Fotograf Jan von Holleben: Träumer, Spieler, Macher

Jan von Holleben wollte nie Fotograf werden – als er es wurde, kam sofort der Erfolg. Wir haben ihn in Bühl getroffen

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

„Stern“ und „Spiegel“, „Zeit“ und „Chrismon“, „Geo“ oder auch der Geschäftsbericht für Audi sowie viele Bücher: Jan von Hollebens Fotos waren schon überall zu sehen. Wir trafen ihn im Stadtgarten seiner Heimatstadt Bühl (Baden), wo er uns verriet, dass er eigentlich kein Fotograf werden wollte …

Jan, es heißt, Du hast deine Kindheit in einer Kommune verbracht. Wie und wo war das?

Das ist falsch aus dem Englischen zurückübersetzt. Das war eine Wohngemeinschaft. Nachdem sich meine Eltern getrennt hatten, zog meine Mutter mit uns in eine WG, die sehr alternativ war. Bio, Recycling, die frühen 1990er-Jahre halt.

War’s schön? 

Es war super! Wir waren vier Kinder und haben das Haus regelmäßig auf den Kopf gestellt. Wir lebten bei Hugstetten in der March und waren dorfbekannt. Wir hatten eine Töpferin, einen Biologen, der im Garten Experimente gemacht und Tiere gezüchtet hat. Es war ein Idyll.

Hast Du die normale Familie beneidet, wo der Papa abends vom Schaffe’ heimkommt?

Nein, nicht wirklich, weil wir uns natürlich auch als sehr progressiv sahen. Wir hatten viel mit der Freiburger linken Szene zu tun. Wir waren ja kleine Kinder, aber natürlich auch gegen AKW und Tierversuche. Wir waren früh politisiert und es hat sich gut angefühlt. Wir haben viel Zeit in der Natur verbracht und wahnsinnig viel erlebt. Es war immer jemand da, wie eine Großfamilie. Auch die Nachbarn waren involviert. 

Dein Vater war Fotograf. Hat Dich das beeinflusst?

Ich sage immer, dass ich beruflich der ideale Sohn geworden bin, weil ich von meiner Mutter das Pädagogisch-Therapeutische übernommen habe und von meinem Vater das Visuelle. Das Kreative kommt aus beiden Familien. Ein Großvater war Designer bei Philips, dessen Mutter Tänzerin und Zeichnerin. Meine Oma väterlicherseits war Töpferin und Künstlerin. Mein Vater war beim Südwestfunk Kameramann, hat Fotoingenieur studiert und wahnsinnig viel experimentiert. Die Bilder, mit denen ich aufgewachsen bin, hängen immer noch hier im Haus. Aber eigentlich wollte ich ja Lehrer werden …  

Darum das PH-Studium?

Ja, aber nur kurz, weil das Studium in Freiburg mir nicht lag. Ich habe mich dann entschieden, einem Fotografen zu assistieren, da ich sowieso schon arbeitete. Irgendwann habe ich den Studiengang „Theorie und Geschichte der Fotografie“ in England gesehen. Ich wollte nicht Fotograf werden, sondern die Fotografie studieren. London war das Beste, was mir passieren konnte. 

Warum das?

Uns wurde eine ganze Welt der Fotografie eröffnet. Was kann Fotografie und was nicht? Warum muss man ein Foto machen? Ist ein Foto echt? Das war die Zeit, als Fotografie in London zum ersten Mal zur Kunst erhoben wurde. Das hat mich geformt und mir Energie gegeben. 

Warst Du da schon Fotograf?

Nein, ich habe nur wahnsinnig viel fotografiert und ausprobiert. In meiner Jugend hatte mich schwarz-weiß fasziniert. 

Was hast Du dann gemacht? 

Ich habe mir die ganzen jungen, coolen Fotografen angeguckt und vielleicht auch was abgeguckt. Ich habe ausprobiert und gemerkt, was für eine Autorität Fotografie hat, wenn man Leute aktiv anspricht. Innerhalb von zwei Stunden habe ich damals 250 Leute porträtiert, aber nur ihre Hälse. Ich habe gesagt, ich würde gerne ein Foto von ihrem Hals machen, keiner hat es infrage gestellt. 

Und wie ging es dann weiter?  

Für eine belgische Firma bin ich schnell in eine Art-Direktor-Position gerutscht, für die ich junge Fotografen organisiert habe. Danach habe ich mit meinem besten Freund  die Firma Photodebut gegründet. Das wäre meine Karriere gewesen! Wir haben krasse Fotografen gehabt. Die sind heute alle groß und toll. Ich bin mir sicher, dass wir heute eine super Agentur mit Weltrang hätten. Aber ich kann mich nicht beklagen. Ich habe seitdem riesig Spaß mit meiner Fotografie. 

