Christoph Wirtz: „Wurstsalat sticht manchen Hummer“

Christoph Wirtz war als Chefredakteur des Gault&Millau einer der einflussreichsten Männer in Sachen Fine Dining. Ein Interview

Christoph Wirtz war als Chefredakteur des Restaurantführers Gault&Millau einer der einflussreichsten Männer in Sachen Fine Dining. Der Journalist saß an so ziemlich allen wichtigen Tischen, hat in unfassbar vielen guten Restaurants gegessen und sagt: Eine gute Kartoffel ist in Deutschlands ambitionierter Gastronomie inzwischen seltener zu finden als Auswüchse wie Trüffel-Öl. Von eingemachtem Kalbfleisch mal ganz zu schweigen … Wir haben den Freiburger zum Interview getroffen. Zum Warmwerden haben wir ihm ein paar Fragen gestellt. Was denkt Dr. Christoph Wirtz über:

Speck?

Ganz wunderbar mit einem Apfel. Und wenn er nicht zu stark geräuchert oder gesalzen ist.

Badisches Vesper?

Speck!

Landmetzgerei?

Gibt es nicht so viele gute, wie es geben müsste. Zumal angesichts der Menge von Fleisch, die jeden Tag gegessen wird.

Hauswein?

Selten gut.

Müller-Thurgau?

Unbedingt. Und genauso unterschätzt, wie z.B. der Gutedel.

Süßreserve?

Indiskutabel.

Orange Wine?

Der Begriff gefällt mir nicht. Er bezeichnet aber Weine, die zunehmend interessanter werden und dient erfreulicherweise inzwischen nicht mehr nur dazu, fehlerhafte Weine zu vermarkten.

Das Elsass

Der Elsass verdanken wir nicht nur in Baden eine ganze Menge. Witzigmann hat in der Auberge de l’Ill seine prägende Zeit erlebt und viele deutsche Genießer haben nach dem Krieg dort gelernt, wie wichtig die kulinarische Westbindung ist.

Spargel?

Ein schönes, überschätztes Gemüse. Die jährliche Hysterie ist nicht so richtig nachvollziehbar und die damit einhergehende Plastikversiegelung der Landschaft unerträglich.

Freiburger Rote?

Esse ich regelmäßig. Ohne Zwiebeln im Baguette an wechselnden Buden. Wichtig: Immer nur vormittags und immer nur auf der Nordseite des Münsters. Gehört zur Stadt.

Brägele?

Sind meistens nix. Es gibt nur ganz wenig gute Adressen, wo‘s die in bester Qualität gibt. Im Ochsen in Emmendingen-Wasser zum Beispiel. Noch.

Badisch-mediterran?

Völliger Unsinn.

Salat mit Putenstreifen und Balsamico?

Darf gerne in den 90ern bleiben.

Schwarzwälder Kirschtorte?

Das gilt das Gleiche wie bei Speck, Gutedel und Brägele. Es gibt zu wenig gute. Wenn sie allerdings gut ist, ist sie wunderbar. Meistens enthält sie zu wenig Schnaps.

Schnaps?

Gehört dazu. Mein Winzerfreund Hermann Dörflinger aus Müllheim sagt immer, wenn der dritte nicht hilft, ist es der Blinddarm.

Die gute Landküche?

Ist so kostbar wie die Hochküche.

Köche, die zu ihren Gästen an den Tisch kommen?

Werden ihren Grund dafür haben.

Und jetzt zum offiziellen Teil des Interviews:

Warum sind Sie als Akademiker nicht in die Wirtschaft gegangen, sondern in die Wirtschaft? 

Wie immer im Leben: Weil es sich so ergeben hat. Ich beschäftige mich mit dem, was mich wirklich interessiert. Mit Esstischen. Mit dem was drauf ist. Aber noch mehr – mit denen, die dran sitzen. 

Dann ist Essen für Sie ein Mittel zum Zweck?

