Die Unimog-Flüsterin

Hubraum, PS, Baustelle und ganz viel Öl – einen Unimog können nur kernige Kerle kutschieren? Unsinn!

Fotos: Dimitri Dell

Es braucht nicht viel, um sich zu verlieben. Ein bisschen Eau de Öl vielleicht. Die weichen Kurven einer runden Motorhaube. Ein wohlgeformtes Eck mit Dreiseitenkipper. Selbst ein Vernunftmensch wie Germanistin Hildegard Knoop ist dann erst hin und weg und kurz darauf Geschäftsführerin des Unimog-Museums in Gaggenau. Über die Industriegeschichte ist für sie 2011 das eine zum anderen gekommen. Heute ist sie Heldin Hilde und wacht über die Halle mit dem Spielzeug für große Jungs. Sie weiß fast alles über den Unimog, aber eifersüchtig ist sie nicht. Stattdessen schickt sie uns mit einem der Fahrer auf den Parcours: „Bis gleich!“

In Fahrt

Der Unimog ist ein schlechtes Rennpferd. 50 Stundenkilometer in der Spitze brachte der erste Prototyp ein Jahr nach dem Krieg, den uns Hildegard Knoop in der Ausstellungshalle auch gern zeigt. 
Mit den Nachfolgern des Veteranen geht es kurz darauf auf die Erlebnisstrecke. Fahrer Frieder Behringer beginnt mit seinem silbergrauen Unimog aus 2016 ganz gemütlich. Er spricht, während wir anrollen, wirft uns technische Daten um die Ohren: Steigfähigkeit, Hubraum, Zylinder, Pferdestärken … Dann tippt er aufs Gas und wir wissen: Das wird keine Kaffeefahrt!

Wir holpern gemächlich über die ersten kleineren Hindernisse und die gedachten Grenzen normaler Fahrphysik. Eine kleine Mauer mit herausstehenden Steinen nehmen wir seitlich(!) und es fühlt sich an, als würde der Unimog über sie klettern. Als würde er seine Glieder drüber strecken. So fühlt sich also an, was das nackte Fahrgestell in der Museumshalle zeigt. 

Wenn sich die Achsen unabhängig voneinander bewegen. „Der Rahmen muss beweglich sein“, sagt unser Fahrer. „Nur sechs Schrauben halten das Fahrgestell.“ Kaum über die Mauer gekraxelt, geht es jetzt auf die nächste Schikane: Wir neigen uns auf die linke Seite – 20 Grad lassen einen schon bös im Gurt baumeln. Der Unimog würde auch 38 schaffen, die Menschen in ihm aber nur dank Anschnallgurt und mit Tütchen für empfindliche Mägen. 

Wir holpern weiter über Baumstämme, Hubbel und Löcher und stehen vor einer Rampe. 45 Grad. Umgerechnet 100 Prozent Steigung. Kurz Reifenkontakt mit der gewölbten Wand aufnehmen – und schon hängen wir in der Steigung. Frieder Behringer drückt aufs Gas und die 230 Pferde ziehen den schweren Wagen nach oben, als wäre es nichts. 

Oben kurz verzögern, dann mit 31 Grad hinab. Gerade so, dass die Stoßstange nicht aufsetzt. Jetzt wissen wir, wie’s geht. Die zweite, längere Rampe ist kein Hindernis mehr. Die längere Abfahrt aber ein neues Erlebnis: Nur noch den Boden sehen wir in der Scheibe vor uns – und hängen ganz schön in den Gurten. Wieder in der Vertikalen sitzend, schaltet Fahrer Behringer jetzt „von lady-like auf teenie-like“ und rüttelt die Ehrenrunde zu Ende.

„Bis zu 250 Mal am Tag brettert der Wagen hier über den Baumstamm und bleibt heil“, betont Hildegard Knoop die unimogtypische Unverwüstlichkeit, als wir zum Stehen kommen. Ein schlechtes Rennpferd vielleicht – aber ein gutes Arbeitspferd. Im Museum steht immer ein Fahrer bereit. In einem zweiten Unimog sitzen derweil Besucher selbst am Steuer, die das nicht ganz günstige Fahrertraining gebucht haben.

Ein Leben voller Anekdoten

Unser Fahrer führt uns auch durch die Dauerausstellung vom Unimog in der Landwirtschaft und der Sonderausstellung vom Unimog als Baumeister. 

„Die Unimog-Geschichte, das sind immer auch die einzelnen Anekdoten“, sagt er und erzählt einen Teil davon. Wie die von den Berliner Putzteufeln. So wurden die 28 kommunalen Fahrzeuge der Baureihe U 401 im Volksmund bald genannt, die 1955 im Konvoi vom Werk in Gaggenau nach Berlin fuhren. 

Oder die Geschichte, wie Unimogs die olympischen Spiele 1964 in Innsbruck und 2000 in Sydney gerettet haben. Oder die von einem Unimog, der kopfüber einen Bergschacht rauf- und runterbewegt wurde und danach anstandslos lief, weil der Ölabnahmepunkt ganz unten den Motor bei jeder Steigung mit Öl versorgt. Oder wie die Schweizer Armee das Projekt
Unimog mit einem Großauftrag angekurbelt hat und die Nato für den einzigen Benziner verantwortlich war. 