Bekannt wurdest Du dann mit „Traum vom Fliegen“ …

Das war noch am Ende des Studiums. Ich hatte meine Abschlussarbeit zum Thema Kinder und Fotografie geschrieben. Es war eine theoretische Abhandlung über die Frage, was machen Kinder in der Fotografie? Die Geschichte der Fotografie ist ungefähr gleich alt wie die Geschichte der Kindheit, also 150 Jahre.* Da habe ich einfach so zum Spaß mit den Kindern meiner Heimat Fotografie gespielt. Was kann man machen und wie weit kann ich den Kindern die Autorität in der Fotografie überlassen? So ist Dreams of Flying entstanden. Nach zwei Jahren hatten wir eine Serie, die zufällig eine Art Direktorin zu sehen bekam. Die ist dann fast vom Stuhl gefallen. Das müssen wir zeigen!

Das war der springende Punkt?

Dann ging es in Nullkommanichts um die ganze Welt. Das war der Anfang des kreativen Internets, als kreative Blogs ganz groß im Kommen waren. Nach anderthalb Jahren war ich ein bekannter Fotograf und habe Aufträge bekommen, Ausstellungen gemacht und Preise bekommen. Damit fing die Dreams-of-Flying-Serie an, die bis heute mein Schaffen beeinflusst.  

So kennt man Dich!  

Ja, aber es macht nur 30 Prozent meiner Arbeit aus. Alle paar Jahre gibt es einen Sprung, dann brauchen alle wieder Kinder, die auf dem Boden liegen. Ich nutze es nur noch ganz, ganz selten für meine eigenen Projekte. Ich arbeite auch viel mit Erwachsenen. Und sonst gibt es ja meine Bilderbücher, die visuell ganz unterschiedlich konzipiert sind.

Was ist Dir heute wichtig?

Eigentlich geht es mir jetzt ein bisschen mehr um den Perspektivenwechsel, um die Idee, wie man spannende Bilder komponieren oder auch konstruieren kann. Das sind Bilder, die einen erst mal festhalten, wo man ein bisschen gucken muss. Das ist seit 20 Jahren mein Thema geworden, mit Sachen spielen und immer weiter ausprobieren. 

So wie mit den Süßigkeiten?

Genau, die gehören natürlich in dieses Universum. Ich glaube, es gibt kein einziges Buch von mir, wo keine Süßigkeiten auftauchen. Es braucht sie, um mit Kindern zu kommunizieren. Auf einem Fotofestival vergangenes Jahr ging es um das Thema Ernährung und dass die aktuelle Situation sehr deprimierend wäre.  

Das ist ein offenes Geheimnis. 

Ich wurde gefragt, ob ich es schaffen würde, aus dem Thema etwas Gutes rauszuholen, und ob ich etwas mit dem Thema Zucker anfangen kann? Wow! Perfekt, ich kann mir nichts Besseres vorstellen, habe ich gesagt. Dann haben wir Leica als Partner bekommen. Ich habe mich drei Monate in mein Studio eingeschlossen. Es war Winter und das ganze Studio hat nach Vanille gerochen. Es war wunderschön! So haben wir eine Serie nach der anderen produziert. Es wurde ein großer Erfolg und das erste Mal, dass sich Magazine um die Bilder schlugen. SugarWOW ist eine große, sehr überraschende, auch bunte und teilweise kritische Ausstellung, um in das Thema Ernährung und Zucker reinzufinden. 

Was macht den Unterschied zwischen der Arbeit mit Erwachsenen und mit Kindern aus? 

Ich bin eher der Pädagoge. Es macht mir unheimlich viel Spaß, mit Kindern solche Themen zu bearbeiten. Ich sehe mich als Lehrer. Wenn die Kinder kommen, erkläre ich alles. Die sollen verstehen, was wir machen. Gerade auch bei schwierigen Themen für „Zeit Wissen“ oder „Geo“. Das ist ein großer Unterschied zur klassischen Kinderfotografie, wo Kinder nur als Statisten genutzt werden.  

Worin liegt das Geheimnis, dass es klappt?

Vielleicht darin, dass ich sehr gut improvisieren kann und das Feedback der Kinder schnell einarbeite. Wir haben immer Spaß und großen Respekt füreinander. 

Und wenn ein Kind doch mal keine Lust hat?  

Dann gibt es andere Kinder, die dann sagen, okay, dann mache ich jetzt mit. Wir sind nicht so festgelegt, dass nur ein Kind vor der Kamera stehen muss, sondern wir arbeiten mit zwei, drei Kindern. Wenn ein Kind kein Rosa anziehen will, dann zieht es halt ein anderes T-Shirt an. Dass es den Kindern Spaß macht, sieht man dann. Das transportiert sich weiter zu den Betrachtern.

Wie läuft so ein Fotoshooting mit Kindern ab?  