Ein Mittel zum Leben. Aber nicht nur. Essen ist auch Kulturgut. Und es ist eine glücksstiftende Tätigkeit. Essen gehört zum Wichtigsten, was Menschen in ihrem Leben tun. Sich jeden Tag damit zu beschäftigen – und mit den Auswirkungen, die das kulturell, politisch, sozial, ökonomisch und ökologisch hat – das fasziniert mich. Das Essen durchdringt unsere Welt, formt unsere Landschaften. 

War das Thema schon in der Kindheit präsent?

Ja, das war immer wichtig. Bei uns wurde auf Reisen gegessen und gereist, um zu essen. Insofern lag es mir immer nah.

Sie sagten mal, in Berlin hätte es die aufregendste Küche Deutschlands. Wie steht’s um Freiburg?

Man hat hier noch nie so gut gegessen wie heute. Ich könnte Ihnen aus dem Stand 15 oder 20 hochinteressante Adressen aufzählen, viele davon ganz jung. Also die Wolfshöhle, die Löwengrube, das Jacobi, die Trotte, die Eichhalde. Es gibt zudem allein drei ordentliche thailändische Restaurants im Umkreis und zwei interessante Japaner.

Hat der Südwesten ein Alleinstellungsmerkmal? 

Man hat traditionell im Südwesten immer besser gegessen als in anderen Teilen der Republik. Auch die Spitzenküche war früher präsent. Aber das ist natürlich auch ein Problem. Die Leute hier halten sich ihr Genießer-Image sehr zugute, Gäste wie Gastronomen. Und so eine Haltung führt meist zu einer gewissen Erschlaffung. 

Mögen Sie den Schwarzwald?

Ja, natürlich. Eine der schönsten Landschaften dieser Erde. 

Wandern Sie? 

Ich fahre da manchmal hoch, um durchzulüften. Das ist ja auch ein großer Vorteil in Freiburg: man ist innerhalb kürzester Zeit auf dem Berg.   

Sie meinen den Schauinsland?

Vor allen Dingen den Schauinsland. Wo hat man das, dass man mit der Straßenbahn in zehn Minuten draußen in der Natur ist? Ein Freund von mir wohnt am Stohren und hat ein kleines Baumhaus am Hang. Da kann man Skat spielen und Zigarre rauchen und bis zur burgundischen Pforte schauen. Da brauche ich keine Südsee.

Und dann auch mal vespern? Wurstsalat?

Unbedingt! Wenn der feinst geschnitten ist, die Wurstqualität top und die Zwiebeln keine groben Klötze… Dazu einen reifen Bergkäse, frischen Schnittlauch, guten Weinessig. Eine gewisse Säure braucht es, dazu ein Tropfen Öl, Bauernbrot und ein Glas Gutedel. Das sticht manch‘ faden Hummer! 

Es heißt, Sie gehen im Jahr zweihundertmal essen. Also gut essen. Gibt’s den Punkt, wo man sagt: ich kann nicht mehr?

Ich esse wie die meisten Menschen hierzulande an 365 Tagen im Jahr. Allerdings wohl deutlich häufiger im Restaurant als viele. Ich gehe aber leider nicht viermal in der Woche „gut essen“. Ich gehe manchmal auch ziemlich schlecht essen. Das sucht man sich nicht aus. 

Ist über Essen schreiben harte Arbeit?

Das Schreiben geht mal leichter von der Hand und mal weniger. Wenn ich aber sehe, was Leute in diesem Land an harter Arbeit leisten, dann befinde ich mich vergleichsweise permanent im Urlaub. 

Bei Gault&Millau sind Sie nicht mehr. Hatten Sie keine Lust mehr auf diese Hauben-Geschichten?

