Der Tod steht ihr gut: Lisbeth, die Lichtsagerin

Früher gingen Lichtsager von Hof zu Hof und berichteten, wer gerade gestorben war. Heute macht das Monika Reinbold-Schmidlin: Wir haben sie begleitet

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Du bist tot! Du lebst! Du vielleicht! Lichtsagerin Lisbeth ist da ganz direkt. Sie zählt die Leute ab und sagt ihnen das Schicksal voraus, das ihnen blüht. Mir hat sie gerade gesagt, dass ich vielleicht nicht sterben werde. Ein Vielleicht ist kein Trost. Schon beginnt das Kopfkino heiß zu laufen, da muss jemand lachen und eine Ziege meckert. Zum Glück bin ich gar nicht im 16. Jahrhundert, und die Pest – ist in Europa längst ein Fall für die Geschichtsbücher. Ich atme erleichtert aus, die Dampfwolke spricht Bände…

Wenn der Totenvogel ruft

Es ist stockdunkle Nacht und die Lichtsagerin Lisbeth alias Monika Reinbold-Schmidlin erzählt noch ein paar Takte mehr von der Pest und dunklen Vögeln, die auf dem Feld sitzen und den Tod ankündigen. „Ein schlechtes Omen“, stellt sie fest. Mit schwarzen Kolkraben, badisch Krappe, lässt sich keine goldene Zukunft verkünden. Dann gibt es noch den Waldkauz, den Totenvogel schlechthin. Wenn vor dem Fenster ein Kauz „koimit“ ruft (was man als „komm mit“ verstehen kann), weiß jeder, dass eine Seele auf Wanderschaft geht. Was steckt dahinter? Monika erzählt’s uff Badisch und berichtet, dass der Vogel vom Licht angezogen wird. Da es früher keinen Strom gab, wurden Stuben nur dann mit Kerzenlicht oder Funzeln beleuchtet, wenn dort eine Leiche für die Totenwache aufgebahrt war. So wurde ein kleiner Kauz zum Totenvogel. Lichtsagerin Monika hat ihren Namen aber nicht vom Kerzenlicht, sondern weil sie die Todesfälle ankündigt. Sie spricht von der Lich, wie man im Dialekt zur Leiche sagt. Dass sie für diesen Job eine Laterne trägt, passt aber auch ganz gut.

Jedenfalls spielt Monika heute eine ihrer Traumrollen. Im Sommer kennt man sie als Burgfräulein von Landeck, sobald der Nebel über die Hochweiden bei Mundingen zieht, ist sie die Lichtsagerin. In alter Zeit – und das ist noch gar nicht so lange her – gingen meist arme, bedürftige Frauen von Hof zu Hof und verkündeten die Nachrichten. Die wohl wichtigste Nachricht war ein Todesfall. Er oder sie ist gestorben, dann und dann ist die Messe, dann wird beerdigt. Einer musste die Nachrichten bringen, es gab ja nichts. Sogar als die Menschheit schon auf den Mond fliegen konnte, waren Lichtsager noch auf Feldwegen unterwegs, denn auf manchen Einödhöfen stand die Zeit seit 1919 still. In diese Rolle schlüpft die Moni, wie sie auch genannt wird. Sie ist als lebenslustig bekannt, sie hat Ziegen, sie lebt freiwillig auf dem Flecken Landeck (tolle Aussicht, aber sonst?) und sie kennt sich aus mit der Natur, den Leuten und der Geschichte. Sie weiß, wer wo wohnt, hat in alten Büchern geforscht, schwätzt mit den Leuten und ist somit bestens präpariert, um mit Interessierten auf eine Erlebniswanderung zu gehen. Natürlich im Dunkeln und egal bei welchem Wetter. „Einmal hatte es minus 20 Grad“, erzählt sie, „nur ein einziges Mal sind wir nicht raus, das war wegen einer Sturmwarnung.“ Jetzt ist es einfach nur saukalt und stockdunkel. Ob das jetzt ein Weizenfeld ist oder eine Kuhweide, ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Die uralten Höfe, ehemals zum Kloster Tennenbach gehörend, sind nur durch gelbliche Lichter zu erkennen. Kein Wolf heult, kein Hund bellt, aber die Ziege meckert. Wann geht’s los?