Wir haben tatsächlich nur ganz wenig Zeit. Erwachsene kann man pushen, Kinder kann ich nur indirekt pushen, indem ich ihnen genug Spaß und Sinnhaftigkeit mitgebe. Es geht auch nicht mit Materiellem, Geld, wie das bei Erwachsenen gehen würde. Da wird ein Kind sehr direkt und sagt, es habe keine Lust mehr. Wenn es nach all der Vorbereitung endlich ans Fotografieren geht, müssen die Eltern raus oder ganz still in der Ecke sitzen. Auch der Rest vom Team hat nichts mehr zu melden. Nur meine Assistentin und ich bringen dann die Energie sehr schnell und sehr, sehr gezielt mit den Kids auf den Punkt. Danach sind wir zwar alle erschöpft, aber dafür haben wir das Bild und alle sind zufrieden.

Du bist seit über 20 Jahren kreativ. Wie machst Du das?  

Sicherlich ist Talent dabei oder auch Erziehung. Ich bin schon sehr viel gereist und habe viele Kulturen kennengelernt. Ich strecke meine Fühler aus und versuche viel aufzusaugen. Dann habe ich natürlich einen Schatz in mir, in dem ich immer wieder kramen kann, wenn ich eine Idee brauche. Das ist meine Basis. Wenn dann jemand meint: Jan, wir haben ein ganz kompliziertes Thema, dann ist das für mich eine Herausforderung, die ich gerne annehme und für mich gewinnen muss. Oft ist es schon die erste Idee, die für mich passt. Ich bin ein großer Fan von der ersten Idee. Aber ich kann euch auch noch eine zweite oder dritte basteln.

Freust Du Dich über eine totale Freiheit?

Es gibt nichts Schlimmeres als eine absolute Carte blanche! Irgendeinen Ansatzpunkt brauche ich. Oder ein abgestecktes Spielfeld. Liebend gerne einen Text, egal welcher Art. Beim Lesen kommen mir schon immer die besten Bildideen.

Zum Schluss noch eine #heimat-Frage. Ist der Schwarzwald noch ein Thema für Dich? 

Ja, Schwarzwald, klaro! Ich hatte in den vergangenen Jahren Lesereisen für die Kreisbildstelle im Freiburger Raum gemacht. Da wird man eine Woche lang durch die Dörfer im Schwarzwald geschickt, um Lesungen und Workshops zu machen. Das ist jedes Mal spannend und anders.

Könntest Du wieder hier wohnen?

Ja, das Thema kommt immer wieder auf zwischen hier in Bühl und Freiburg. Gestern auf der Fahrt haben wir uns überlegt, ob Straßburg interessant wäre. Paris ist ja nur zwei Stunden weg. Ja, die Frage ist nur, was mache ich denn im Sommer, wenn es hier so heiß wird? Aber den Rest des Jahres, Frühling, Herbst und Winter kann ich mir gut vorstellen.

Zur Person

Jan von Holleben (Jg. 1977) hat seine Kindheit in Bühl und bei Freiburg verbracht und wollte ursprünglich Pädagoge werden. Nach dem nicht beendeten Studium an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Freiburg wechselte er zum Surrey Institute of Art and Design in Farnham (2002) und machte den Abschluss in Theorie und Geschichte der Fotografie. Danach arbeitete er als Art Direktor und gründete eine Fotoagentur. Mit der Ausstellung und dem Buch Dreams of Flying (2005) wurde er weltbekannt. 2006 bekam er dafür den Lead Award. Mittlerweile hat er schon über 20 Bücher gemacht. Seine Fotos wurden und werden in „Spiegel“, „Stern“, „Zeit“ und anderen Zeitschriften abgedruckt. 

Jan von Holleben lebt mit Mann und Sohn in Berlin, wo auch sein Studio ist. Um etwas Abstand von der Arbeit zu bekommen, ist die Familie für ein Jahr nach Paris gegangen. Jan fühlt sich dort „wie ein Tourist“, arbeitet auch, macht aber keine großen Produktionen. Als er für ein Familienfest nach Bühl kam, war das der Urlaub vom Urlaub … Der Schwarzwald weckt immer noch Heimatgefühle und Lust auf das „Winderwunderland“. 

www.janvonholleben.com

#heimat Schwarzwald Ausgabe 40 (5/2023)

Die fünfte Heimat-Ausgabe ist da – und die steht ganz im Zeichen von Outdoor-Action! Wir haben mit Bikepackerin Wiebke Lühmann eine Tour auf zwei Rädern durch den Schwarzwald gemacht, sind entlang der Hotzenwälder Wuhren gewandert und haben unseren Herausgeber Ulf Tietge bei seinem neuen Hobby American Football begleitet. Außerdem haben wir ein Wochenende im schönen Kaiserstuhl verbracht, mit Jan von Holleben in einem exklusiven Interview über seine Fotokunst gesprochen und eine Künstliche Intelligenz gefragt, wie sie unsere Heimat eigentlich sieht.

Was jedoch nicht fehlen darf ist richtig gutes Essen! Diesmal: Pasta! Im Oktober erscheint bei team tietge, dem Verlag hinter #heimat, das neue Kochbuch Pasta con Amici. Unsere vier liebsten Spätsommerrezepte findet ihr schon jetzt bei uns im Magazin.

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