Wilder Winter

Der Schwarzwald ist winterlich kalt – und wir gehen zelten. In Tipis hinterm Feldberg. Wie das wohl wird ...

Text: Ulf Tietge Fotos: Felix Groteloh

Es ist nicht kalt. Es ist eisig. Die Zeltwand knistert richtig. Jedes Mal, wenn der Wind wieder auffrischt, bricht die dünne Eisschicht auf dem Baumwollgewebe und rieselt zu Boden. Man spürt körperlich, wie draußen der Winter grimmt. Aber es hilft nichts. Ich muss raus aus dem Schlafsack, den Brennholzvorrat aufstocken. Denn bis zum Morgengrauen komme ich mit den paar Scheiten hier nicht mehr aus. Also Hose an, Bergschuhe geschnürt und die Stirnlampe auf den Kopf. Es ist kurz nach drei Uhr in der Nacht und erst jetzt wird mir klar, wie abenteuerlich so eine Winternacht im Zelt hier oben am Schlüchtsee bei Grafenhausen wirklich ist.

Wir sind 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Das Thermometer ist irgendwo bei sechs Grad unter null, gefühlt sind es klar unter minus zehn, die Profis in den anderen Zelten werden das morgen bis aufs Zehntel genau wissen. Nur liegen die jetzt alle in ihren Himalaya-tauglichen Super-Schlafsäcken auf Hightech-Feldbetten und haben maximal eine kalte Nase.

Ich dagegen schlottere. Auf die Festival-Ausrüstung zu vertrauen, sich der eigenen Wikinger-DNA zu rühmen und einfach eine dünne Isomatte zu nehmen, war halt doch keine gute Idee. Der Schlafsack ist so kurz, dass er mir gerade so bis zur Brust reicht – aber in diesem Moment ist das alles egal. Denn über mir spannt sich ein klirrend schöner Winterhimmel. Nicht mit 50 oder 100 Sternen wie in klaren Nächten über Offenburg, sondern mit der ganzen Milchstraße in all ihrer Pracht. Das müssen zigtausend Sterne sein! Und ganz egal, wie kalt es ist: Diesen Anblick muss man genießen! So herrlich!

Nach vielleicht zwei, drei Minuten sehe ich die erste Sternschnuppe. Wünsch dir was, denke ich und hoffe gleichzeitig auf eine frühe Morgendämmerung und ein zeitiges Frühstück. Aber daran hat der Olly bestimmt gedacht! Er ist einer der Profis hier, genau wie Rainer mit dem Waffeleisen über dem Holzfeuer oder Angela, die eigentlich nur gern paddelt, aber dann irgendwann dem Zauber des Wintercampens erlegen ist. Das Camp-Wochenende hier oben im Schwarzwald hat sie organisiert. Die Stille, der Schnee, die Gemeinschaft: Das ist was anderes, als mit dem Wohnwagen dicht an dicht am Bodensee zu stehen.

Angela kennt jeden, der hier im Camp sein Tipi aufschlägt und für ein paar Tage der Zivilisation entflieht. Ob jemand Schreiner ist oder Vorstand in ’nem Krankenhaus, Grundschullehrerin oder Zahnarzt: Das spielt alles keine Rolle. Nicht mal Nachnamen gibt es hier im Camp, stattdessen aber eine tolle Atmosphäre. Man hilft sich, leiht sich was, tauscht sich aus. Vorn bei den Österreichern liegen die Huskys auf ihrer Decke und dösen vor sich hin. Wenn ich nicht wüsste, dass es bis Freiburg nur eine halbe Stunde mit dem Auto ist: Grafenhausen könnte auch irgendwo in Alaska sein. Insofern: Willkommen im Winter! Aber jetzt sollte ich vielleicht doch mal der Reihe nach erzählen, wie hier alles begann …

Samstag, gegen ein Uhr ...