Eiserne Reserve: der Schnaps

Aber halt, erst muss sie noch erklären, warum sie ein Töpfchen und eine Flasche aus Steingut dabei hat. Manchmal wird sie für ihre Dienste mit Griebenschmalz bezahlt, das muss dann ins Schmalztöpfchen. Manchmal bekommt sie auch Eier oder Kuchen, Speck oder Schnaps. Für all das hat es eine Kratte, einen Korb. Wenn sie keinen Schnaps bekommt, dann trinkt sie den eigenen, darum die Flasche. „Mirabelle“, sagt sie mit einem Unterton, der es schwer macht, nicht nach einem Schluck zu fragen. Dann sagt sie „Reserve“, was soviel heißt wie, jetzt noch nicht, vielleicht später.

Beim ersten Hof legt sie schon los: „De Küferi ihr Mann im Loch isch geschtorbe, Küferi losst bätte, am Mändig morge um elfi, mit ihrem Mann selig, bätte für die Licht!“ „Wer sin’ die Litt?“, will die Nochberi wissen und wir werden als Praktikanten vorgestellt. Wir merken schon, dass die Grenzen zwischen damals und heute fließend sind und der Moni der Schalk im Nacken sitzt. Ein Schluck Schnaps, die Backen leuchten etwas mehr und die Lichtsagerin und ihre Praktikanten folgen der Straße den Buckel nuff. Wir laufen eine Weile, kommen an einer Kreuzung vorbei und laufen wieder abwärts. Sind Vögel in der Luft? Schwarze Vögel? Der Tod wird uns begleiten, der Sensenmann wird auch seinen Auftritt haben.

Getrunken wird immer

Wir laufen beim Stilzer-Fritz vorbei, über den die Leute so einiges wissen. Das war bis vor drei Jahren ein Ausflugslokal. Die Wirtin weiß, wo es Pilze hat, ihre Steinpilzpfanne mit Nudeln ist legendär. Und jetzt? Der Stilzer-Fritz (hochdeutsch: der Holzbein-Fritz) ist längst tot und Wirtin Ingrid hat keine Lust mehr. Ein Jammer, fluchen wir und laufen am dunklen Haus vorbei bis zum Amsen-Hof. Ein großes Gehöft ist es und wir rufen die Bäuerin raus. „Wer ist die Bagage?“, fragt Rita. Wenn die Leute höflich sind, sagen sie „die Litt“ und wenn sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, dann sagen sie wie Rita halt „die Bagage“. Es heißt auch nicht gestorben, sondern verreckt oder hii, was mausetot bedeutet. Wir legen los: „Der Küferi ihr Mann im Loch …“ Die Nochberi ist ganz verschreckt. Darauf einen Schnaps! Getrunken wird immer, genauso wie gestorben … In der Knochenscheune steht schon alles parat, normalerweise werden hier Tiere entbeint. Gläser, Schnapsflasche und eine Buddel mit Eierlikör stehen bereit. Der wird mit Milch gemacht, denn den Rahm brauchte man für die Butter, erklärt die Bäuerin. „Wie ein Dessert“, jubelt jemand. Beim Schnaps wird der milde Abgang gelobt, was für einen Brummer mit 51 Prozent nicht zu erwarten ist. Wir dachten eher, der weckt Tote auf …

Der Job der Knochenbrecher

Während wir so reden, hören wir Metall über den Boden kratzen. Neugierig schauen wir, woher das fiese Geräusch kommt und sehen zwei dunkle Gestalten, die eine mit einem blitzenden Etwas über der Schulter. Der Sensenmann war’s und er hatte es eilig. Wir bleiben aber noch unter den Lebenden und dackeln ein paar Meter weiter zum übergroßen Grabstein vom Amsen-Bür, dem Bauer des Amsenhofs und dann nebenan zu einer kleinen Scheune, wo besagter liegt. 

Die Lichtsagerin verwandelt sich jetzt in die historisch interessierte Monika Reinbold-Schmidlin, die uns von der Holzknappheit im Schwarzwald berichtet. Damals durften die Särge nicht sehr groß sein. Monika zeigt gleich auf die Großen in der Gruppe, also auch auf mich, und berichtet, was mit uns passiert wäre. Der Knochenbrecher wäre gekommen und hätte uns ein bisschen verkürzt. Damit das nicht bei Scheintoten passiert, gab es ein paar Vorkehrungen, so wurde ein Glas Wasser auf den Bauch gelegt. Zitterte das Wasser, war der Mensch lebendig – oder ein Erdbeben kam. Für den zweiten Test hielt man eine Glasscherbe unter die Nase, um zu sehen, ob sich der Spiegel beschlägt.

