Fachwerk, Flößer, Flammkuchen: Ein Kinzigtal-Wochenende

Es ist schwer zu sagen, was genau die Magie des Kinzigtals ausmacht. Postkartenidylle und gute Luft allein sind es nicht. Ein Erklärungsversuch

Fotos: Dimitri Dell
Tag 1

Für mich ist das Kinzigtal immer ein Sehnsuchtsort geblieben. Als ich aus beruflichen Gründen von hier wegzog, verbrachte ich alle meine Urlaube hier. Ich mag die Landschaft, die Menschen, die Beständigkeit, das Ehrliche und Echte. Vielleicht ist es das: Es gibt mir Halt im Karussell des Lebens.

Freitag, nachmittags

Diese besonderen Zeiten haben auch ihr Gutes: Der Marktplatz von Schiltach ist herrlich ruhig. Ab dem späten Frühjahr ist das 4000-Einwohner- Städtchen normalerweise Schauplatz regelrechter Völkerwanderungen. Begleitet von entzückten Ahs und Ohs mäandern Touristen durch die hübschen Gässchen und knipsen, bis die Speicherkarte bröselt. Wie vielen Freunden und Verwandten ich die Stadt schon gezeigt habe – keine Ahnung: Das Gerberviertel mit der alten Säge und dem imposanten Mühlrad, die traumhaft schöne Altstadt, die Flößerwiese. Ich musste nie viel sagen, Schiltach sprach für sich. Jedenfalls gab’s hinterher im Café Bachbeck ein großes Stück Kirschtorte. Oder im renommierten Gasthof Adler ein paar Viertele und was Feines zu essen. Und alle waren verliebt in das Städtle. Ach, ja …


Mir steht der Sinn jetzt nach Kultur kompakt in ihrer wohl niedlichsten Form: Im Museum am Markt ist die Geschichte Schiltachs klein und fein zusammengepackt. Einige der Exponate scheinen zu sagen: „Guck mal, das gibt’s nur bei uns.“ Wie die Sammlung der alten Holzlaternen, die nur in der Silvesternacht zum Einsatz kommen. Dann erlischt das Licht in Schiltach und die Familien ziehen mit ihren Lampen durch die Stadt. Oder der Hydrantenkopf mit zwei verschiedenen Anschlüssen. Bei größeren Bränden mussten nämlich die schwäbische und die badische Feuerwehr anrücken und die hatten halt unterschiedliche Schläuche. Brände hat es hier reichlich gegeben: Einer davon soll, so die gruselige Geschichte, am Gründonnerstag des  Jahres 1533 durch eine Dienstmagd gelegt worden sein, die einen Pakt mit dem Teufel hatte …


Gleich gegenüber wartet Deutschlands größte private Ausstellung ihrer Art: Der Apotheker Ulrich Rath hat im Apothekenmuseum so gut wie alles zusammengetragen, was mit der Geschichte seines Berufsstandes zu tun hat. Rund 8000 (!) Exponate unterschiedlicher Epochen erzählen von der Geschichte der Heilkunst und der Heilsversprechen. Faszinierend und lehrreich. Aber jetzt parke ich mich mit Kaltgetränk und Vesper auf eine Bank an der Kinzig und versinke in der Lauschigkeit. Morgen ist Heimspiel-Zeit!

Tag 2

Samstag, morgens

Wolfach – das war für mich jahrelang meine Flanier- und Einkaufsmeile, mein Esszimmer, mein Platz zum Feiern. Nur ein paar Kilometer von hier entfernt, im Gelbach, habe ich gewohnt. Da, wo sich Fuchs und Hase „Guds Nächtle“ wünschen. In all den Jahren habe ich es nie geschafft, mich sattzusehen an diesem Städtchen mit seinen Fachwerkhäusern, den verwinkelten Straßen und den malerischen Plätzen entlang der Kinzig. Besuch schleppte ich wahlweise in das Museum für Mineralien und Mathematik, in die Dorotheenhütte oder (wenn Kinder dabei waren) in die Grube Clara zum Mineralien-Ausbuddeln. Eigentlich könnte ich diesmal auch ins Museum im Schloss gehen, die Ausstellung zur Geschichte Wolfachs ist super. Aber ich spaziere zu einem meiner Lieblingsplätze, dem Flößerpark. Anhand eines alten Floßes und anderer Exponate wird deutlich, wie aufwendig und mühsam dieses Gewerk war. Nebendran befindet sich das Bistro am Flößerpark, hier sitzt man wirklich in der ersten Reihe (wenn nicht gerade eine Verordnung den Besuch erschwert). Die Kinzig vor der Nase, einen unverschämt leckeren Flammkuchen auf dem Tisch – so lässt sich’s leben. Apropos Essen: Da auch mein Lieblingsrestaurant Hecht zu hat, mache ich jetzt mal auf Selbstversorger …

