Auf dem Board zu Hause – der Olympia-Skater

Mit 12 bekam er sein erstes Skateboard, heute trainiert Alex Mizurov für Olympia 2021. Höchste Zeit also, den Gaggenauer einmal persönlich zu treffen

Text: Katerina Ankerhold · Fotos: Dimitri Dell

Ein bisschen lustig ist diese Skatewelt ja schon. In den vergangenen 15 Jahren hatte ich nichts mit ihr am Hut. Jetzt fühle ich mich zurückversetzt in meine Jugend, Ende des vergangenen Jahrtausends, als man in jedem Stadtpark an Halfpipes vorbeilief, auf denen Jungs (und auch ein paar Mädels) mit Baggyhosen und Cappy unermüdlich auf ihren Skateboards die Rampen rauf- und runterfuhren, regelmäßig unterbrochen von Stürzen, die ihren Ehrgeiz nur noch weiter anstachelten. Nur, dass jetzt 2020 ist und ich in der Europa-Park-Arena stehe, umwabert von Rollensurren und Skateboardgeklacker, das in der Halle so richtig schön hallt …

Von Rastatt in die Welt

Damals, in den 90ern, war Skateboarden ein absoluter Trend. Angeschoben durch den Hype um den amerikanischen Skate-Profi Tony Hawk, der in den 1990er-Jahren mehrfach Weltmeister wurde, stand Skaten hoch im Kurs. Ungefähr zur selben Zeit, 1996, kam eine Familie aus Kasachstan wie viele andere Spätaussiedler ins kleine Rastatt, um hier ein neues Leben zu starten. Der jüngste Sohn sieben Jahre alt, Alex Mizurov. Fußball war Pflichtprogramm, was man eben so macht in dem Alter. Mit 12 bekam Alex ein Skateboard geschenkt. Mit 14 kam ein Skateshop auf ihn zu und bot ihm an, ihn zu sponsern.

„Was ein Sponsor ist, davon hatte ich damals keine Ahnung“, erzählt Alex. Wir haben uns vom Geratter in der Halle entfernt und unter dem Kreischen der über uns vorbeifahrenden Achterbahngäste erzählt er, wie er dahin kam, wo er jetzt ist: siebenfacher Deutscher Meister, zweifacher Europameister im Skateboarden, Mitglied des Olympia-Kaders für Tokio 2021. „Drei Monate später fuhr ich meinen ersten Contest, beim 25-Jahre-Jubiläum von Titus“, erinnert sich Alex. „Nach dem Contest bekam ich weitere Sponsoren und fuhr anschließend deutschlandweit bei Wettbewerben mit. Wir drehten Videos und schickten sie zu Werbezwecken an Skatefirmen – Youtube gab es damals ja noch nicht. Das war eine super Zeit!“

Dann kam der Schulabschluss und damit die Frage: Was nun? „Zu dem Zeitpunkt war mir schon klar, dass ich Skate-Profi werden wollte, aber für den Fall, dass das nicht klappen sollte,  hätte ich noch eine Ausbildung in der Tasche haben wollen“, erzählt der 32-Jährige. Der Skateshop, in dem er zuvor gejobbt hat, bietet ihm eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann an – und fast hätte er den Platz auch angetreten … Doch dann kommt eine Einladung zu einem Contest in den USA.

Kurz vor dem Abflug holt Alex noch den Europameistertitel bei der Skate-EM 2006 in Basel – „eher ungeplant“, wie er sagt – und dann muss er entscheiden: „Entweder ich mache die Ausbildung oder ich folge der Einladung in die USA.“ Die Entscheidung fällt auf Letzteres. Angefangen in der Amateurliga beim Game of S.K.A.T.E. in San Diego fährt sich Alex bis ins Finale der Profis, wo er siegt – und so als Deutscher Weltmeister wird.

