Das Drachenfest vom Hotzenwald

Wenn in Hütten bunte Glücksbringer aufsteigen, ist wieder Drachenfest. Wir haben einen Piloten aus dem Hotzenwald getroffen

Text: Sophie Radix Fotos: Daniel Schoenen

Ein leichter Windstoß bringt den rund zehn Meter langen Drachen zum Zittern. Der gezackte Schwanz flattert kurz auf der Erde. Dann bläht sich sein riesiges Maul – und er erhebt sich in den blauen Himmel über Rickenbach-Hütten im Südschwarzwald. Der fliegende Regenbogen strahlt minutenlang hoch in der Luft, gelenkt von Volker Przybilla – Drachenpilot aus Leidenschaft. „Fliegt nicht, gibt’s nicht“, sagt der 66-Jährige mit Rauschebart und Käppi ganz cool, während er den Drachen wieder zu Boden bringt. Diesen Spruch hat er sich zum Motto gemacht. Gut für uns: An diesem lauen Septembertag ist nämlich Windstille angesagt. Bissl ungünstig, wenn man eine Reportage über das Drachenfliegen machen möchte. „Selbst bei Windstärke  0 hätten wir etwas in die Luft gebracht“, sagt Volker gelassen. Denn das Arsenal an Drachen ist schier unendlich: „Es gibt Null-Wind-Drachen, Leichtwinddrachen, stablose Drachen, Kampfdrachen …“ Kampfdrachen? „Ja, beim Rokkaku-Kampf fliegt man sechseckige Drachen. Dabei geht es um einen freundschaftlichen Wettstreit. Man versucht, den gegnerischen Drachen zu Boden zu bringen. Wer am längsten oben bleibt, hat gewonnen.“ Neben den spielerischen Kämpfen gibt es aber auch harmonische Lufttänze – im wahrsten Sinne des Wortes: „Dann fliegen die Drachen auf Musik in einer richtigen Choreografie. In einer Reihe, im Kreis, übereinander. 2006 hatten wir die bisher längste Feuervogelkette mit 28 verbundenen Drachen.“

All das und mehr kommt wieder: Das Drachenfest am 7. und 8. September 2024 verwandelt den Himmel wieder in ein buntes Schauspiel – mit Drachen von bis zu 30 Metern Länge, einem abendlichen Feuerwerk und beleuchteten Drachen am Samstagabend.

Genau diese Vielfalt begeistert Volker. Seit mehr als 25 Jahren ist er Drachenflieger. Seine erste richtige Begegnung mit Flugdrachen hatte er im Schwarzwald: „Bei Donaueschingen waren ganz viele schwarze Kleckse im Himmel.“ Es sah aus wie ein riesiger Schwarm Vögel – aber etwas war anders … „Ich bin dann hingefahren und habe den Drachen beim Tanzen in der Luft zugesehen.“ Der Beginn einer Leidenschaft für den pensionierten Zahntechniker. Seitdem war er auf Drachenfesten in ganz Europa, darunter Dänemark: „Das ist richtige Drachenkunst, wenn an der windigen Küste die Drachen in die Luft steigen“, schwärmt er. In speziellen Drachen-Workshops hat er dann gelernt, wie er selbst Drachen bauen kann. Von der Schablone bis zum finalen Anbringen der Schnüre macht er alles selbst: „Mein Wohnzimmer ist meine Werkstatt.“ Teilweise sind seine Kunstwerke inspiriert von George Peters, einem weltberühmten Drachenbauer aus den USA. Ein Drache besteht in der Regel aus Gestänge, Bespannung und den Schnüren, die den Drachen in der Waage halten. Und man muss sein Handwerk schon verstehen! Volker kennt alle möglichen Drachen und jeden Knoten – und viele Geschichten außerdem.

Die Geschichte der Glücksbringer

Die Feuervögel und Flugsaurier auf modernen Drachenfesten gehen nämlich zurück bis ins fünfte Jahrhundert vor Christus: „Die ersten Flugdrachen kamen vermutlich aus China, wo sie unter anderem für Kommunikation genutzt wurden. Sie wurden dann vermutlich über buddhistische Missionare in ganz Asien verbreitet.“ Und dort blieben sie – auch für praktische Zwecke: „Man hat mit Drachen zum Beispiel Fische gefangen, indem man Leinen an ihnen befestigte“, sagt er. Und: „Der sogenannte Rokkaku-Kampf kommt aus der japanischen Edo-Zeit im 18. Jahrhundert. In einem Dorf gab es mal Streit. Man trug diesen aber nicht zu Boden, sondern in der Luft aus.“ Flugdrachen wurden in der Edo-Zeit außerdem genutzt, um Landgrenzen zu markieren und damit Wasserrechte zuzuweisen: „Man hat in der Luft gezeigt, wem was gehört. Meistens mit Drachen, die Symbole ihrer Besitzer trugen.“ Passend – schließlich haben Drachen in der japanischen Kultur eine mächtige symbolische Bedeutung und gelten unter anderem als weise Hüter von Wasser und Regen, die außerdem Glück bringen.

Alles da, was Flügel hat

Auch wegen ihrer Mythologie ist Volker fasziniert von Drachen. Heute frustriert ihn aber eine Sache zunehmend: „Supermärkte verkaufen oft billig produzierte und teils schlecht gefertigte Drachen“, sagt er. „Die halten sich kaum in der Luft. Und die Kinder und ihre Eltern geben dann natürlich auf.“ Wer Interesse am „richtigen“ Drachensteigen und dem damit verbundenen Handwerk hat, ist auf dem Drachenfest also an der besten Adresse: „Es kommen nationale und internationale Drachenpiloten“, sagt er. Kinder können hier also von den Besten lernen, wie man Drachen sicher in der Luft hält.

Volker organisiert das Fest seit seinen Anfängen im Jahr 2002 – und das ehrenamtlich. Für den Rentner ist das ganz selbstverständlich: „Meine Drachen verkaufe ich auch nicht, sondern verschenke sie.“ Als „Lohn“ für seine Arbeit darf er selbst in die Luft. Das Fest ist nämlich nicht nur für Kinder und alle Interessierten, sondern auch für den ansässigen Segelflugverein: „Das Drachenfest ist abgesehen von einer kleinen Parkgebühr komplett kostenlos. Spenden und Einnahmen aus der Verpflegung gehen aber an den Verein. Ich fliege dann mal mit einem Segler mit.“ Und das lohnt sich: „Bei guter Sicht blicken wir hier auf die Alpenkette.“

Eigentlich ist in Rickenbach alles willkommen, was fliegt. So waren 2023 seltene Waldrappen zu Besuch im Hotzenwald: Die Vögel wurden vom Bodensee aus ausgewildert und haben am Segelflugplatz ein Päuschen auf ihrem Weg nach Spanien gemacht. „So etwas bringt Glück“, findet Volker. Wie die Drachen. Man darf gespannt sein, was dieses Jahr beim Drachenfest so alles in der Luft tanzen wird …

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