Von Zeit zu Zeit fallen mir alte Fotos meines Opas in die Hände. Er war Skilehrer, Fotograf und Filmemacher aus Todtnau. Die Bilder und seine Geschichten erzählen von unberührten Tiefschneehängen rund um Feldberg, Herzogenhorn und Belchen. Von Abfahrten, die bis hinunter nach Freiburg reichten und somit das Alpen-Fernweh verdrängten. Jede dieser Abfahrten hat er handschriftlich in einem Buch festgehalten. Schaut man auf das Datum dieser Aufzeichnungen, bemerkt man schnell, dass die Erzählungen aus den guten alten Wintersportzeiten im Schwarzwald stammen. Heutzutage hingegen benötigt man eine große Portion Glück – und das Timing eines Schweizer Uhrwerks, um auch nur eine dieser Abfahrten wiederholen zu können. Viel zu selten fällt bei uns heute der Schnee bis in die Täler. Und wenn, dann ist er tags darauf schon wieder verschwunden. Wir wären jedoch keine Schwarzwälder, wenn uns diese Schwierigkeiten von dem Plan abbringen würden, all diese Abfahrten zu fahren! Im Gegenteil! Wir gehen einen Schritt weiter und wollen alle an nur einem Tag befahren! Warum? Weil es oft nur einen Tag in vielen Jahren gibt, an dem das überhaupt möglich ist.
Ein ganz besonderer Tag
„Baschi, es schneit bis runter“, tippe ich aufgeregt ins Handy – an diesem einen, ganz besonderen Tag. Nur um meinen Freund aus Freiburg zehn Sekunden später mit dem gleichen Wortlaut anzurufen. „Morgen ist der Tag, auf den ich seit Jahren warte. Wir fahren alle große Abfahrten im Südschwarzwald – an einem Tag!“ Er soll den Rucksack packen, sich die Tourenski schnappen, die Felle, das Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), die Schaufel, die Sonde und ein paar Riegel. Denn: Das wird ein langer Tag! Baschi ist dreifacher Familienvater, selbstständiger Fotograf, und war mit seiner Kamera schon überall auf der Welt im Schnee unterwegs. Trotzdem lässt er für einen solchen Tag daheim alles stehen und liegen. Totti, der Dritte im Bunde, will eigentlich bei so einer Gelegenheit eine ganz andere Tour gehen und wir müssen ihn zuerst davon überzeugen, dabei zu sein. Ob er seine Entscheidung, mitzukommen bereute? Urteilt selbst …
8–12 Uhr: Brandenberg, Herzogenhorn, Präg
Wer den Schwarzwald kennt, der weiß, dass es schönere Berge als den höchsten gibt. Auch uns zieht es nicht auf den Feldberg, sondern zuerst Richtung Herzogenhorn – mit seinen 1415 Metern trotzdem natürlich auch noch einer der höchsten in unserer Region. Da die Busverbindung zum Feldbergpass sowohl von Freiburg wie auch von Todtnau stündlich funktioniert, sparen wir uns die ersten Höhen-
meter, nehmen öffentliche Verkehrsmittel und treffen uns auf dem Feldbergpass. Nachdem dort die Felle auf die Tourenski montiert sind, laufen wir freudig unserer ersten Abfahrt entgegen. Baschis und meine Motivation reicht, um Tottis anfängliche Skepsis schnell auszugleichen. Je weiter wir jedoch laufen, desto schneller wird auch sein Schritt, und er beginnt, sich mit der Situation anzufreunden. Spätestens bei der ersten Abfahrt Richtung Präg sind wir dann alle drei gleichermaßen überwältigt von der Schneequalität, die uns bei jeder Kurve um die Nasenspitze wirbelt. Alles läuft nach Plan! Wir sind sehr gut in der Zeit und die letzten Meter bis zur Bushaltestelle in Präg können wir sogar noch auf einer dicht zugeschneiten Straße fahren. Das hat man ja auch nicht allzu oft …