Über zwei Stunden sind wir von Offenburg nach Grafenhausen gefahren. In Freiburg roch es noch nach Frühling, im Höllental begrüßte uns Frau Holle mit weißen Flocken. Am Titisee und Schluchsee vorbei zum Schlüchtsee wurde es immer winterlicher. Das ist schon eine Besonderheit des Schwarzwalds, dass man einfach so zwischen den Jahreszeiten hin und her wechseln kann. Meine liebe Frau Susanne hat zusehends Respekt vor der Kälte, Sohn Julian dagegen nimmt’s stoisch. Wird schon gut werden im Outback. Auch wenn es kein WLAN gibt und sicher auch keine Steckdose, um das Handy zu laden …

Samstag, halb zwei

So langsam haben wir alle kennengelernt. Zum Beispiel Angela, das Freiburger Bobbele. Sie wohnt hier oben am Schluchsee, liebt die Stille die Natur und das Draußensein. Im Sommer ist sie am liebsten mit dem Kanadier unterwegs, diesen offenen Kanus, in denen man zum Paddeln sitzt oder steht. Ihr Mann Uwe ist dann dabei, ein Zelt im Boot, und abends wird auf einer Sandbank campiert. „Am offenen Feuer etwas Leckeres kochen, das ist doch einfach herrlich“, sagt Angela und guckt mich ein bisschen irritiert an. Wie kann man nur wissen wollen, was am Campen so reizvoll sei … Was für eine merkwürdige Frage!

Während ich noch mit Angela rede, kommt Rainer dazu. Auch so einer mit Schwedenerfahrung, für den der Schwarzwald eine Art Ersatzdroge ist. Mit Rainer darf ich das Zelt aufbauen, das Benny für uns bereitgestellt hat. Benny ist der Dealer hier oben. Er versorgt die Gemeinschaft mit allem, was dem Wintercamper lieb und teuer ist: Kochstellen und gusseiserne Töpfe zum Beispiel, Schornsteine für den Ofen im Zelt, mobile Solaranlagen, Spezialholzkohle, die man mit Wasser löschen und wieder anzünden könnte, und sogar Saunazelte. Bei seiner Firma Öventura gibt es offenbar alles, was man für den Outdoor-Spaß so braucht und über das man am Lagerfeuer stundenlang fachsimpeln kann. Ich mein: Ist doch klar, dass man je nach Bodenbeschaffenheit verschiedene Heringe für sein Tipi braucht, oder?

Kurz nach zwei …

Unser Zelt steht. Ging viel einfacher als gedacht. Nur kurz ein ebenes Stück Gelände finden, dann den kreisrunden Zeltboden ausbreiten und festhalten. Mit Schnur und Schablone werden die Heringe gesetzt und schon geht’s ans Aufrichten vom Zelt. Eine einzige Stange braucht es dafür. Zack! Zelt steht! Schnell in die Heringe hängen, zwei Schwinger mit dem Hammer, fertig! Keine Ahnung, warum Winnetou immer mit einem ganzen Pferd voll Zeltstangen durch die Prärie zog – braucht’s doch gar nicht!

Während ich stolz wie Bolle, aber auch reichlich ungeschickt und alles andere als fotogen auf allen vieren rückwärts aus dem Zelt krabbele, um Schlafsäcke und Isomatten zu verteilen, reicht mir Rainer eine ganze Kiste voller Edelstahlrohre. „Das zuerst“, antwortet er auf meinen fragenden Blick. „Das gibt den Schornstein. Ohne Ofen werdet ihr die Nacht nicht aushalten.“

Also dann! Der Ofen ist kaum größer als ein amerikanisches Zeitungsrohr und steht auf drei dünnen Beinchen. Nicht so vertrauenerweckend, um ehrlich sein. Mit dem Kamin an der Zeltstange und oben durch die Schornsteinklappe der Zeltwand geschoben, sieht das schon ganz anders aus. Ein ausgeklügeltes System! Echt clever! Aus Sicherheitsgründen gibt es noch einen Kohlenmonoxid-Melder dazu und so kann die Nacht kommen.

Gegen halb fünf …

Im Camp ist es ein bisschen wie auf Kreuzfahrt. Ständig gibt es was zu futtern. Der Rainer backt Waffeln überm offenen Feuer, Angela füllt ihren Dutch Oven für Spanisch Fricco mit Kartoffeln, Zwiebeln, Fleisch und Sahne, während mein Nachbar Olly schon mal den Flammlachs vorbereitet. Über offenem Feuer zu kochen ist eine Wissenschaft für sich, das wird schnell klar: Angela zeigt mir auf ihrem Handy Fotos von gefüllten Riesenchampignons, von Entenkeulen auf Rotkraut und ihren dekonstruierten Kohlrouladen aus dem Trapper-Topf. „Im Grunde geht alles. Man muss sich nur trauen!“

Amateure wie Julian und ich können mit solchen Feinheiten nicht mithalten. Wir haben uns Stecken geschnitten, schön mit einer Astgabel vorn, damit die Würstchen gut halten. Damit brutzeln wir uns jetzt unseren Nachmittagssnack: Berner Würstl und Merguez. Nicht so außergewöhnlich wie bei den anderen, aber auch lecker. Und genau das Richtige, um gleich noch Feuerholz zu hauen. Eine Schubkarre sollte doch reichen für eine Nacht, oder?

