Die (Schwarzwald-)Milch macht's noch immer

Kaum ein Unternehmen hat unsere Heimat so geprägt wie Schwarzwaldmilch. 2019 wurde die Molkerei 90. Zwei Zeitzeugen geben uns spannende Einblicke

Text: Karen Heckers

Freiburg, 1930: Hinter Stadt und Land liegt eine harte Zeit. Der Erste Weltkrieg und die Inflation haben ihre Spuren hinterlassen. Die Milchversorgung ist fast zum Erliegen gekommen und muss neu organisiert werden. Milch ist ein wichtiges Gut, doch das Konkurrenzdenken zwischen Händlern, deren Vereinigungen und den Landwirten verschlechtert die Situation. Zeit für ein Umdenken! Landwirte, Milchhändler und der Badische Molkereiverband tun sich mit der Stadt Freiburg zusammen – und am 6. März wird die Breisgau Milchzentrale GmbH gegründet. Es ist die Geburtsstunde von dem, was wir heute als Schwarzwaldmilch kennen.

Sonntagsausflug zum Bauern

„Der genossenschaftliche Gedanke war und ist die Grundlage unseres täglichen Tuns“, sagt Herbert Letzelter. Knapp vier Jahrzehnte hat er für die Firma  gearbeitet. Seine Großmutter und Tante waren bereits fliegende Milchhändlerinnen. Schon als kleiner Junge war er beim Milchverkauf mit dabei, verlud Kannen und schob den Handkarren. „Ich habe das Unternehmen zu meinem Lebensinhalt gemacht“, meint er. 1948 begann Herbert als Praktikant – „Gulliputzer halt“ –, machte noch einige Stationen bei anderen Molkereien und kehrte 1954 in die Haslacher Straße 12 zurück, den Freiburger Stammsitz. 

Er arbeitete sich nach oben und leitete den Transportbereich. Herbert Letzelter, Jahrgang 1931, war es auch, der schließlich Tankwagen zur Abholung der Milch in Streugebieten des Hochschwarzwalds organisierte. Da musste schon mal nach dem Rechten geschaut werden:„Sonntags habe ich meine Kinder ins Auto geladen und bin mit ihnen über Land gefahren. So habe ich die Besuche bei den Landwirten gleich mit dem Angenehmen verbunden.“ 

Hübsch? Hübsch Unpraktisch! 

Einer von Herbert Letzelters Weggefährten war Ludwig Hacker, der seine Karriere 1966 startete. 1996 ging er in Rente. Inzwischen ist er 82 und mit der Molkerei immer noch eng verbunden. Auch nach seinem Ausscheiden hat er dort rund 20 Jahre Besucherführungen gemacht. 

Als Produktionsleiter war er damals mit all dem befasst, was die Menschen auf den Tisch bekommen. Und vor allen Dingen: wie. Denn an den Verpackungen wurde viel getüftelt. Sie mussten verbraucherfreundlich sein, aber auch hübsch. Er erinnert sich an ein echtes Kultstück aus den 1960er-Jahren – den Tetraeder, eine beschich­tete Papp-Pyramide mit Milch oder Kakao drin. „Hübsch? Ja!“, sagt Ludwig Hacker und lacht. „Aber auch hübsch unpraktisch.“ Wie viele ruinierte Schultaschen es gab, weiß er nicht. Nur, „dass wir von dieser Verpackung schnell wieder Abstand genommen haben“. 