Das war ein ganz wunderbarer Job! Aber sicher keiner, in dem ich in Rente gehen wollte. Und wenn Sie mit „diesen Hauben-Geschichten“ meinen, dass ich der Hochküche überdrüssig geworden wäre: im Gegenteil. Übrigens finden Sie, wenn Sie den Gault&Millau durchblättern, ja auch sehr viele Restaurants, die eine ganz bodenständige, gute, den Alltag aufs Schönste bereichernde Küche bieten. Da türmt sich kein Kaviar, da rieseln keine Trüffelspäne. Ich habe mich mindestens so viel mit geschmorter Ochsenbacke beschäftigt …

… wie mit eingemachtem Kalbfleisch beglückt?

Nein, denn das gibt‘s leider kaum noch. Es ist ein deutsches Problem, gute Küche für luxuriös zu halten. Mir ist eine gute Kartoffel lieber als eine mittelmäßige Trüffel. Und ich finde eine gute Kartoffel in der deutschen ambitionierten Gastronomie übrigens auch seltener. Was man überall findet, ist Trüffel-Öl. Grauenvoll!

Welche Gerichte sollten mehr auf den Speisekarten stehen?

Die Liste wäre lang. Es ist völlig egal, was es gibt, solange es gut ist. Solange die Produkte stimmen und der Koch sein Handwerk beherrscht. Für eines aber würde ich plädieren: Wir haben mittlerweile so viel Auswahl, dass es wirklich nicht erforderlich ist, dreimal in der Woche die Speisekarte zu wechseln. Die Wirte sollten sich ein bisschen stärker fokussieren auf das, was sie können. 

Das heißt, Sie plädieren für Klassiker? 

Nein, auch Avantgarde-Küche begeistert mich, wenn Sie von einem Könner statt von einem Epigonen kommt.

Über was haben Sie sich in den vergangenen Jahren gefreut? 

Ich freue mich über die wachsende Vielfalt. Wir haben mittlerweile eine große Anzahl von sehr guter, entspannter, fröhlicher Gastronomie hierzulande. Ungeachtet aller Unkenrufe. Und was auch wunderbar ist: Diese ganzen Vorstellungen von Spitzenrestaurants als steife Angelegenheit sind völlig vorbei. Es ist fast so, dass ich mir mal wieder einen echten Oberkellner mit großer Geste wünschen würde. In Schwarz-Weiß natürlich und in festlichem Rahmen. Da darf dann auch gerne am Tisch flambiert werden. 

Drüben in Frankreich gibt es das noch, oder?

Das gibt es in Frankreich, auch in Italien, in Spanien. Das gibt es in allen kulinarisch traditionsreichen, hochentwickelten Ländern. 

Wie stehen Sie zur veganen Küche?

Da habe ich Fragezeichen. Die vegetarische Lebensweise ist mir dagegen absolut nachvollziehbar. Das Einzige, was mir daran nicht gefällt, ist der Name. Wenn Sie sich beispielsweise die italienische Küche anschauen, dann finden Sie da unglaublich viele vegetarische Rezepte, die selbstverständlicher Bestandteil der täglichen Ernährung sind. Ich finde den Begriff „vegetarische Gerichte“ diskriminierend. Das ist nah am Kinder- oder Seniorenteller. 

Was halten Sie von der Work-Life-Balance?

Ich bin wohl so ziemlich der allerletzte, der zu diesem Thema irgendeine kritische Bemerkung machen sollte. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es eine ganze Menge Menschen gibt, die bereit sind, bei ihrer Work-Life-Balance erhebliche Abstriche in Kauf zu nehmen. Andernfalls könnten wir den Laden nämlich dichtmachen.

Halten Sie Gäste für grundsätzlich kompliziert?

Nein. Es wird aber, so höre ich, nicht einfacher. Oder sagen wir es so: Jeder begegnet in seinem Leben einer ganzen Menge schwieriger Typen – und die gehen irgendwann auch alle mal essen.

Warum sind Sie kein Koch geworden? 

Es hat sich nicht ergeben. Und ich weiß auch nicht, ob ich hätte, was man dafür braucht.  

Gibt es irgendwas anderes, was Sie gerne machen würden?

Rhythmische Sportgymnastik.

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