Gegen halb sechs …

Die Sonne verabschiedet sich. Sofort wird’s kälter und der Matsch zwischen den Zelten friert wieder fest. Ich hab ’ne Winterjacke an, einen dicken Pulli, ein Hemd und Thermounterwäsche. Dazu die guten Bergstiefel, und trotzdem halt ich die Hände ans Feuer, über dem Ollys Flammlachs so langsam seiner Vollendung entgegenräuchert. Der Mann ist Beleuchter beim Fernsehen, einer der besten seines Fachs und nebenbei Imker, #heimat-Leser der ersten Stunde und ein genussverrückter Tüftler mit Hang zum Archaischen. „Magst was Warmes haben?“, fragt er Susanne und reicht ihr einen kleinen Stapel Rehfelle. „Hab ich selbst gegerbt. Mach ich immer im Herbst“, sagt er und zuckt mit den Schultern, als Julian seine Hand durch das Loch im Fell streckt. „Teilmantelgeschoss. Weiß auch nicht, warum der Jäger ein so großes Kaliber genommen hat.“

Die Felle sind toll. Sofort wird der Campingstuhl gemütlicher und wir müssen grinsen, weil wir jetzt endgültig wie Höhlenmenschen aussehen. Offenes Feuer, Lachs am Brett, Felle unterm Hintern und dazu eine Flasche Rotwein, die wir dicht an die Flammen stellen, um halbwegs Trinktemperatur zu erreichen.

Gegen acht Uhr abends

Zeit fürs große Lagerfeuer! Für ein paar schöne Geschichten, für Campertratsch und einen kleinen Absacker. Wär schön, wenn einer Gitarre spielen könnte! Kann aber keiner. Also keine Party. Stattdessen macht sich nach einem langen Tag an der frischen Luft schnell Müdigkeit breit und noch ehe es zehn ist, sind alle in ihren Tipis verschwunden. Wir auch. Susanne hat das Feldbett und mummelt sich mit ihrem Schlafsack unter eine Decke. Julian ist auch schon am Schlummern und mit seinem Schlafsack offenbar gut ausgestattet. Nur ich bin ein bisschen aufgeschmissen. Die Isomatte ist halt arg dünn. Sicher okay für ein Festival im Sommer, aber nicht gedacht für eine Winternacht im Schwarzwald. So sehr ich den Ofen auch füttere und der Kamin glüht: der Boden bleibt steinhart gefroren, während wir auf Kniehöhe angenehme 20 Grad haben. Ich häng noch schnell eine kleine Lampe übers Holz, damit ich nicht im Dunkeln durchs Zelt irren muss.

Alle 20 Minuten braucht der Ofen neues Holz. Sonst geht er aus. Also richte ich mich drauf ein. 20 Minuten mit der Stirnlampe lesen, dann Holz nachlegen. Kurz eindösen, wieder nachlegen. Noch ein Kapitel lesen und wieder nachlegen. Boah! Ob ich das bis zum Morgen hinkriege?

Halb eins in der Nacht

Die Antwort ist: nein. Kurz vor Mitternacht bin ich dann doch eingeschlafen – und das Feuer mit mir. Susanne ist von der Kälte aufgewacht und hat den Ofen wieder angeschmissen. Gar nicht so einfach, wenn das Gasfeuerzeug so kalt ist, aber es hat geklappt. Ich überleg mir derweil eine Lösung für mein Kissen, das auf dem glatten Zeltboden immer wieder wegrutscht. Ein dünnes Scheit Holz unterm Kissen ist die Lösung. So kommt der Kopf ein paar Zentimeter höher. Klingt jetzt komisch, aber: mit Holz unterm Kissen ist es bequemer als ohne …

