Die Mary Poppins aus dem Schwarzwald

Stadtführungen sind öde? Nicht im Kinzigtal! Was man bei einer „DORT“-Tour mit
Landhebamme Sophie alles auf die Ohren kriegt, beamt einen direkt zurück in alte Zeiten

Text: Sarina Doll · Fotos: Galina Ens

Bei der Hebammentour durch Haslach lieben’s die Teilnehmer, wenn Hebamme Sophie mal wieder einen raushaut: „Isch der Mann mal wieder hitzig, für uns Wieble nicht mehr witzig, dann brau ihm einen Hopfensud, das nimmt ihm gar den Übermut …“ Sophie im knöchellangen Spitzenkleid mit rosa Stola und ledernem Arztköfferchen verzieht keine Miene, während sie ein Sprüchle nach dem nächsten klopft. Ein bisschen erinnert sie an eine Schwarzwälder Version von Mary Poppins. Das laute Lachen bei dieser (zugegeben etwas anderen) Stadtführung durch Haslach im Kinzigtal schallt über den Marktplatz. Hoch oben auf dem Kirchturm sitzt ein Storch in seinem Nest und schaut auf uns runter. Ob er mitkriegt, was hier grade abgeht?

Ondere Umständ

Herzlich willkommen also zur Hebammentour durch Haslachs historische Altstadt – eine von vielen spannenden Veranstaltungen in der Progammreihe DORT, donnerstags in der Ortenau, des Landratsamts Ortenaukreis. Vom alten Kapuzinerkloster aus führt uns Sophie vorbei an der Statue von Schwarzwald-Dichter Hansjakob durch Haslachs Handwerkerviertel zum Marktplatz samt historischem Rathaus – und erzählt von „de ondere Umständ“, wie sie es nennt. 

Am Kloster erklärt sie, dass Frauen, die ein Jahr nach der Hochzeit noch immer kinderlos waren, früher zum Kapuzinermönch zur Beichte mussten. Und wenn man dann endlich ein Kind erwartete? Auch dann war man dazu verpflichtet, diese Nachricht bei der Kirche zu melden. Im Klostergarten packt Sophie ihr hebammen-typisches Kräuterwissen aus: Sellerie steigere die Lust, Brennnessel sei das Viagra des Mittelalters und Petersilie ein natürliches Abtreibungsmittel. Nicht selten wurden Hebammen deshalb für Hexen gehalten und verbrannt ...

Haslach im Ausnahmezustand

Dass Sophie keine echte Hebamme ist, wird spätestens dann klar, wenn man ihren Haushaltstrichter (statt Hörrohr) an ihrem Schurz baumeln sieht, mit dem sie scherzhaft die Bäuche der Teilnehmer abhört. Im echten Leben heißt die Stadtführerin Billy Sum-Herrmann, ist Schauspielerin und führt Schaulustige als Buttermariele oder Hebamme durch Haslach, als Henkerin durch Hausach oder als Waschweib Wilma durch Wolfach. Mit ihrer frechen Art ist sie im ganzen Kinzigtal bekannt.

Und das ist nicht zu übersehen! Ganz Haslach spielt ihr Schauspiel bei der anderthalbstündigen Tour mit. „Klappt‘s mit’m Stille?“ oder „Nochher komm ich zur Nochuntersuchung!“ ruft sie Passanten zu und stößt damit an jeder Ecke fiktive Gespräche über den Milcheinschuss und das Wochenbett an. Dennoch schafft Billy die perfekte Balance aus Witzle und wertvollen Infos. So geht sie zum Beispiel auf den Kindlesbrunnen auf dem Haslacher Urenkopf ein, auf die Tradition des Storchentags am 22. Februar und auf die früher übliche Taufe nur wenige Tage nach der Geburt aus Angst vor Teufel und Fegefeuer. 

Nicht selten nimmt sie dabei die Regeln der Kirche auf die Schippe, zum Beispiel, wenn es um den Muttersegen geht ohne den eine Frau nach der Geburt nicht unter Leute durfte. Wer sich auf das Schauspiel einlässt, Sinn für Humor mitbringt und Badisch versteht, der bekommt mit Billy eine Stadtführung abseits der Vogelperspektive, mit einem ganz persönlichen Blickwinkel – und das macht es ungemein spannend und tiefgreifend. 

Führungen mit Billy

... gibt’s etwa für 12 Euro im Rahmen des DORT-Veranstaltungsprogramms vom Ortenaukreis. Diese und viele weitere Events rund um Kultur und Kulinarik in der Ortenau findet ihr hier.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 39 (4/2023)

Rein in den Sommer – mit unserer Liegestuhl-Lektüre! Wir laden Euch diesmal zum Abtauchen ein, denn wir haben uns gefragt: Wo kühlt man sich im Schwarzwald ab, wenn die Sonne brennt? Zusammengetragen haben wir eine bunte Mischung aus altbekannten und geheimen Bade-Spots. Auch darüber hinaus ist Wasser voll unser Element! So sind wir zum Beispiel in Pforzheim auf der Black Forest Wave gesurft und waren tauchen im Rhein. Außerdem sind wir für ein Wochenende im schönen Renchtal gestrandet, haben mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick eine Runde Promi-Gossip ausgetauscht und uns durch das blaue Gold von Enzklösterle probiert: Waldheidelbeeren

Weitere tolle Artikel aus der #heimat

Jana Zahner

How to Schnapsbrunnen

Einen Kulturschock erlebte unsere schwäbische Kolumnistin, als sie vor 10 Jahren zum ersten Mal das Renchtal besuchte. Dann aber tauchte bei einem Spa...
Unter Tage unterwegs

Glückauf, Schwarzwald! Auf Schatzsuche im Bergwerk

Auch unter Tage hat unsere Region was zu bieten: Wir waren in den Neubulacher Stollen – und haben wahre Schätze entdeckt
Von Haslach nach St. Georgen

Beste Aussichten: Unterwegs mit der Schwarzwaldbahn

Der Schwarzwald eine der schönsten Bergbahnen Europas – und das seit nunmehr 150 Jahren. Wir sind mal mitgefahren
heimat+ Surf and the city

Die perfekte Welle: Surfen in Pforzheim

Mitten in der Stadt aufs Surfbrett steigen: Geht! Und zwar in Pforzheim – auf einer künstlichen Welle in einem Kanal
... Schwarzwald Die Mary Poppins aus dem Schwarzwald