Auf zum Baumwunder!

Herrliche Lichtstimmungen, ein Wald mit wunderbaren Farben – und dazu ein einzigartiger Baum: Den Balzer Herrgott müsst ihr besuchen!

Text: Pascal Cames · Fotos: Dimitri Dell

Der Weg ist das Ziel, das muss man keinem erklären. Damit wird noch die lumpigste Wanderung als gut oder schön verkauft. Die Schnitzelburg hat geschlossen, aber die Aussicht unterwegs war super. Oder: Der Zugang zur Aussichtsstelle war gesperrt, aber dafür haben wir Familie Müller getroffen. Ja, toll … Womit wir beim Kern der Sache sind: Ohne ein gescheites Ziel geht’s nicht.  Einfach so im herbstlichen Schwarzwald rumdabbe, ist blöd. Ein wunderbares Ziel ist der Balzer Herrgott bei Gütenbach. Balzer wer? Das ist eine Christusfigur, die aus einem Baum herausschaut. Warum und wieso? Dazu später. 

Wilder Schwarzwald

Nach einer Fahrt durch den wilderen Teil des Schwarzwalds beginnt unsere Tour am Ortseingang von Gütenbach. Zunächst geht es ein bisschen de Buckel nuff, vorbei an leer stehenden Kneipen, und dann fragt man sich, wo es denn zum Breitweg abzweigt. Gute Frage, die mit Grips gelöst wird. Die Straße über den Teichbach heißt Breitwegstraße. Ganz schön steil. Oben am Breitweg steht ein großer Bauernhof mit Schindeln, Geranien, Bauerngarten und Holzzaun, Christusfigur am Haus sowie Traktoren, Ställen, Bienenstöcken. Gegenüber Ziegen und ein Schild, dass hier Holzofenbrot gebacken wird. Aber es riecht nicht nach frisch gebacken, sondern nach Kuh.

Die gute Landluft lasse ich hinter mir und wandere weiter bis zu einem Wegkreuz. Der Balzer Herrgott ist schon ausgeschildert. Erste Sitzgelegenheiten mit Blick über die weite Freifläche mit Kühen. Ist das jetzt eine Lichtung oder eine Hochebene mit Wald außen herum? Der durch den SWR bekannte Fallerhof (eigentlich Unterfallengrundhof) liegt in der Mitte. Hier sind die Wiesen so saftig wie Ortenauer Ruländer! 

Das erste Bier an der Tankstelle, alias Schnapsbrunnen, ist schon verdient. Der Mensch, der ihn gemacht hat, freut sich nicht nur über Münzen, sondern auch über Worte im Gästebuch. „Danke fürs Gesöff“, lese ich und „Klasse Idee“ und „5 Flaschen für 10 Euro = Preis ok“. Auch Schauspielerin Ursula Cantieni (Die Fallers) hat sich verewigt: „Als die ‚Fallers‘ auf den Westweg gingen, hat Leni die Piccolöchen noch im Rucksack mitgeschleppt …“, schreibt sie über die „wunderbare Idee“. Stimmt! Dank Schnapsbrunnen geht Leben und Wandern leichter. 

Am Baumwunder

Unterwegs gibt der Wald schon einen Blick frei auf die andere Talseite. Mächtig!  Und auch der Balzer Herrgott ist nicht zu übersehen. Hier sitzen und stehen die Leute, und wer das nicht macht, fotografiert. Es ist ein Kommen und Gehen, nur der Christus bewegt sich nicht. 

Die Geschichte vom Baumwunder sollten wir noch verraten: Ein Schwarzwaldhof wurde unter einer Lawine begraben, junge Burschen trugen die dort obligatorisch vorhandene Christusfigur fort und stellten sie an einen Baum. Das war zwischen 1870 und 1880. Dann kam ein anderer Bursche und hängte sie an den Baum. Jetzt kommt die Hainbuche ins Spiel, die typisch ist für Weiden und Lichtungen auf 900 Metern Höhe. Diese Buche hat die Eigenschaft, mehrstämmig zu wachsen und dann, nach 100 Jahren, wieder zusammen zu wachsen. Genau das ist hier passiert. Kurz bevor der Baum endgültig den Christus unter seiner Rinde verschwinden ließ, legte 1986 der Gütenbacher Schnitzer Josef Rombach den Christus wieder frei. Dann wurde die Rinde versiegelt und gegen Pilzbefall geschützt. So hat der Schwarzwald eine Rarität bekommen: ein Baumwunder mit eingewachsenem Christus. 