Samstag, mittags

Samstag ist Markttag im Kinzigtal: Wolfach ist schon gut bestückt mit lokalen Produzenten. Wer aber noch mehr Auswahl an heimischen Genüssen haben will, fährt nach Hausach. Für knapp 30 Euro stelle ich mir ein amtliches Vesper zusammen – mit duftendem Holzofenbrot, verschiedenen Käsesorten von mild bis würzig, himmlisch guten Bauernbratwürsten, geräuchertem Schinken und ein bisschen Gemüse. Die Auswahl ist groß, probieren ausdrücklich erwünscht und am Ende frage ich mich, wie ich den prall gefüllten Rucksack wohl hoch zur Burg Husen kriege; an diesem geschichtsträchtigen Ort möchte ich nämlich gerne speisen. Wildromantisch ist es hier. Der Blick über das Kinzigtal ist atemberaubend schön und mir wird wieder klar, dass ich großes Glück habe, an so einem wunderbaren Fleckchen Erde zu sein. Ein Kitzeln steigt in meiner Nase hoch, meine Augen werden feucht. Muss wohl die steife Brise sein, die hier oben weht …


Ich suche mir unterhalb der Burg einen gemütlichen Platz: windgeschützt, mit Sonnenschein und reichlich Panorama. Auf der Sonnenliege mache mich über die Köstlichkeiten her. Schwarzwald auf der ganzen Linie – das ist ein Wochenende nach meinem Geschmack! Ich könnte noch stundenlang hier sitzen, aber ich habe auch noch einiges auf dem Zettel. Ein Bummel durch die Stadt steht auf dem Programm: schmucke Häuser, kleine Gassen und Straßen, blumengeschmückte Brunnen – vieles wirkt, als sei hier ein bisschen die gute alte Zeit stehen geblieben. Bei einem Espresso (natürlich to go) bekomme ich noch einen Tipp: Die Erzpoche, ein Mini-Freilichtmuseum in der Hauserbachstraße und damit etwas außerhalb, sei auch einen Abstecher wert.

Samstag, nachmittags

In der dritten Strophe des Badnerlieds heißt es zwar: „Zu Haslach gräbt man Silbererz …“,  das trifft aber genauso auch auf Hausach zu. Mehr als 60 Grube gab es hier in der Blütezeit des Bergbaus. Die Rede ist auch von mehr als 300 Knappen – also Bergarbeitern – die hier schafften. Gefördert wurden verschiedene Erze, Blei und vor allem Silber. Im Jahr 1957 entschloss sich der Verein Dorfer Erzbrüder, dieser wichtigen Geschichte des Kinzigtals mit der Erzpoche ein Denkmal zu setzen. Neben einem alten Stollen sind Stationen der Metall- und Erzgewinnung aufgebaut, im Museum selbst erfährt man mehr über diese kräftezehrende Arbeit. Die Erzpoche ist übrigens bei Hochzeitspaaren sehr beliebt. Wer sich das Jawort geben möchte, ist hier richtig. Ich muss die Zeit im Auge behalten: Für morgen habe ich mir den Vogtsbauernhof vorgenommen, und da nur mal so kurz durchzuhuschen, wäre wirklich eine Schande. Bevor es die Kinzig wieder flussaufwärts geht, mache ich noch Station im Mostmaierhof. Der Gebäudekomplex der Saftmosterei Maier sollte der Abrissbirne zum Opfer fallen, wurde aber gerettet. Das Industriedenkmal mit seiner 130-jährigen Geschichte ist heute ein Kulturzentrum. Nicht nur, dass das Areal herrlich vintage und so schön verwinkelt ist: Es gibt auch noch ein Genusslädele. Eigentlich ist es nur freitags geöffnet, aber Pächterin Marion Sokol macht für #heimat eine Ausnahme, führt mich herum, lässt mich ein bisschen stöbern und spendiert einen Kaffee.

Tag 3

Sonntag, morgens

Die Vogtsbauernhöfe in Gutach üben auf mich immer noch (selbst nach zig Besuchen) eine große Faszination aus. Es gibt keinen Ort, an dem sich die DNA der Schwarzwälder so gut begreifen lässt. Wie findig sie beispielsweise beim energetischen Hausbau waren. Oder wie sie aus allem, was Feld und Flur boten, etwas machten. Die Idylle täuscht aber nicht über das harte Leben der Leute von damals hinweg. Wie zum Beispiel das der Schondelmaier-Christie, der letzten Bewohnerin des Vogtsbauernhofs: Eine lebensfrohe, hübsche Bauerntochter, die nach vielen Nackenschlägen, die das Leben ihr zufügte, einsam hier starb. Ihre Geschichte lassen die Museumsmacher jetzt mit einer Sonderausstellung aufleben. Prädikat: absolut sehenswert! So wie das ganze Museum.