Ein weißes Hemd hängt an einem Haken, es ist das letzte Hemd, das Totenhemd. Eigentlich würden wir jetzt ein Stück runter Richtung Mundingen gehen, aber es ist zu dunkel. Einmal hatte die Moni auf dem Weg dorthin an einem Baum ein Feuerchen gemacht, dann fing der ganze Baum an zu brennen. „War nicht schlimm, der Baum war eh hii“, zitiert sie die Bäuerin.

Alles ist wahr

Jetzt aber zum Stilzer-Fritz, hier hat die Ingrid für uns Kuchen gebacken. Wir rufen unseren Spruch, als hätten wir noch nie etwas anderes gemacht, als Leichen ansagen. „Der Küferi ihr Mann im Loch …“ Die Bäuerin kommt heraus und unter dem Carport gibt es Kuchen. Eine Katze streicht herum. „Zum Glück ist es keine schwarze Katze“, sagt einer aus der Gruppe. Jetzt sind wir richtig tief im Aberglauben und die Moni erzählt uns am Waldrand noch drei dunkle Geschichten mehr. Die Geschichte vom Messer im Hals, vom bösen Geist im Zimmer… Und natürlich: „Ich erzähle euch keine Geschichten, nur Wahrheiten!“ An einer Eiche flackert derweil ein Feuer. Da die Eiche voll im Saft steht und es regnet, wissen wir, dass dieser Baum nicht abbrennen wird. Mit gutem Gewissen gehen wir in stockdunkler Nacht zum Huttenhof. Alle da? Keiner ging verloren.

Vesper und Todeszone

Endlich Vesper. Endlich eine warme Stube. Jungbäuerin Elke tischt fürstlich auf und der Most wird eingeschenkt. „Der erste Schluck schmeckt nie“, heißt es über das traditionelle Gebräu der Schwarzwälder. Da gehen die Meinungen auseinander. Den einen schmeckt schon der erste Schluck, den anderen auch nicht der zweite, dritte oder vierte.

Über Speck, Schwartenmagen, Schwarzwurst und Bauernbrot lässt man aber nichts kommen. So köstlich! Die Leute fühlen sich berufen, noch tiefer in die Welt des Aberglaubens und der tragischen Geschichten einzutauchen. Eine Bettina berichtet vom Himalaya, wo jedes Jahr Menschen in der Todeszone erfrieren. Ist’s ein schöner Tod? Puhh … Die originale Lichtsagerin, die Monika heute verkörpert, starb genauso. Nach einer Zecherei auf dem Amsen-Hof ist sie heimwärts ins Loch, wo sie nie ankam. Sie legte sich irgendwo ab und schlief ihren Rausch aus, der ganz woanders endete. Wer hat ihre Lich verkündet?

Monika Schmidlin kann über ihre Webseite für Touren angefragt werden: www.monika-schmidlin.de/die-lichtsagerin/ 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 18 (1/2020)

SUPPENZEIT! Schließlich gibt’s im Winter nichts Schöneres! Zudem gehen wir rodeln und lassen auch ein paar ganz schnelle Hunde den Schlitten ziehen …

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

Versandfertig in 1 - 3 Werktagen.   

Weitere tolle Artikel aus der #heimat

Ganz schön neu hier!

Von Oxalis bis Gioias: Neue Restaurants im Schwarzwald

Was gibt's Leckeres Neues? Diesmal im Angebot: Fern(K)östliches in Südwest, Fusionsküche zwischen Bollen und Bolero und ein Fine Dining im Versteck
Genießen im Schwarzwald

Geh mal hin: Berghütte Lauterbad

Wanderer sind naturgemäß hungrige Leute. Ein Königreich für Bier, Vesper, Schnaps! in Freudenstadt steht dafür strategisch gut die Berghütte Lauterbad
Wasserspaß für Groß und Klein

Rulantica: Das große Planschen

Die Indoor-Wasserwelt Rulantica ist eröffnet und damit ist der Schwarzwald um ein aquamarinblaues Juwel reicher. Wir sind schon mal eingetaucht …
Kuckuck-Awards

Nest des Jahres 2019: Das Elztalhotel

Wo kann man es sich im Schwarzwald besonders kuschelig machen? In der Kategorie „Nest des Jahres“ war's spannend. Am Ende ging der Kuckuck nach Winden...
... Menschen Der Tod steht ihr gut: Lisbeth, die Lichtsagerin