Schnapsbrunnen No. 2

Der Platz hat was. Große Steine wurden im Halbkreis um die Buche gesetzt, mit zwei Metern Abstand ein Holzzaun, dahinter liegen kleine Steine im Halbkreis. Durch die Äste fällt warmes Licht. Der Ort lässt keinen kalt. In einer Schatulle („Nei guga!“) liegt ein Besucherbuch mit Dankesworten von Menschen aus Kanada, Thailand und sonst wo. „Danke für die schöne Welt.“ Auf dem Buch steht: „Ich brauche keine Therapie. Ich muss nur in den Schwarzwald“. Statt über die Hexenlochmühle (Schwarzwälder Kirschtorte, Bier, Terrasse …) laufe ich zu Franz Trenkles Berghütte mit Schnapsbrunnen. Nicht abschrecken lassen, wenn der Weg anfangs trist ist. Er wird besser! In der Hütte hat es Kartenspiele, Erinnerungsfotos und CDs von Wolfgang Petry und den Amigos. Der Liegestuhl ist noch original 70er-Jahre, Bier und Bluna aber herrlich kalt. Im Hüttenbuch haben sich Gott und die Welt verewigt: ein wunderschönes Fleckchen Erde, Muchas Gracias, Hab’ ein bisschen gepäpert …  

In der Schlucht

Jetzt aufpassen. Der Weg führt abwärts nach Wildgutach und nicht rechts! Jeder weiß, wenn es bergab geht, geht es auch wieder bergauf. Weil der Weg durch die Teichbachschlucht fast so steil ist, wie eine Skischanze in Schonach wird es schweißtreibend. Dafür ist es aber angenehm frisch und der Wald duftet nach Moos. Das gleicht die Mühe aus. Was in der Teichbachschlucht geboten wird, fällt unter Dschungel und heißt im Fachjargon Bannwald. Hier verrotten die Bäume im Stehen und im Liegen, dafür wachsen andere fast 100 Meter hoch, der Bach sprudelt und das Wasser fällt die Felsen herab. Wildromantisch! 

Ich erinnere mich an den Spruch „Der Weg ist das Ziel“. Der Balzer Herrgott mag ja super sein, aber die Teichbachschlucht ist es auch! Aber dann fällt mir noch ein weiteres Ziel ein: ’s Dorfcafé mitten in Gütenbach, wo es die besten Kuchen weit und breit geben soll, dazu noch im zünftigen Format für Holzfäller und Wanderer: „Unter 300 g sind Kuchen Kekse“, lese ich dort. Ein amtliches Ziel! Alles, was fehlt, ist ein Gästebuch für ein herzliches Dankeschön …

Die Rundwanderung
Gütenbach, Felsenkeller – Breitweg – Balzer Herrgott – Mörderloch – Wildgutach – Teichbachschlucht – Gütenbach, Felsenkeller. Länge: 11 km, Dauer: 3,5 Std.

Baumwunder Balzer Herrgott

Bäume, die über Figuren, Geländer oder Verkehrsschilder wachsen (umwallen genannt), sind gar nicht so selten. Im Falle Gütenbach dauerte es über 100 Jahre. Fotos von den verschiedenen Stadien der Umwallung befinden sich im Dorf- und Uhrenmuseum Gütenbach. Über die Christusfigur gibt es zwar eine glaubhafte Theorie (siehe Text), aber es könnte auch ganz anders gewesen sein. Es könnte auch ein Bauer namens Balzer gewesen sein, der aufgrund eines Gelübdes den Christus hierhin hängte. Der Betreffende schweigt sich dazu aus.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 34 (5/2022)

Die neue #heimat ist da! Wisst Ihr eigentlich, wo es im Schwarzwald das beste Frühstück gibt? In der neuen #heimat haben wir für Euch die besten Breakfast-Locations zusammengestellt – von einer Bergstation mit fantastischer Aussicht über ein Hotel mit XXL-Frühstücksbuffet bis hin zu einem glutenfreien Café. Dazu nehmen wir Euch mit auf eine Gravelbike-Tour, stellen Euch Deutschlands Räucherpapst vor, gehen übersinnlichen Phänomenen nach – und natürlich noch vieles mehr!

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