Glückauf, Schwarzwald! Auf Schatzsuche im Bergwerk

Auch unter Tage hat unsere Region was zu bieten: Wir waren in den Neubulacher Stollen – und haben wahre Schätze entdeckt

Text: Daniel Oliver Bachmann · Fotos: Jigal Fichtner

Wer hat noch nie die Urzeit- Uhr betrachtet, die 4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte in zwölf Stunden abbildet? Los geht es zwischen 0 und 1 Uhr, als unsere Erde ein ultraheißer Feuerball war. Milliarden Jahre vergingen, bis erste Pflanzen und Tiere im Wasser auftauchten. Das war vor 600 Millionen Jahren, was die Uhr zwischen 10.30 und 10.50 Uhr abbildet. Dinosaurier tobten dann zwischen 11.25 und 11.50 Uhr herum. Und wir Menschen? Wir existieren seit einer Minute. Ein Wimpernschlag in der Geschichte – das wird uns auch im Bergwerk Neubulach klar. Was dort im Innern der Erde geschah, liegt ebenfalls Millionen von Jahren zurück. Allerdings sind die Resultate deutlich zu sehen, das macht den Ausflug unter die Erde so spannend. Wer dazu das Glück hat, einen Experten wie Christian Proß an der Seite zu haben, versteht, warum sich Bergleute mit „Glückauf!“ begrüßen. Oder etwa nicht?

Wenn Holz schreit

Christian Proß strahlt, während er uns Schutzhelme reicht. Mehrere Tausend Führungen hat er absolviert und dabei vermutlich jede Frage schon gehört. Trotzdem sprüht er vor Begeisterung. Der Berg und sein Innenleben haben es ihm angetan, seit Kindesbeinen an. „Das Besucherbergwerk hier im Nordschwarzwald entstand 1970“, erzählt er, „doch die Stollen waren immer da. Für uns Neubulacher Buben ein einziger Abenteuerspielplatz! Mit Streichhölzern und Funzel krochen wir durch die ungesicherten Gänge. Wir fielen in Wasserlöcher und kamen klatschnass nach Hause. Dann gab es Backpfeifen.“ Heute sind die begehbaren Gänge bestens abgesichert. Dafür sorgt die Stollengemeinschaft der historischen Bergwerke Neubulach e. V. Christian Proß ist 1. Vorsitzender und Präsident des Landesverbands der Bergmannsvereine in Baden-Württemberg. Bergmann ist er allerdings nicht. „Ich bin Zimmermann“, sagt er, was eine Handwerkskunst ist, die man in einer Mine gut brauchen kann, um Stollen dort, wo es drauf ankommt, mit Türstöcken zu sichern. Die müssen aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit von 95 Prozent alle paar Jahre erneuert werden. „Im Mittelalter war das Holz das Warnsystem der Bergleute“, weiß Christian Proß. „Bewegte sich das Gestein, hieß es, das Holz schreit, schnell weg.“ Womöglich verzeichnen die Kirchenbücher von Neubulach deshalb nur ein Todesopfer in 1000 Jahren Bergbau. Trotzdem wurden Bergleute nicht alt: „Der Beruf war angesehen. Die Männer wurden gut bezahlt und genossen den halben Adelsstand“, erläutert Proß, während wir behutsam durch die Stollen gehen. Doch täglich 12 bis 14 Stunden Schufterei in den damals nur 120 Zentimeter hohen Gängen forderten Tribut. „Im Durchschnitt wurde kein Bergmann älter als 35 Jahre.“

Blaues Schimmern

Und nach was wurde gegraben – oder gebuddelt, wie es im Schwarzwald heißt? Damit kommen wir wieder zur Urzeit-Uhr, auf der wir die Zeiger ein paar Minuten zurückdrehen. Das sind erdgeschichtlich 70 Millionen Jahre. „Damals gab es viele starke Erdbeben“, erläutert Christian Proß und seine Grubenlampe beleuchtet eine geheimnisvoll blau schimmernde Felswand. „Berge verschoben sich und Risse taten sich auf, durch die heißes Thermalwasser emporstieg.“ In den folgenden paar Millionen Jahren entstanden dadurch Quarze. Auch der Buntsandstein wurde davon durchsetzt und deshalb so hart, dass es acht Bergleute brauchte, um pro Tag mit Schlägel und Eisen fünf Zentimeter Vortrieb zu schaffen. Das ist der Grund für den Bergmannsgruß Glückauf!: „Es war Glück, wenn sich der Berg auftat, um seine Schätze freizugeben“, erzählt unser Führer. Wir holen erst mal tief Luft, als wir davon erfahren. Fünf Zentimeter pro Tag! Das Bergwerk weist insgesamt fast 20 Kilometer Stollengänge auf.