Wie viel zu beachten ist, bis die Milch von friedlich grasenden Schwarzwaldkühen in Becher oder Glas landet, wissen die wenigsten. Wie hält der Deckel auf dem Joghurtbecher, welche Verpackung braucht es für die Milch, wie erreicht man eine längere Haltbarkeit? Damit hat sich Ludwig Hacker beschäftigt. Er führte neue Verpackungen ein, kaufte als einer der ersten Produktionsleiter in Deutschland eine aseptische Abfüllmaschine und stellte auf eine teilautomatisierte Produktion um. Und er etablierte neue Produkte. Fruchtjoghurt zum Beispiel. Heute das normalste von der Welt. Aber in den 1950er-Jahren in Deutschland per Milchgesetz noch nicht erlaubt. Ein Joghurt hatte aus Milch und Joghurtkulturen zu bestehen. Punkt! „Die Schweizer waren da schon viel weiter“, erzählt Ludwig Hacker.

Die Sache mit dem Jogi

Als das Gesetz abgeschafft wurde, begann man in der Haslacher Straße sofort mit der Produktion. Einen passenden Namen gab es schon: Jogi. Marketingexperten sagen ja, dass eine Marke es geschafft hat, wenn der Name unkennbar mit dem Produkt verbunden ist. Tesa ist so ein Beispiel. Tempo oder Zewa. Und Jogi hat es in der Region eben auch sehr weit gebracht. 

Die Breisgaumilch – sie wurde erst 2010 in Schwarzwaldmilch, passend zu ihrer Tochterfirma der Schwarzwaldmilch GmbH in Offenburg umbenannt, die bereits seit 1953 den Namen trägt – war auch die erste Molkerei in Deutschland, die Crème fraîche auf den Markt brachte und es auch noch schaffte, Schmand so zu rühren, dass er nicht im Becher klebte wie Beton – ein Riesenerfolg!

Auch bei der Milchanlieferung war Innovationsgeist gefragt. „Das war in den Streugebieten des Hochschwarzwalds ja nicht so einfach. Und so entstand 1972 die Idee Milchsammelwagen einzuführen“, erinnert sich Ludwig. „Als der damalige Laborleiter Bröckel und ich mit diesem Einfall beim Geschäftsführer vorsprachen, waren wir schneller wieder aus dem Büro draußen, als wir drinnen waren.“ Heute kann man sich das Abholen ohne LKW gar nicht mehr vorstellen.

Bei Breisgaumilch sei man in vielen Bereichen Pionier gewesen, meinen die beiden Senioren. „Es gab damals keine Trendscouts oder Marketingfachleute. Wir haben Dinge erspürt. Und dann gemacht.“ Tüfteln eben. Schwarzwald halt.

Täglich grüßt der Bollenhut 

Heute verarbeitet Schwarzwaldmilch jährlich rund 275 Millionen Kilogramm Milch und ist auch im Ausland vertreten. Die Chinesen zum Beispiel lieben unsere Milch! Und klar, sie muss im Land des Lächelns original daherkommen: mit deutscher Beschriftung, Bollenhut und Schwarzwaldidylle. Auch in manchen arabischen Ländern schwört man auf Schwarzwaldqualität und -feeling. Das sei schon toll, wie sich das alles entwickelt hat, schwärmen die beiden Veteranen. Und – ja: Sie sind schon ein bisschen stolz, dass sie etwas dazu beigetragen haben. 

Und selbst einige Begebenheiten, die damals weniger schön waren, werden im milden Licht der Erinnerung zu Anekdoten. Wie zum Beispiel ein Rohmilchtank nach einer Reinigungsaktion plötzlich ziemlich zusammengeschrumpft war. Oder sich Herbert Letzelter nach einer eleganten Pirouette auf Blitzeis in der Nähe von Titisee „wie ein Astronaut in Startposition“ in seinem Auto an einem Abhang wiederfand. „Egal“, sagen die beiden. „Es war eine schöne Zeit!“

#heimat Schwarzwald Ausgabe 19 (2/2020)

Auf Eiersuche: Wir lassen uns von den Wusslers aus Gengenbach was ins Nest legen, verputzen die Wutz und zapfen an Tannen. Zudem erzählen wir, wie (und warum) der Schwarzwald tickt und warum es sich auf jeden Fall lohnt, nach Colmar zu fahren.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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