Noch eine Stunde später klappt das Nachlegen immer besser. Im Halbschlaf schieb ich die Scheite ins Rohr und schau dem Ofenrohr beim Glühen zu. Aber ob der Vorrat reicht? Drauf wetten würde ich nicht. By the way: Ich hasse meinen Mini-Schlafsack. Und den Typen, der im Vorfeld nicht drauf geachtet hat, was er da einpackt. Schöner Scheiß …

Gegen halb drei in der Nacht

Der Holzvorrat reicht nicht. Dafür aber hat der Wind aufgefrischt und bläst munter unter dem Tipi-Saum hindurch ins Zelt. Ein- oder zweimal kann ich noch nachlegen, aber für den 20-Minuten-Takt dieser Nacht reicht das nicht. Also anziehen und rauskrabbeln, Holz suchen und den Vorrat auffüllen. Susanne macht auch mit. Dass uns der Schwarzwald mit dem schönsten Sternenhimmel ever belohnt, nehmen wir dankbar mit!

Kurz nach vier Uhr

Ich hab’ Durst wie ein Kamel in der Wüste. Kann sein, dass das vom Rauch kommt, vielleicht auch vom Lachs, dem Rotwein oder den Merguez. Trinken ist aber gar nicht so einfach, wenn das Wasser in der Flasche gefroren ist. Egal, der Ofen wird’s schon richten. Ich bau’s einfach in meine Nachlege-Routine mit ein. Klappe auf, Holz rein, Klappe zu und einen Schluck vom tauenden Wasser. Läuft!

Kurz vor sieben

Immer noch windig. Aber jetzt müssen wir die Sturmleinen auch nicht mehr ziehen. Ich hau noch mal alles an Holz in den Ofen, was irgendwie reinpasst, und dreh die Luftzufuhr auf Minimum. So dürfte der Ofen auch 30 oder 35 Minuten am Leben bleiben. Ich werd jetzt nämlich schlafen!

Eine Stunde später ist es im Zelt nicht mehr schwarz mit leichtem Feuerschein, sondern ockergelb. Das muss die Morgendämmerung sein. Bestimmt schön. Aber ich höre kein Klappern von Kaffeekannen und keine Wintercamper, die jetzt schon auf den Beinen wären. Also nachlegen, noch mal umdrehen und warten, bis es Frühstück gibt! Eine halbe Stunde später ist es so weit. Nicht ein krähender Hahn weckt mich, sondern die ersten Axtschläge. Also wird wohl angefeuert! Na, dann dürfte es ja auch gleich noch ein paar Eier mit Speck geben, und ich kann sagen: So eine Winternacht im Schwarzwald ist echt ein Abenteuer. Wild-romantisch und ein unvergessliches Erlebnis. Auf eigene Faust sollte man’s nicht versuchen, schon gar nicht, wenn man keine Ahnung hat. In einer Gemeinschaft mit Olly und Angela, Uwe und Felix, Rainer, Benny und dem Motorsägen-Paul aus Österreich aber durchaus. Und wer weiß, vielleicht treffen wir uns beim achten Schwarzwälder Wintercamp ja wieder? Bis dahin aber fahr ich zurück ins frühlingshafte Freiburg und lass mir nachher noch ein schönes heißes Bad ein …

Winter-Camps

Wer selbst mal eine Nacht im Tipi verbringen möchte, findet die nächsten Termine auf der Website von Öventura. Die Kosten für Tipi, Zeltofen und Feuerholz: rund 200 Euro für zwei Personen, etwa 250 für vier. Mehr unter oeventura.de/tentipi-camps

Im Schönwald gab es für Wintercamper sogar einen Hot Tub mit nackten Alphorn- bläsern. Infos und Bilder: schwarzwald-wintercamp.de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 36 (1/2023)

Seid ihr auch schon im Fasnachtsfieber? Wir freuen uns wie Bolle, dass dieses Jahr endlich wieder richtig gefeiert werden kann – und haben uns deshalb für die neue Ausgabe der #heimat schon mal in Schale geworfen. Wie es dabei zuging, seht ihr hier! Und wie ihr bei unserer großen Fasnachtsaktion „Narr der Woche“ mitmachen könnt, erfahrt ihr ab Donnerstag – dann gibt’s die neue #heimat überall am Kiosk. Narri narro!

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