Sonntag, nachmittags

Eben war ich noch ganz versunken in die Geschichte des bäuerlichen Schwarzwalds und jetzt wartet schon Haslach, mein für diese Reise letzter Punkt. Ein absolutes Schmuckstück unter den Fachwerkstädten im Kinzigtal. Es ist fast schon unwirklich malerisch mit seinen Häusern, Brunnen und Denkmälern; fast wie eine XXL-Kulisse für Märchenfilme. Würden jetzt Rotkäppchen oder Schneeweißchen und Rosenrot hier langmarschieren, wundern tät’s mich nicht. Die komplette Altstadt steht seit 1978 unter Denkmalschutz, seit 2001 ist Haslach Mitglied der Deutschen Fachwerkstraße. Wohin man guckt, es ist ein Fest fürs Auge: Der goldene Winkel, ein ganz besonderes Fachwerkensemble, die Gutleutbrücke, das alte Kapuzinerkloster. Nicht zu vergessen: die Museen. Ein ganz besonderes, das selbst Einheimische kaum kennen, ist das Haus Theres. Hier habe ich ein Rendezvous mit der guten alten Zeit, genauer gesagt mit der von 1920 bis zur Jahrtausendwende: In dem kleinen Bürgerhaus, das nur auf Anfrage öffnet, tauche ich ein in die Welt der einfachen Bürger dieser Zeit. Auf gerade mal 27 Quadratmeter Grundfläche steht das Haus, aber es ist alles da: Eine Wohnküche mit Speisekammer, die gute Stube, ein Minibad und zwei Schlafzimmer – alles mit Hingabe und originalgetreu dekoriert. Das ist Puppenstube pur und wirkt, als seien die Bewohner nur mal schnell zum Einkaufen raus …


Eins steht fest: Ich komme wieder. Ganz privat. Ich will noch so viel (wieder-)sehen: Den Bogenparcours in Mühlenbach, die Hauserbacher Kapelle, das Heinrich-Hansjakob-Haus in Haslach, den Paradiessteig in Hofstetten oder den Hexenlandeplatz in Wolfach. Aber egal – das Wichtigste habe ich für dieses Wochenende erreicht: ich bin herrlich geerdet …

Unsere Tipps fürs Kinzigtal

Museum am Markt

Die Geschichte Schiltachs klein, fein und kompakt. Unbedingt in der Bibliothek stöbern!
Marktplatz 13, 77761 Schiltach

Apothekenmuseum

Faszinierende Ausstellung mit rund 8000 Exponaten zum Thema Pharmazie.
Marktplatz 5, 77761 Schiltach

Gerberviertel

Vom sehenswerten Schüttesägemuseum geht die Tour durch die Gerbergasse.
Parkplatz Schüttesäge, Hauptstraße Schiltach

Flösserpark

Freiluftausstellung zum Flößerhandwerk; feines Vesper im Bistro Flößerpark – auch to go.
Am Mühlegrün 1, 77709 Wolfach

Burg Hausach

Wildromantische Ruine, traumhafter Blick – muss man hin!
Parken am Spielplatz Gummenstraße

Erzpoche

Sehr gut gemachtes, kleines Freilichtmuseum zum Thema Bergbau.
Hauserbachstraße, 77756 Hausach

Mostmaierhof

Industriedenkmal mit Vintage-Charme, das Ateliers und das Genusslädele beherbergt.
Eisenbahnstraße 40, 77756 Hausach

Vogtsbauernhöfe

Bäuerliches Leben im Schwarzwald zum Anfassen und Miterleben.
77793 Gutach (Schwarzwaldbahn)

Haus Theres

Minimuseum, zwei Etagen kleinbürgerliches Leben zwischen 1920 und 1990 – Puppenstube pur!
Innerer Graben 51, 77716 Haslach

#heimat Schwarzwald Ausgabe 26 (3/2021)

Nackte Mofarocker und lauter süße Früchtchen: In der neuen Ausgabe von #heimat Schwarzwald gibt es wieder einiges zu gucken. Der Schwarzwald hat eben mehr zu bieten als Bollenhut und Bibeleskäs… aber das wisst ihr ja! Dennoch: die neue Ausgabe ist wirklich ’was Besonderes!

 

Mehr über die Mofarocker und ihr Männer-Yoga in der neuen Ausgabe von #heimat Schwarzwald. Ab dem 6. Mai wieder überall am Kiosk – oder als Abo bei uns im Shop.

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