Reine Luft für Asthmatiker

Apropos Luft: Anders als damals, als gebuddelt wurde, ist die Luft heute rein und staubfrei. Daher wurde 1973 eine Asthma-Therapiestation eingerichtet. „Durch Risse im Berg wird die Luft alle 15 Minuten ausgetauscht“, lässt uns Christian Proß erneut staunen. Der Heilstollen ist inzwischen auch für Long-Covid-Patienten von Bedeutung. Doch wissen wir noch immer nicht, nach was gegraben wurde. Drehen wir die Uhr also wieder zurück. Wasser stieg auf, Millionen Jahre gingen ins Land, und es entstand Schwerspat, dann Kupfererze, dann Silber und Wismut. „Fahlerz nennen Geologen den Schatz unter Tage“, erfahren wir. „Darin stecken die Metalle Kupfer, Silber und Wismut sowie Sekundärminerale wie Azurit und Malachit. Die seht ihr an den Stollenwänden!“ Was geheimnisvoll blau glänzt, ist Azurit, der grüne Schimmer Malachit. Daraus wurden im Mittelalter Farbpigmente hergestellt. Die ließen die Kassen klingeln, was Neubulach zwischen 1200 und 1400 zur blühenden Bergbaustadt machte. Davon kann man sich heute noch in der Altstadt ein eindrucksvolles Bild machen. Die Bergleute der damaligen Zeit machten dabei keine halben Sachen: „Als in späteren Zeiten und zuletzt im 20. Jahrhundert der Bergbau wieder aufgenommen wurde, fand man heraus, dass alle Stollen abgebaut waren. Das könnt Ihr Euch so vorstellen: Alle Hohlräume, die ihr seht, steckten voller Erz, das die Kumpel aus dem Berg schafften. Am Ende gewann man aus einer Tonne Gestein gerade mal zwei Kilogramm Silber.“

Faszination und Ehrfurcht

Es sind gewaltige Dimensionen, die Christian in 65 Meter Tiefe vor uns ausbreitet. Wir haben das Gefühl, ewig lauschen zu können, doch die acht Grad Celsius machen sich bemerkbar. Eigentlich ein cooler Ort, gerade an heißen Sommertagen. Aber irgendwann langt’s dann auch. Zeit für einen Kaffee und einen Marmorkuchen in der Stollenklause. Dort gesellt sich Proß’ Ehefrau Linda zu uns. Wie ihr Mann engagiert sie sich seit mehr als 40 Jahren. Da muss die Gretchenfrage erlaubt sein: Christian, in einer anderen Zeit, wärst du da Bergmann geworden? „Ganz sicher!“, kommt die Antwort im Brustton der Überzeugung. Und du, Linda, fändest du es gut, wenn dein Gatte Bergmann wäre? „Ganz sicher nicht!“ Besser lässt sich das Für und Wider dieses Berufs kaum beschreiben: „Das ist der Herr der Erde, wer ihre Tiefen misst, und jeglicher Beschwerde in ihrem Schoß vergisst“, wird in einem alten Bergmannslied die romantische Seite des Bergbaus besungen. Gleichzeitig starben Bergleute meist in jungen Jahren. Auch wir haben heute die Faszination erlebt, in den Berg einzufahren, um seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen – aber auch die Ehrfurcht verspürt, die man fühlt, wenn man Millionen Tonnen Gestein über sich weiß …

Bergwerke im Schwarzwald

Frischglück, Neuenbürg

Das 1985 eröffnete Besucherbergwerk bietet nicht nur eine Auswahl an Führungen, sondern beeindruckt auch mit einer freitragenden Plattform.

Silbergründle, Seelbach

Begebt Euch auf eine spannende Spurensuche, ausgerüstet mit Helm und festem Schuhwerk, und findet verborgene Stollen und Schächte.

Gruber untere Sophia, Baiersbronn

Eng, enger, Grube Sophia – diese Tour ist nichts für schwache Nerven!

Bergwerk Hallwangen

Zwei zum Preis von einem: Ein 400 Meter langer Rundweg verbindet in diesem Bergwerk den Stollen „Himmlisch Heer“ mit dem erst 2017 eröffneten Stollen „Irmgardsglück“.

Historisches Besucherbergwerk, Freudenstadt

Actionfreunde aufgepasst: das Bergwerk von Freudenstadt bietet mit einem Luftschutzbunker und einem 68 Meter tiefen Schacht eine Menge Adrenalin.

Mineralienhalde Grube Clara, Wolfach

Wer Interesse hat, in die Welt der Mineralien abzutauchen, kommt hier voll auf seine Kosten. Dank der täglichen Gesteinslieferungen kann man sich zudem ein Souvenir mitnehmen.

Segen Gottes, Haslach

Dieses Bergwerk wird sogar im Badnerlied besungen und bietet eine Vielfalt an Tropfsteinen, original Türstockverbauen sowie eine 800 Jahre zurückreichende Bergbautradition.

Museums-Bergwerk Schauinsland, Oberried

Mit einer Länge von 100 Kilometern, aufgeteilt auf 22 Etagen, ist dieses Bergwerk das größte im ganzen Schwarzwald. Es bietet neben Führungen auch besondere Events wie Krimi Wanderungen oder Live-Konzerte.

Schaubergwerk Hoffnungsstollen, Todtmoos

Die Gänge dieses Schaubergwerks sind nicht nur besonders familienfreundlich eingerichtet, sondern auch für Rollstuhlfahrer zugänglich.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 39 (4/2023)

Rein in den Sommer – mit unserer Liegestuhl-Lektüre! Wir laden Euch diesmal zum Abtauchen ein, denn wir haben uns gefragt: Wo kühlt man sich im Schwarzwald ab, wenn die Sonne brennt? Zusammengetragen haben wir eine bunte Mischung aus altbekannten und geheimen Bade-Spots. Auch darüber hinaus ist Wasser voll unser Element! So sind wir zum Beispiel in Pforzheim auf der Black Forest Wave gesurft und waren tauchen im Rhein. Außerdem sind wir für ein Wochenende im schönen Renchtal gestrandet, haben mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick eine Runde Promi-Gossip ausgetauscht und uns durch das blaue Gold von Enzklösterle probiert: Waldheidelbeeren

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