Der Kartoffelkönig vom Kaiserstuhl

Der Boden ist Gold wert, die Kartoffeln sind es auch. Dort, wo Otmar Binder ackert, ist die Erde ideal für Erdäpfel. Trotzdem hat er Arbeit ohne Ende

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Christa Binder mag Farben. Nicht nur, dass sie eine Vorliebe für Pullis in kräftigen Farben hat, auch das Essen leuchtet. Und heute gibt’s Kartoffeln. Rote, blaue und gelbe liegen appetitlich in der feuerfesten Schüssel. So wie’s duftet, muss auch Knoblauch dabei sein. Dass es heute auf dem Forchheimer Lindenbrunnenhof Kartoffeln gibt, ist ungefähr so ungewöhnlich wie die Feststellung, dass es Eulen in Athen hat. Denn Christa Binder und ihr Mann Otmar sind so etwas wie Badens Kartoffelgurus. Wer, wenn nicht sie, kennt sich aus mit Ackersegen, Agila, Bamberger Hörnla und Belinda, Ditta, Linda? 38 reguläre Sorten sowie zehn Exoten bauen sie derzeit auf 15 Hektar Ackerland an. Zur Vielfalt des Lindenbrunnenhofs gehören auch Soja, Weizen und Tomaten sowie Hühner und ein paar Schafe. Bestimmt hat man was vergessen. Vom Land Baden-Württemberg bekamen sie den Auftrag, Frühkartoffeln zu testen, für Bioland machen sie im Prinzip das Gleiche. Echte Koryphäen? Otmar lächelt verlegen, als er einen Sack Kartoffeln in die Schubkarre wuchtet. „Naja, wir machen halt Kartoffeln.“

Im gelobten Land

Draußen karrt Otmar mit der Schubkarre Kartoffeln über den verschlammten Hof (die letzte Zeit hat es nur geregnet) und brennt nebenbei noch Schnaps. Das würde so mitlaufen, sagt er, schließlich hat man auch eigene Äpfel. Irgendwas zu tun gibt es auf einem Bauernhof immer. „Typische Winterarbeit“, grinst Otmar an der Brennkolonne. Währenddessen steht die leidenschaftliche Köchin Christa am Herd und berichtet, wie es für sie anfing. Christa stammt auch aus einem bäuerlichen Elternhaus in Wagenbach, ganz in der Nähe von Forchheim. Natürlich kannte sie Kartoffeln, aber dass es sich mit den Kartoffeln so auswächst, konnte sie sich nicht vorstellen. Das liegt einzig und allein an ihrem Mann, der aus Forchheim stammt, wo es mehr als 20 Kartoffelbauern hat. Dort haben die Bauern die Knolle in der DNA. Forchheim ist für Kartoffelbauern das, was für Goldsucher der Klondike war. Hier wird man fündig, aber meistens doch nicht reich. „Es ist Arbeit ohne Ende“, sagt es treffend der Kartoffelbauer, der, weil er sich für Bio entschieden hat, noch mehr buckeln muss. Aber warum Forchheim weit und breit als „Kartoffelhochburg“ (Badische Zeitung) bekannt ist, hat viele Gründe.

Die gute Erde

Der Boden ist mit ein Erfolgsgeheimnis, warum rund um Forchheim die Kartoffel das ist, was andernorts der Spargel ist. Otmar holt aus, erzählt wie ein Geologe von der Absenkung des Rheingrabens, vom Windschatten des Kaiserstuhls, Vulkanen und von Südwinden, die seit Millionen Jahren Saharastaub herwehen. Das Gemisch aus Löß, Vulkangestein und Saharastaub ist luftiger als andere Erde und lässt Regenwasser viel besser durch. Sprich: Es staut sich kein Wasser. Das ist wichtig, damit die Frucht in der Erde nicht fault. Ein weiterer Effekt dieser Melange ist die Bodentemperatur. Der Boden sei wärmer, weiß Otmar. Vielleicht nur ein halbes Grad, aber wenn nur ein paar Kilometer weiter bei Riegel im Winter schon der Schnee liegen bleibt, trägt der Boden bei Forchheim immer noch ackerbraun. „Die Erde ist so wertvoll“, sagt Christa. „Ich kann es gar nicht beschreiben, das muss man fühlen.“

In der Küche schwärmt Christa von der kulinarischen Vielfalt, was man alles mit der Kartoffel machen kann. Wie ein Angler streckt sie die Arme aus, bloß dass Angler meist übertreiben, wenn sie das machen, Christas Arme aber zu kurz sind, um all die kulinarischen Möglichkeiten aufzuzählen und zu beschreiben: Stampf, Gratin, Suppen, Rösti, Kartoffelpizza und Kartoffeln aus dem Wok. Die Kleinen seien besonders gut, weiß sie, greift sich eine blaue heraus und schneidet sie auf. Für die kleinen Kartoffeln muss man sprichwörtlich buckeln, denn sie bleiben meist im Acker liegen. Aber sie schmecken wohl besonders gut, „die Herdäpfele“, wie sie liebevoll genannt werden.

