Die perfekte Welle: Surfen in Pforzheim

Mitten in der Stadt aufs Surfbrett steigen: Geht! Und zwar in Pforzheim – auf einer künstlichen Welle in einem Kanal

Splash! Wassertropfen spritzen in einer kleinen Fontäne, als die Surferin mit ihrem Board auf der Welle gleitet. Die Sonne wärmt eine Reihe von Zuschauern in T-Shirts, Badehosen und Bikinioberteilen, ein paar Kinder spielen kreischend Fangen, werden aber meistens von den Akkorden einer Ukulele übertönt. Maui? Nein: Pforzheim! An der Blackforestwave, so heißt das Ding, findet ein Open-Surf-Event statt. Und die Stimmung ist mindestens so entspannt wie auf Hawaii.

Surf-Feeling für daheim

„Das ist schon super, dieses Urlaubsgefühl, das hier beim Surfen mitten in der Stadt aufkommt“, sagt Johannes Buschmann, während er an der Holzbrücke vor der Flusswelle lehnt und die Gischt ihm immer wieder feine Sprühnebelwolken auf die Stirn zeichnet. Der 42-Jährige ist Mitglied im Verein blackforestwave e. V., kommt so oft hierher, wie er nur kann, und ist happy, dass er nicht mehr „landlocked“ ist – also in einem Zustand, der viele Surfer kolossal nervt und den man am besten so übersetzt: sauweit vom nächsten Meer entfernt. Das Internet ist voll von Websites, die dieses fade, Ozean-lose Dasein mal mehr, mal weniger blumig beschreiben: „Deine Arme sehnen sich nach kräftigen Paddelzügen im Meer, dein Körper nach dem Adrenalin-Rush auf einer Welle, und allein der herrliche Duft von Surfwachs treibt dir Tränen der Erinnerung in die Augen …“ Tipps wie der, sein Wohnzimmer wie den Lieblingsbeach zu stylen, um bis zum nächsten Trip in die Bretagne nicht verrückt zu werden, schaffen da keine Abhilfe.

Was für eine Idee

Pforzheim liegt bekanntlich nicht am Meer. Aber glücklicherweise leben im Badischen Leute, die gerne tüfteln: Sie konstruierten und bauten die Blackforestwave im Zentrum des Orts, der gern auch als das Tor zum Schwarzwald bezeichnet wird. Außerdem ist Pforzheim eine von nur elf deutschen Städten, in der drei Flüsse aufeinandertreffen. Hier: Enz, Nagold und Würm. Wasserwege, die jahrhundertelang von der Flößerei geprägt waren, einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Nordschwarzwalds, bis das Schienennetz Anfang des 20. Jahrhunderts diesen Transportweg ablöste. „Da muss wieder mehr los sein!“, dachte sich vor knapp zehn Jahren der begeisterte Surfer Steffen Rose. 2014 stürzt er sich deshalb während seines Maschinenbaustudiums an der Hochschule Pforzheim auf eine außergewöhnliche Projektarbeit, bei der die Frage beantwortet werden soll: Welche Möglichkeiten bieten die hiesigen Flüsse für sportliche Aktivitäten? Zusammen mit seinem Kommilitonen Clemens Breckle erarbeitet Steffen eine Studie mit dem Ziel, die Flüsse stärker ins Stadtleben einzubinden, und es entsteht eine erste Vision der Schwarzwälder Welle; inspirierende Vorbilder sind dabei auch Surfwellen im Münchener Eisbach und im Ulmer Blaupark. Marcel Ade, damals ebenfalls Maschinenbaustudent, untersucht dann am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Prinzip einer stehenden Welle am Modell im Wasserlabor. Nach unzähligen Tests, Berechnungen und Strömungsversuchen ist die Begeisterung groß, als klar wird: Die Ergebnisse lassen sich auf reale Bedingungen übertragen, sprich: auf einen Fluss in der Stadt. Nur welchen?

