bereits die ersten Möbel stießen auf großes Interesse. Heute arbeitet er etwa 70 Prozent der Zeit an größeren Gesamtprojekten für Unternehmen oder Industriekunden. „Aber gerade bei den großen Aufträgen ist eine der wichtigsten Fragen vorab, ob ich überhaupt die Rohware dafür bekomme“, erzählt der Bastler. Denn Pauschenpferde oder Sprungböcke werden nicht jeden Tag ausgemustert. Oft landen sie einfach in einem Container und damit auf dem Müll. Deshalb hat er schon früh damit angefangen, Rohmaterial zu kaufen und einzulagern. Noch befindet sich sein Lager in Friedrichstal bei Karlsruhe.


900 Quadratmeter, bis unter die Decke gefüllt mit alten Turngeräten. Es ist die wohl größte Sammlung ihrer Art in Deutschland. Manche Stücke sind eher neueren Datums, andere
50 Jahre oder älter. Mit welchem Ausgangsmaterial er arbeitet, bespricht Andreas zu Beginn jedes Projekts mit den Kunden und Auftraggebern. Soll das Möbelstück eher clean und modern sein oder eine nostalgische Ästhetik transportieren? Egal ob Schränke, Stühle, Sitzwürfel – sogenannte Cubes –, Tische oder Bänke: Was Andreas Gröbels Werkstatt verlässt, ist definitiv ein Unikat. 

Herzenssache

Als wir ihn treffen, arbeitet er gerade an einem echten emotionalen Herzensprojekt, wie er erzählt. Er fertigt unterschiedlichste Möbel für ein Projekt der Lebenshilfe im Raum Saarbrücken. Dort werden unter dem Titel „GymLoft“ verschiedene Einheiten miteinander kombiniert: Gastronomie, Eventlocation, Design-Hotel für größere Gruppen sowie Schulungsräume. Alles unter einem Dach. In einer ehemaligen Turnhalle – wie passend. In der Halle werden 20 Räume mit insgesamt 40 Betten und einer großen Gemeinschaftsküche eingerichtet. Letztere wird mit seinen Möbeln bestückt – Bank, Hocker, Cubes, Tisch, Schrank. Schon beim ersten Besuch vor Ort war Andreas hin und weg. „Ich wäre am liebsten in die Turnhalle eingezogen“, sagt er schmunzelnd. Einiges ist bei unserem Besuch bereits fertig. 

„Nur einzelne Arbeiten daran mache ich nicht selbst – beispielsweise das Bespannen mit Stoffen. Dafür besitze ich weder die Werkzeuge noch die Fertigkeit“, erklärt er. Doch auch hier spielt für Andreas die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Bei der Auswahl seiner Zulieferer setzt er auf Kontinuität und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit über Jahre hinweg. „Hieran arbeite ich derzeit noch“, sagt er und klopft mit der Hand auf eine hölzerne Tischplatte. Sie besteht aus dem Holz alter Turnbänke. „Ein echter Turn-Table sozusagen.“ 

Schüler sitzen schon lange keine mehr darauf – doch verewigt haben sie sich mit gelben und roten Kaugummis, die an der Unterseite kleben. Die werden zuerst runtergespachtelt. Danach löst er alle Schrauben – nach all den Jahren meist keine einfache Aufgabe – und zerlegt die Turnbänke in alle Einzelteile. Die Sitzflächen mehrerer Bänke schneidet er mit der Kreissäge auf Maß, hobelt sie auf die gleiche Höhe und verleimt sie zu einer ebenen Tischplatte. Die Original-Schrauben werden später wieder angebracht – jedoch in gekürzter Form und geklebt statt verschraubt. Sie sorgen für die authentische Optik. Netto-Arbeitszeit für einen Tisch: mindestens zehn Stunden.

Anspruch: Glücklichmacher

Wenn Andreas über seine Möbel spricht, erzählt er von deren Materialität, optischen Spannungsbögen und der Konservierung einer natürlichen Patina. Er gerät ins Schwärmen und man merkt schnell, dass hier jemand liebt, was er tut. Er spricht mit Leidenschaft, niemals mit Pathos. Und generell arbeitet er lieber, anstatt über seine Arbeit zu reden. Er ist ein Macher mit einem Auge für Proportionen, Oberflächen und Ästhetik. „Ich bin weder der beste Schreiner noch ein Designer und auch kein Weltverbesserer“, sagt er. Natürlich freue er sich, die Sportgeräte vor dem Müll zu retten. Doch sein oberster Anspruch sei immer gewesen, etwas Schönes zu schaffen. „Glücklichmacher“, wie er seine Möbel nennt. Er spricht nicht davon, den alten Turngeräten ein zweites Leben zu geben, sondern davon, sie „in ihrem neuen Prozess begleiten zu dürfen“. Dass er den Stücken auf Augenhöhe begegnet, merkt man auch bei deren Bearbeitung. Bei jedem Schritt strahlt er Ruhe aus, macht jeden Handgriff bedacht und mit Gefühl, betrachtet die Werke immer wieder aus unterschiedlichsten Winkeln und Perspektiven. „Meine Stücke haben eine Qualität erreicht, die sehr hochwertig ist. Und das ist von allen Seiten sichtbar. Nur von vorne gut auszusehen, das reicht mir einfach nicht.“

Sein liebster Arbeitsschritt? „Das Einfetten. Das tut dem Leder und auch mir gut. Vom Geruch bis hin zur Oberfläche – das hat fast schon etwas Therapeutisches.“ Es ist der letzte Arbeitsschritt einer Verwandlung. Aus einem alten Turngerät ist ein Möbelstück geworden. Der Anfang ist meist schmutzig und wenig glamourös – das Ergebnis dafür umso schöner.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 42 (1/2024)

Die erste #heimat für 2024 ist da! In dieser Ausgabe haben wir uns passend zur frostigen Jahreszeit auf die Suche nach Schnee gemacht – und wurden fündig! Unser Autor Pascal zum Beispiel war mit dem Pistenbully rund um Bernau unterwegs und Sophie lieferte sich beim traditionellen Fassdaubenrennen in Bad Wildbad eine wilde Abfahrt. Wo 2024 sonst noch Remmidemmi ist, haben wir euch in einem Jahresüberblick mit den #heimat Veranstaltungskalender zusammengefasst. Ach, und gutes Essen und Trinken darf natürlich auch nicht fehlen: mit Rezepten zu neu interpretiertem Wintergemüse und Cocktails ganz ohne Alkohol! 

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