Geheimtipp für ein Wochenende im Elsass: Weißenburg

Unsere Erkenntnis über die nordelsässische Kleinstadt Wissembourg? Sie bietet alles, was Genießer brauchen. Avec plaisir!

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Das Elsass: Weinberge, Fachwerk, Störche oder Gugelhupf, Sauerkraut und Weine mit Restsüße. Für die allermeisten beginnt der touristische Zucker südlich von Straßburg. Und im Norden? Wenig. Die Neugierde aber zieht mich nach Wissembourg. Gibt es dort vielleicht ein Elsass ohne Geranien und aufgezuckerte Weine? 

Freitag, 13:00 Uhr

Auf der Fahrt überkommt mich der Hunger. Im Blumendorf Hohwiller trete ich auf die Bremse. Mittagessen! Das Restaurant Boeuf schaut wie eine Dorfwirtschaft aus. Ist es aber nicht. O la la, stylisch!  „Die junge Generation muss es neu machen“, erklärt der Senior hinterm Zapfhahn. Das Menu du jour bietet vorneweg einen warmen Ziegenkäse und zur Hauptspeise eine Reise nach Asien mit Nilbarsch, Weißkohl, Zucchini- und Karottenstreifen im würzigen Sud. Zum Schluss: Eisbombe à la Fürst Pückler!

Freitag, 15:00 Uhr

Vis-à-vis in Betschdorf regiert die Töpferei.  Vor über 150 Jahren kamen Töpfer aus dem Westerwald und aus der Schweiz wegen der Lehmgruben hierher. Die Menschen blieben und verelsässerten sich. Einer der Nachfahren  ist Fortuné Schmitter, der mit seinen 66 Lenzen immer noch täglich an der Töpferscheibe hockt. „Du wirst Töpfer, so isses“, erinnert er sich. Nur  werden die Dinge des täglichen Gebrauchs (Sauerkrauttöpfe, Butterdosen und so) nicht mehr gebraucht. Stattdessen sind Vasen gesucht mit  Bauernmalerei oder modernen Mustern.

Freitag, 18:00 Uhr

Vorbei an großen Wiesen, Waldinseln, Kuhdörfern und Hopfenfeldern fahre ich nach Weißenburg an der Pfälzer Grenze und installiere mich in der Hostellerie du Cygne. Mit einem Spaziergang und einem Flammkuchen im Restaurant Petit Dominicain klingt der Abend aus.  Keine 100 Meter sind es zum Hotel.

Samstag, 09:00 Uhr

In einem Reiseführer wird Weißenburg als „ein zu groß geratenes Dorf“ beschrieben.  Beim Anblick des Markts verstehe ich, was gemeint ist. Er ist so überschaubar, wie ein Tellergericht. Da gibt es Fisch aus dem Atlantik, Seifen aus der Provence, Gemüse und Obst, sowie ä bissel Brot und Wurst. Man grüßt sich mit „Scho widder dò“, wenn man sich zwei oder drei Mal über den Weg läuft. Weniger ist mehr, denke ich beim Stand der Ferme Heil die für ihren Kartoffelkuchen berühmt ist.  In alter Zeit war Mehl oft Mangelware, erzählt mir Evelyn, die nach uralten Familienrezepten in noch älteren Öfen backt. Die Wurst zum Brot bekomme ich bei der Boucherie Beiner. Der Metzger ist charmant. „Voila, mit dèm?“ Stéphane Beiners Knack, Pâté de campagne und vor allem aber Salami sind göttlich.  Auch die Theke des Käseladen L’Epicerie ist fett bestückt. Herausragend ist ein Münsterkäse in der Endphase seines Daseins. Deutscher Wirtschaftskontrolldienst und die Fachzeitschrift Der Feinschmecker würden beide einen Herzinfarkt bekommen. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Die regionale Karte wird schließlich in der Buchhandlung A Livre Ouvert präsentiert. Stolz zeigt mir Buchhändler Willy Hahn eine Landkarte mit den elsässischen Dialekten. „Hier sind wir im Fränkischen“, erklärt er. Oder wie es mir ein Elsässer hinter vorgehaltener Hand sagt:  „Eigentlich sprechen wir Pfälzisch.“ 