Immer unterwegs

Ein Blick auf die Uhr. Alex tritt von einem auf den anderen Fuß, fängt an, seine Beine zu mobilisieren. Heute Morgen hat er schon Yoga gemacht. „Das ist super, um gedehnt zu bleiben und Muskeln und Gelenke stabil zu halten“, sagt er. „Besonders die Taube, kennst du die?“ Die Taube – eine ziemlich verdrehte Yoga-Pose zum Öffnen der Hüfte und Dehnen der Leisten. „Man wird ja nicht jünger, gell!“ Alex lacht. Er macht auch keinen Hehl daraus, dass sein liebster Freund auf Flugreisen der Kompressionsstrumpf ist. „Die sind geil! Da hat man nachher nicht so eingerostete Beine.“ Flugreisen gehören für Alex zum Alltag: Sechs Monate im Jahr ist er rund um den Globus unterwegs, auf Contests, Fotoshootings, Filmdrehs oder zum Training. In den restlichen sechs Monaten ist er in Gaggenau, wo er mit seiner Frau lebt. Um fit zu bleiben, helfen Fitnesstraining und gute Ernährung, skaten tut er nur etwa dreimal die Woche, im Skatepark oder draußen. Denn Street-Skaten, die Art des Skatens, die Alex betreibt, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass alles befahren wird, was draußen zu finden ist – Geländer, Stufen und Mauern sowie kleine Hindernisse aller Art …

Auf dem Weg nach Olympia

Das Geratter in der Halle nimmt kein Ende. Drinnen bereiten sich die Fahrer auf den Contest vor, die Süddeutsche Meisterschaft des Club of Skaters. Für Alex nur eine kleine Zwischenstation. Ernst nimmt er das schon, aber er hat größere Ziele. Zum ersten Mal ist Skaten im kommenden Jahr eine Olympia-Disziplin. Dass die Spiele von diesem auf nächstes Jahr verschoben sind, spielt ihm in die Karten: Nach einer Fußverletzung hat er eine Weile nicht so gut fahren können. Zwei Fuß-OPs hat er im Laufe der Jahre über sich ergehen lassen – für Alex aber kein Grund zur Sorge. „You gotta pay the price“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Ich finde, zwei OPs mit 32, das ist echt okay!“

Für Olympia sieht er allerdings die Chancen für das deutsche Team eher gering. Klingt pessimistisch, sieht aber gar nicht so aus, Alex ist entspannt „Die Amis, Brasilianer und Japaner sind einfach viel weiter als wir“, begründet er seine Prognose. „Bei denen hat Skaten einen höheren Stellenwert und bei 365 Tagen Sonne im Jahr lässt sich halt auch intensiver trainieren.“ Dass zwei Fahrer seines Teams für Olympia zugelassen werden – insgesamt dürfen nur 20 fahren –, das ist erst mal das Ziel. Jetzt müsse er aber mal los. Aufwärmen!

Auf dem Parcours in der Halle fahren sich jetzt die Teilnehmer der Kategorie Profi für den bevorstehenden Contest ein. Die Fläche ist voll, überall rollt und rattert es, ab und zu saust ein Board ohne Fahrer vorbei, letzterer rappelt sich vom Boden auf und sprintet hinterher. Alex dehnt sich am Rand, dann fährt er los. Mit aufrechtem Rücken und wie auf Wolken gleitet er durch die Halle. Er rutscht auf dem Skateboard über die aufgestellten Hindernisse, klackert gekonnt Stufen hinab und macht wie nebenbei ein paar rasante Sprünge. Der Schweiß rinnt. Skaten, das sei 30 Prozent körperliche und 70 Prozent mentale Arbeit, hat er zuvor noch gesagt. „Wenn du auf ein Geländer draufspringst und nicht zu 100 Prozent dabei bist, tut es ganz schön weh.“

Durchs Mikrofon wird der Contest angekündigt, die Jury sitzt bereit. Langsam leert sich der Parcours, beim Contest darf jeder Fahrer einzeln fahren, mit schön viel Platz, so wie Alex es am liebsten ist. „Schick mir dann noch ein Exemplar von eurem Magazin“, sagt er. „Meine Mutter sammelt die Beiträge über mich.“ Ein Lachen – und weg ist er …

Skateboard

Das Skateboard besteht aus dem Board selbst – also sozusagen dem „Trittbrett“ – sowie den Achsen und den Rädern. Letztere muss Alex Mizurov etwa einmal im Monat auswechseln, weil sie abgefahren sind, die Achsen halten drei bis vier Monate. Das Board tauscht Alex sogar einmal in der Woche, weil sich die Oberfläche abnutzt. Das wiederum führt dazu, dass er auch seine Schuhe alle zehn Tage auswechseln muss – ein teurer Spaß!

#heimat Schwarzwald Ausgabe 23 (6/2020)

Feuer unter der Brennblase, wandern im Winter Wonderland und ein laaaaanges Wochenende am Feldberg: So lieben wir die kalten Tage!

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

 

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