Die, die immer macht

Aus einer Not geboren: Seit 30 Jahren betreibt Inge Kimmig den vielleicht höchstgelegenen Verkaufsstand im Schwarzwald

Text: Daniel Oliver Bachmann · Fotos: Jasmin Fehninger

Wenn Inge Kimmig auf dem paradiesisch gelegenen Vorderbühlhof in Oppenau ihr Fahrzeug mit frischem Obst und Gemüse, mit Nudeln aus eigener Herstellung, mit Schinkenspeck, Walnussbroten, Kuchen und weiteren Köstlichkeiten vollpackt, drohen ihr auf der Fahrt hinauf zum Kniebis keine Räuberbanden, von denen Heinrich Hansjakob noch im 19. Jahrhundert berichtete. Vielmehr liegt ihre größte Herausforderung in den steilen Kurven der Oppenauer Steige mit bis zu 18 Prozent Steigung, die ein Redakteur des „Spiegel“ einmal so beschrieb: „Die Oppenauer Steige kriegt vier Schönheitssterne, in puncto Härte schafft sie die Höchstwertung.“ 

Inge Kimmig legt die Strecke zum 935 Meter hoch gelegenen Verkaufsstand seit 30 Jahren zurück. Im Winter sind es querstehende Autos, welche die Steige für sie zum Hindernisparcours machen, im Sommer Fahrzeuge mit qualmenden Bremsen. Auf dem Kniebis angekommen, räumt sie eine Stunde den Verkaufsstand ein und abends eine Stunde wieder aus. Dabei ist sie an vielen Tagen ab 4 Uhr morgens auf den Beinen, vor allem zur Erntezeit oder wenn das Backhaus vom Vorderbühlhof mit 100 Holzofen-Broten bestückt wird, deren Teige sie am Tag zuvor zubereitet hat. 

Viel Arbeit auf dem Hof

Der Vorderbühlhof von Inge und Josef Kimmig ist ein landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetrieb. 15 Rinder, 10 Schweine, Dutzende freilaufender Hühner, 50 Hektar Wald, 10 Hektar Gemüse- und weitere 10 Hektar Obstanbau bedeuten vor allem eines: viel Arbeit. Trotzdem reicht Fleiß mitunter nicht, um in den steilen Schwarzwälder Hanglagen als landwirtschaftlicher Betrieb über die Runden zu kommen. Inge und Josef Kimmig setzen daher auf Diversifizierung: Auf dem Vorderbühlhof gibt es ein wunderschön eingerichtetes Ferienhäusle, im Wald ein Trekking Camp, die hofeigene Brennerei – und eben das Hoflädele sowie den Verkaufsstand auf dem Kniebis. Den Anstoß dafür gab, wie so oft im Leben, eine Notlage. Als vor 30 Jahren ein Hagelsturm die Erdbeerernte beschädigte und der Großmarkt die Früchte nicht abnehmen wollte, nahm die Mutter von sieben Kindern die Sache entschlossen in die Hand. Warum die Erdbeeren nicht selbst vermarkten, auch wenn das zu dieser Zeit noch kaum jemand tat? Was damals mancher Zeitgenosse belächelte, zeigte sich bald als clevere Lösung. 

Es trifft sich gut, dass Inge Kimmig ein Händchen fürs Kochen und Backen hat. Postet sie auf Facebook das Angebot des Tages wie Spinattorte mit feinen Tomaten und Walnuss-Topping, Käsebällchen aus Brandteig und Kartoffeln oder ihre beliebte Steinpilzpizza, kann sie sicher sein: Es wird nichts übrig bleiben! Gelernt ist eben gelernt, und gelernt hat Inge Kimmig ihr Handwerk schon früh: Sie stammt von einem Bauernhof in Mühlenbach im Kinzigtal. Wie sie auf den Vorderbühlhof kam, der von der Familie ihres Mannes seit vielen Generationen bewirtschaftet wird? Da war Musik im Spiel bei einem romantischen Treffen in den 80er-Jahren auf der Volkstanzwoche in Tübingen. Den Hang zur Bewegung hat sich die naturverbundene Bäuerin übrigens bewahrt. Ob mit Mountainbike, Ski oder zu Fuß: Inge Kimmig ist sportlich unterwegs; mit ihrem Arbeitspensum und ihrem Tempo können nicht viele mithalten. Große Worte verliert sie darüber nicht. Für sie ist alltäglich, was für andere eine ungewöhnliche Leistung ist. 

Begeisterte Kundschaft

Anerkennung gibt es trotzdem. Zum Verkaufsstand auf den Kniebis pilgern Kunden von nah und fern. Viele Touristen sind Wiederholungstäter, weil sie wissen: Wenn sie kommen, ist Inge Kimmig da. Im Gästebuch des Trekking-Camps erzählen begeisterte Besucher von der Nacht im Wald und der Freude, wenn morgens der Frühstücks-Service dafür sorgt, dass das Abenteuer nicht ganz so abenteuerlich ausfällt. Das Ferienhäusle erfreut sich bester Bewertungen auf vielen Plattformen. Auch darüber verliert Inge Kimmig nur wenige Worte. Lieber geht sie in die Küche, um neue Rezepte auszuprobieren. Ihr Mann schaut derweil nach den Obstbäumen, die Schwiegermama überwacht die Brennerei, während eine Schwiegertochter sich um die Reservierungen kümmert – Alltag auf dem Vorderbühlhof. Zu dem gehört, dass Inge Kimmig auch am nächsten Morgen wieder in aller Herrgottsfrühe auf den Beinen ist, um zu kochen, zu backen und über die Oppenauer Steige zu ihrem Verkaufsstand zu gelangen.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 42 (1/2024)

Die erste #heimat für 2024 ist da! In dieser Ausgabe haben wir uns passend zur frostigen Jahreszeit auf die Suche nach Schnee gemacht – und wurden fündig! Unser Autor Pascal zum Beispiel war mit dem Pistenbully rund um Bernau unterwegs und Sophie lieferte sich beim traditionellen Fassdaubenrennen in Bad Wildbad eine wilde Abfahrt. Wo 2024 sonst noch Remmidemmi ist, haben wir euch in einem Jahresüberblick mit den #heimat Veranstaltungskalender zusammengefasst. Ach, und gutes Essen und Trinken darf natürlich auch nicht fehlen: mit Rezepten zu neu interpretiertem Wintergemüse und Cocktails ganz ohne Alkohol! 

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