Samstag, 11:00 Uhr

Unterwegs wurde mir geraten den Schlupf anzuschauen. Aber wo ist le Schlupf? Das Städtchen ist überschaubar, aber auch unübersichtlich. Zur besseren Orientierung spaziere ich auf die alte Befestigungsmauer und genieße eine schöne Aussicht auf Kirchtürme und Gassen. Auf der Suche nach dem Schlupf ziehe ich durch die Gassen und lande für ein Croissant auf die Hand in der Boulangerie Criqui Mattern, die mit ihren weltbesten Croissants wirbt.  Als ich die Madame an der Theke darauf anspreche, heult sie fast. Aber warum?

In der Patisserie Rebert verstehe ich warum. Hier ist es ja noch besser! Dort weltbest aber hier galaktisch! Das Mittagessen mit sous-vide gegarter Rinderbrust und karamellisierten roten Zwiebeln mit Lauch und Glaszwiebeln ist so ganz anders als erwartet. Und das, was zu erwarten ist, kommt noch besser. Die Macarons sind sensationell an Frische, Konsistenz und Geschmack.  Die Liebesknochen mit ihrer Vanillefüllung schlagen gute Vorsätze in die Flucht. Dazu eine Cremeschnitte mit verschiedenen Aromen und Texturen.. „Ich will es nicht nur cremig haben“, erklärt der Chef Daniel Rebert Sinn und Zweck des Bodens aus Haselnusskrokant. Kurz vor der Ohnmacht schleppe  ich mich nach draußen, wo bereits mein Stadtführer wartet.  

Samstag, 14:00 Uhr

Volles Programm: In einem Palast wohnte vor lange Zeit ein polnischer König, ein Eckhaus diente als Filmkulisse und dort, wo der Garten verwildert müssen schaffige Zwerge oder Prinzessinen mit gläsernen Schuhen wohnen.  Wir freuen uns über das Viertel Bruch, durch das die Lauter wie vom Lineal gezogen fließt. Links und rechts stehen zum Teil 500 Jahre alte Häuser. Genauso muss es hier auch vor 100 oder 200 Jahren ausgesehen haben. Typisch sind die extrem steilen Dächer, die dann auch noch gewellt sind. Das berühmteste Weißenburger Haus ist das Salzhaus.

Dank meinem Stadtführer erfahre ich auch, wo le Schlupf ist. Der Schlupf, Schwarzwälder können mit dem Namen etwas anfangen, ist eine enge Stelle zum Durchschlupfen an einem Abzweig der Lauter zwischen Marktplatz und Rebert. Schau mer mal: Wasser, krumme Häuser, Fachwerk (sobald wärmer sicher auch Geranien) und dazu die Kirche im Blick.  Auch wenn es anderswo  größere Märkte hat, mehr Gastronomie und noch größere Kirchen, aber das haben sie nicht!

Samstag, 17:00 Uhr

Die Peter-und-Paul-Kirche ist nach dem Straßburger Münster die zweitgrößte Kirche im Elsass. Der eine Turm ist romanisch, der andere gotisch. Drinnen hat es eine unfassbar schöne Glaswand, mit Gläsern, die 700 bis 800 Jahre alt sind. Der auf die Wand gemalte Christopherus ist fast zwölf Meter hoch. Der Kreuzgang wurde nie beendet, schaut aber gerade deshalb so spannend aus. Steinsärge und Grabplatten aus der Ritterzeit sind hier deponiert. Ganz hinten ist eine kleine Türöffnung, die ich fast übersehe. In diesem ehemaligen Weinkeller leuchtet ein Glasfenster wie ein indischer Diamant. Eine Kopie. Das fast 1000 Jahre alte Original ist in Straßburg.