Ein Schwabe in Arabien: Das bewegte Leben des Julius Euting

Am Ruhestein wird jedes Jahr mit einer Mokka-Party dem Begründer des Schwarzwald-Tourismus gedacht

Text: Pascal Cames Fotos: Galina Ens

Was würde Filmstar George Clooney sagen? Würde er auf seinen Kaffee verzichten? Welche Reaktion käme von der Filterkaffeefraktion? Was sagt die Café- Latte-Gemeinde? Man weiß es nicht, aber festzustellen ist, dass der Mokka, der jedes Jahr am 10. Juli am Wildseeblick auf dem Ruhestein ausgeschenkt wird, verdammt lecker schmeckt. Erstaunlicherweise hinterlässt das dickflüssige Heißgetränk im Mund keine allzu heftigen Bitternoten. Nein, er ist einigermaßen mild und auch nicht so süß, wie man ihn sonst in Tunis oder Kairo trinken würde. Das Rezept stammt von Julius Euting (1839–1913), der an seinem Ehrentag jedes Jahr mit einer Mokka-Party gefeiert wird. Die dafür verwendeten Kaffeekannen übrigens auch.

Forscher und Draufgänger

Julius, wer? „Mittlerweile ist er unbekannt“, sagt die Straßburger Professorin Régine Hunziker-Rodewald von der Tübinger Julius Euting Gesellschaft. Und mit einem leichten Bedauern: „Es ist ja ewig her.“ Julius Euting war zur Kaiserzeit Bibliothekar, Orientalist, Reisender, Forscher, Wander- und Spaßvogel. Und Schwabe war er auch noch. „Des ben blos i, dr Professor Euting aus Straßburg“, stellte er sich damals vor. Schwäbisch hat er zeitlebens gebabbelt, aber noch 16 Sprachen gekonnt! Unter anderem waren das Aramäisch, Arabisch, Persisch. Julius Euting kam 1839 in Stuttgart auf die Welt, aber sein Leben fand in Tübingen, Freudenstadt und Straßburg statt. Nachdem das Elsass 1871 ans Deutsche Reich fiel, ging er nach Straßburg als Bibliothekar an die Kaiser-Wilhelm-Universität und baute den Bestand der Bibliothek aus (heute die Universitätsbibliothek). Seine Dienstwohnung hatte er im Rohan-Schloss vis-à-vis vom Münster. Glaubt man den Erzählungen, dann kannte ihn damals jeder in der Stadt. Der kleine Mann war schlagfertig, ja vielleicht sogar frech. Es ist überliefert, dass er ein Stück weit das Straßburger Münster hinaufkletterte, weil er bei einer Stadtführung etwas aus der Nähe zeigen wollte. Er trank keinen Alkohol, obwohl er in der Welthauptstadt der Weinstuben wohnte, rauchte aber Zigarren und Wasserpfeife. Das war ein Souvenir seiner arabischen Abenteuer. Das sogenannte Arabien gehörte damals mehr oder weniger zum Osmanischen Reich. Der Grund für seine Exkursionen war die Erforschung von vorislamischen Schriften. Er konnte Arabisch und kleidete sich so stilecht, dass man ihn für einen Einheimischen hielt und er sogar nach Mekka reiste, was nur Moslems dürfen. 2300 Kilometer saß er auf Pferde- oder Kamelsattel. Einmal wurde seine Expedition in der Arabischen Wüste überfallen und Euting alias Abd el-wah-hab (Diener des Allgebers) erschoss zwei Räuber.

Feuer und Asche

Aber sein Herz schlug für die Region. Er und sechs Freunde gründeten 1872 die Straßburger Sektion des Vogesenclubs. Später wurde er auch Präsident des ganzen Clubs. Sein „Stammrevier“ lag aber an Sand und Plättig. Am Ruhestein, wo er es besonders schön fand, bekam er die Erlaubnis, seine Urne beisetzen zu lassen. Rund um den Ruhestein kannte man ihn in allen Wirtschaften, er war als Ruhesteinvater und als Häfelesgucker bekannt. Und: Es ging ihm nichts über eine gute Tasse Mokka. Ein großes Hobby von Julius Euting war das offene Feuer, für das er eigens eine Erlaubnis bekam und das er tagelang brennen ließ. Der Feuerteufel grillte Würste und ließ rohe Kartoffeln in der Pfanne schmurgeln.

Erinnern und singen

Auch jetzt riecht es nach Feuer, denn der Kaffee wird stilecht mit Eutings alten Kannen auf Holzkohle gebraut. So, wie er es zu Lebzeiten geplant hatte. Tatsächlich fand das Mokkatrinken eher selten statt, zwei Weltkriege, Inflation und zuletzt Corona ließen das Stammestreffen der Orientalisten mit den Schwarzwald und Vogesengängern oft ausfallen. Aber 2022 war’s mal wieder so weit. Die Leute stehen und sitzen einzeln oder in Gruppen, genießen das schöne Wetter, den Blick über den Wald, beißen in ein Stück Kuchen, nippen am Kaffee und tauschen Anekdoten aus. Ein Nachkomme von Julius Euting ragt aus der Menge heraus. So klein das Ruhesteinmännlein war, so groß ist sein Nachkomme, der auch gern wandert, aber sein Geld im Management verdient. Eine betagte Dame ist eigens aus dem Schwäbischen angereist. Ihr Vater war ein Patenkind von Julius Euting. Sie erzählt, dass er mit ihrem Vater Spielzeugeisenbahnen durchs Wohnzimmer verlegte. Der (damalige) Baiersbronner Tourismuschef Patrick Schreib lobt derweil Julius Euting als Begründer des Schwarzwaldtourismus. Stimmt! Von Euting stammt die erste Wanderkarte von diesem Gebiet. Dann wird noch gesungen. Ein Mann wie ein knorriger Baum steht auf und besingt den Schwarzwald. „Alle Wünsche werden wahr, wenn ich den Schwarzwald wieder seh’.“ Früher hat er bestimmt besser gesungen, aber wen juckt’s an diesem schönen Tag?

Euting

An den Forscher, Wanderer, Bibliothekar und Orientalisten Julius Euting (1839–1913) erinnern in der Region mehrere Orte. Im Freudenstädter Museum im Stadthaus ist Julius Euting eine kleine Abteilung gewidmet. Dort befi nden sich auch die original arabischen Mokkakannen. Weitere Eutingplätze sind der Juliusturm im Elsass auf dem Climont (965m) und die Grabstätte am Seekopf (1041 m) beim Ruhestein.

www.juliuseuting.de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 39 (4/2023)

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