Der Unimog mit Lostrommel

Als Leihgabe steht ein alter Unimog im inneren Ring der Halle. Ein Unternehmer hat ihn von seinen Kindern zum
70. Geburtstag geschenkt bekommen. Der Betonmischer auf der Ladefläche dient bei Festen als Lostrommel. „Ein Unimog hat mehr als ein Leben – meist ein professionelles, ein semiprofessionelles und danach ein privates“, sagt Unimog-Heldin Hilde. Baureihe und Baujahr sind ihr und den Ehrenamtlichen hier fast egal. Alle sind wertvoll – schließlich kann jeder alles erledigen und alles werden. Schnee schippen, Sand kippen, Äcker pflügen oder als Zwei-Wege-Fahrzeug auf Schienen fahren. In jeder Einzelgeschichte lernt man etwas über den Unimog.

Das Unimog-Fieber ist ansteckend

Wer etwas länger in Gaggenau bleibt, spürt schnell: Unimog muss so etwas wie eine Infektionskrankheit sein. Frieder Behringer und Fahrertrainer Andreas Lorch sprechen beide von einem Virus, wenn man sie fragt, wie sie auf den Bock gekommen sind. In ihrem Beruf hatten und haben der ehemalige Buchhändler wie der Systemingenieur nichts mit ihrem zeitintensiven Hobby zu tun. Behringer kannte den Unimog von seiner Oma und sagt heute. „Hier erfüllt sich ein Kindheitstraum.“

Trotz akuter Ansteckungsgefahr – Unimog ist keine lateinische Medizinvokabel. Die Übersetzung ist viel praktischer, und so einfach wie das Erfolgsrezept von Albert Friedrichs Erfindung: UniMoG ist ein Akronym und steht für UNIversales MOtorGerät. Das ist, was den Unimog ausmacht und was für seine Ausbreitung verantwortlich war: er kann alles. 

Der ehemalige Flugzeugkonstrukteur Albert Friedrich erfand den Unimog direkt nach dem Krieg. Unter dem Eindruck des Morgenthau-Plans, der Deutschland als reinen Agrarstaat vorsah, und angetrieben vom Wunsch, den Bauern ihre Arbeit zu erleichtern, entwarf er ein vollgefedertes Nutzfahrzeug. Mit großer Bodenfreiheit, vielfachen Auf- und Anbaumöglichkeiten und einer revolutionären Differenzialsperre, um ohne anzuhalten die Spur zu halten. 

1946 war der Prototyp U 6 fertig und vorbei war die Zeit, in der ein Fahrzeug nur Schlepper war. Von der Landwirtschaft aus eroberte der Allrounder mit Allrad bald den Bau, den Transport und die Kommunen. Trotz Trend zur Spezialisierung – Mercedes baut den Unimog noch heute. Und die Anbaumöglichkeiten mit Geräten vorne, hinten und an der Seite sind schier unendlich. 

Im Ruhestand auf den Bock

Ein Unimog ist für seine Fans Kultobjekt, Identifikationsfigur und Freudenspender. Wie eine Harley. Nur fetter. Oder wie ein alter Porsche, an dem man immer wieder etwas schrauben kann. All das erklärt, warum Hildegard Knoops Ehrenamtliche im Jahr 15 000 Stunden ihrer Freizeit ins Museum stecken. 

„Oft haben auch die das Unimog-Fieber, die jahrzehntelang mit oder am Unimog gearbeitet haben“, sagt Knoop mit Blick auf die Ehrenamtlichen. „Es kommt vor, dass ein Daimlermitarbeiter schon den ersten Tag seines Ruhestands hier verbringt.“ 

Wenn man auf die Besucher des Museums schaut, fällt auf: Den typischen Unimog-Fan gibt es nicht. Es kommen nicht nur Frauen mit Männern, sondern Frauen und Männer. Ältere Semester kommen zum Klassentreffen, Kinder feiern ihren Geburtstag im Museum. Der exotischste Fan, den man begrüßen durfte, ist ein Mönch aus Japan, der zu Hause 20 Unimogs um sein Meditationsbänkchen geschart hat. 

Irdischer pflegt das „Unimog Team Fitzen“ sein Fan-Sein auf Youtube und geht mit dem Unimog samt Kranarm im See baden. Das Biest ist halt für jeden Scherz zu haben und wirklich universal einsetzbar …

Heldin Hilde

Im Unimog-Museum in Gaggenau hat sie die Hosen an: Hildegard Knoop hat 2011 das erste Mal das Museum in Gaggenau besucht. Sie hat sich in „das Biest“ verliebt und sich um die Geschäftsführung beworben. Seither leitet sie den Museumsbetrieb mit seinen mehr als 100 Ehrenamtlichen erfolgreich. Sie hat den Blick für die Geschichte des Unimogs – und kennt die Fahrer und Techniker, die ihn bändigen können.

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