Die Kaiserstühler und Freiburger Sterne-Gastronomie giert danach. Am besten würde man die Qualität der Kartoffel erkennen, wenn man sie als Pellkartoffel macht, oder wie man hier im Badischen sagt: als „Gschwellte“ oder auch „Gschwellti“. Am Tag drauf könne man sie „anbrägeln“, also anbraten.

Bulli-Bulli machen

Christa weiß eine Menge Kartoffelgeschichten zu erzählen. Als sie als junge Frau vor 30 Jahren auf den Hof kam, gab es tatsächlich noch Auslieferungen mit den Rössern, dann mit dem Bulldog, wie man hier zum Traktor sagt. Darum wird von manchen Kaiserstühlern das Herumfahren und Anliefern zwischen Freiburg und Offenburg und weit in den Schwarzwald hinein auch als Bulli-Bulli bezeichnet. Heute sieht es anders aus, weil die Leute keine richtigen, also kühlen Keller mehr haben und weil sich die Essgewohnheiten geändert haben, namentlich „die Nudelwelle“ und neuerdings Fertiggerichte. Und schon waren die Herdäpfel out, zumindest nicht mehr so sehr in aller Munde, wenn man von Pommes frites absieht. Statt eines Zentners Kartoffeln sind es jetzt vielleicht mal zehn Kilo, die jemand ordert.

Das Geschäft hat sich eh verändert, es gibt noch ein paar Leute, die sich Herdäpfel liefern lassen, aber das große Geschäft wird mit Bauern- und Wochenmärkten in Freiburg und im Hofladen gemacht. Anfangs kauften sie weiteres Obst und Gemüse dazu. Irgendwann wollten sie im Winter kein Gemüse mehr verkaufen, das keine Saison hat, also nicht aus der Gegend stammt. Sie haben auf saisonal und regional umgestellt, oder wie es Christa sagt: „Wir kamen auf den Weg.“ Das Regionale wurde irgendwann biologisch, ein logischer Schritt für die Binders.

Immer offen für Neues

Manchmal schenkt Christa ihren Stammkunden ein paar Knollen. Probieren Sie mal aus, sagt sie. Manchmal weiß auch sie nicht, wie sie diese oder jene Sorte zubereiten soll und ist dankbar, wenn ihre Kunden das herausfinden. Wenn eine Kundin sagt, dass sie die Linda für Klöße nimmt, Christa die Linda aber nicht für die optimale Sorte hält, ist ihr das auch recht. „Dann ist das Ziel erreicht“, sagt sie, denn sie mag es, wenn ihre Kunden mutig und selbstständig sind. Für alle, die nicht wissen wie, hat sie auch Rezepte. Da es 5000 Kartoffeln gibt (Quelle Wikipedia), ist Abwechslung auf dem Speiseplan angesagt, denn Otmar Binder pflanzt jedes Jahr neue Sorten an, die ihm manchmal von Freunden oder Bekannten aus Südamerika mitgebracht werden. Seit einiger Zeit probiert er sich an Kartoffeln, die eigentlich Gemüse sind und nur dem Namen nach Kartoffeln, wie beispielsweise die Süßkartoffel oder die Japanische Kartoffel, auch bekannt als Stachy oder Knollen-Ziest.

Am Ende aber gibt es nichts besseres als Herdäpfel und Herdäpfele (das sind die kleineren, wir wissen es schon, die für die Sterne-Gastronomie) und so geht es im Mai schon los mit Frühkartoffeln, die jeden Tag besser schmecken. Es kann gar nicht anders sein, denn als Christa Binder an einem kalten, grauen Februartag das berichtet, leuchten nicht nur die Kartoffeln in der feuerfesten Form.

Lindenbrunnenhof

Mehr Infos über den Hof gibt es hier: www.lindenbrunnenhof.de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 19 (2/2020)

Auf Eiersuche: Wir lassen uns von den Wusslers aus Gengenbach was ins Nest legen, verputzen die Wutz und zapfen an Tannen. Zudem erzählen wir, wie (und warum) der Schwarzwald tickt und warum es sich auf jeden Fall lohnt, nach Colmar zu fahren.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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