Vom Verein zur ersten Welle

Mittlerweile stoßen immer mehr Leute hinzu, und Steffen, der „auf gar keinen Fall einen Verein gründen“ will, gründet 2017 doch einen, um das Wellenprojekt weiter vorantreiben zu können: den blackforestwave e. V. Ein bunter Haufen von Surfbegeisterten stellt nun Standortanalysen an, paddelt mit den Brettern in den drei Flüssen, bindet sie an Bäume am Ufer, um zu schauen, ob sie die Strömung trägt und sie auf dem Brett stehen bleiben. Schließlich werden sie im Metzelgraben fündig, einem Kanal in der Innenstadt, der von der Nagold abgeleitet wird. Nach diversen Genehmigungsverfahren kann es losgehen. Sechs Jahre Planung und Bau, 3000 Schrauben und zehn Hydraulikzylinder später geht die Welle im Herbst 2021 erstmals in Betrieb und seit 2022 nehmen die 230 Mitglieder hier regelmäßig das ganze Jahr über an Surfsessions teil. Wichtig: „Ein Surf findet nur dann statt, wenn ein Wellenwart und zwei Rettungsschwimmer vor Ort sind“, sagt Adrian Maas, Bauingenieur mit Fachbereich Wasserbau. Ebenso werden grundsätzlich ein Helm und einen Schutzweste getragen. Einige Male im Jahr gibt es Surfs, bei denen auch Nicht-Mitglieder einen Slot buchen können. Tatsächlich ist die Hauptsaison zum Surfen gar nicht der Sommer. „Das ist die Crux an der Sache: Wenn es kalt und ungemütlich ist, kann man am besten surfen!“, erklärt Adrian. „In der warmen Jahreszeit kommt meist weniger Wasser die Bäche und Flüsse runter als im Herbst mit den großen Regenfällen und Anfang Frühjahr, wenn die Schneeschmelze beginnt. Dann geht’s richtig ab.“ Adrian erklärt die Funktionsweise der Stahlrahmenkonstruktion mit hydraulisch verstellbaren Platten: „Das Wasser muss hochgedrückt und in einem Zwischenbecken gestaut werden. Dann wird es auf einer schrägen Rampe beschleunigt und trifft unten auf langsameres Wasser, wodurch die Welle entsteht.“ Sie könne sich zudem an unterschiedliche Wasserstände anpassen. „Wenn die Konstruktion abgesenkt und die Welle stillgelegt ist, fließt das Wasser ungehindert durch den Kanal.“ Die Surfwelle hat eine Breite von viereinhalb Metern im etwa sieben Meter breiten Kanal. Abhängig vom Wasserspiegel kommt sie auf eine Höhe von 50 bis 70 Zentimetern. Den Mitgliedern sei es wichtig, dass möglichst wenig in die Flora und Fauna eingegriff en wird und die Fische beim Laichen nicht gestört werden, sondern die Anlage gut passieren können, versichert der 36-Jährige. Überhaupt versucht der Verein, so nachhaltig wie möglich zu agieren. Die Kosten für die Blackforestwave lagen bei rund 85 000 Euro und wurden mit der Unterstützung lokaler Sponsoren gestemmt. Die Pforzheimer sind Wellen-Vorreiter: Der Deutsche Wellenreiterverband schätzt, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren in vielen Städten stehende Wellen an Flüssen konstruiert werden. In Hannover wurde 2023 die erste in Norddeutschland eingeweiht und in Augsburg im Frühling mit dem Bau einer Surframpe begonnen. Im Nordschwarzwald indes optimiert man die bestehende Welle weiter – und ist stolz auf das bisher Erreichte. Adrian fasst es mit einem Lächeln zusammen: „Leute mit im Grunde ganz wenigen Zutaten glücklich zu machen – Wasser und ein Brettchen – das ist toll!“

Surfen im und ohne Verein

Eine Mitgliedschaft im Verein blackforestwave e. V. kostet 100 Euro pro Jahr. Einen Sondertarif von 150 Euro gibt’s für Familien und einen ermäßigten Tarif von 50 Euro für Schüler, Auszubildende, Studierende und Rentner. Die Flusswelle eignet sich auch gut, um das Surfen zu lernen. Daneben werden mehrmals im Jahr zu speziellen Events Surfslots für Nicht-Mitglieder angeboten. Surfbretter und die entsprechende Ausrüstung kann man sich ausleihen.

Mehr unter blackforestwave.de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 39 (4/2023)

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