Zug um Zug um die Welt

Adrian Dinser aus Offenburg reist am liebsten mit der Eisenbahn. Darum hat er ein Magazin über das Zugreisen gegründet

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Wer würde jetzt eine neue Cola oder einen neuen Biomüsliriegel auf den Markt werfen wollen? Noch krasser: Wer hat den Mumm und bringt die 1000ste neue Zeitschrift heraus? Und dann auch noch zum Thema Zugfahren?

Adrian Dinser heißt dieser mutige Mann. Er hat’s getan. Sein Magazin heißt Der Passagier und erscheint alle drei Monate. Das Thema ist Reisen mit der Bahn. Der Offenburger gehört zu jenen unscheinbaren Zeitgenossen in Jeans und stets gebügeltem Hemd. Dazu eine Brille, der man ansieht, dass sie etwas gekostet hat, und ein top Haarschnitt, sauber, mit natürlichem Schwung. Banker oder Seelsorger? Nein, er ist Chefredakteur.

Schreibtisch statt Zug

Und wie das so ist mit den Menschen, die sich beruflich mit einem Thema beschäftigen: Sie haben selbst kaum Zeit dafür. „Bei jeder Produktion sitze ich drei Monate am Schreibtisch, dazwischen fahr ich mit dem Zug mal nach Frankfurt oder Straßburg.“ (Bekanntlich tragen auch Schuster die schlechtesten Schuhe …)

Sein Thema fängt nach der Kindheit an (nix Märklin) und entwickelte sich langsam durch die Bahnfahrten zur Schule nach Offenburg. Er machte zwar den Führerschein, aber lieber nahm und nimmt er den Zug, um in den Urlaub zu fahren. Dafür zitiert er den auch aus der #heimat Schwarzwald bekannten Koch Ronny Loll, der für die Deutsche Bahn Menüs entwickelte: „Autofahren ist verschwendete Zeit.“

Als der studierte Wirtschaftsprüfungsassistent vor langer Zeit mal einen Zugreiseführer suchte, fand er nichts. Warum gibt es das nicht? Interessiert sich niemand dafür oder können sich die Verlage nicht vorstellen, dass man damit Geld verdienen kann? Er aber konnte. „Ich war von der Idee so besessen, man macht das dann!“, erklärt er mit leichtem Flattern in der Stimme die Logik seines Tuns. Dann faltet er die Hände zusammen und schaut aus dem Fenster in Richtung der doppelten Kirchtürme. Kleine Zweifel (Print ist schwierig, funktioniert aber immer noch) wurden weggewischt. Er ist so sehr besessen von seinem Thema, dass er das kleine Erdbeben vergangenen September für einen größeren Zug hielt, der durch den Bahngraben rauschte.

Da auch in einem Zug keiner gleichzeitig Lokomotivführer, Heizer und Schaff ner sein kann, hat er sich Leute geholt. Zwei Werkstudenten helfen mit, zudem gehören Grafiker, Fotografen sowie Leute, die Kolumnen oder Reportagen schreiben, zum Team. Dinser stellt die Weichen gekonnt in Richtung Internet, zu manchen Themen finden sich dort weitere Storys. Dafür ist nicht das gesamte Heft auf der Website, sodass man als interessierter Mensch wieder zum Kiosk gehen muss. Schlau, schlau!

Der Anfang war nicht leicht. Vielleicht ist es das auch nie. In seinem speziellen Fall kam Corona dazwischen. Das geplante Heft stellte er aufs vorläufige Abstellgleis, dafür brachte er ein Buch an den Start, das eine Zugreise von Zürich nach Peking schildert.

Ein Mann hat Zeit

Beim Zugreisen hat man sehr viel Zeit, weiß Adrian. Zeit zum Schreiben, Nachdenken, Träumen, Planen und zum Fenster hinaus schauen. Adrian macht ein Magazin für Menschen, die Reisen nicht als Ankommen verstehen, sondern eben auch als Weg dorthin. Dann berichtet er, wie er für ein paar Kilometer zwischen Madrid nach Portugal fast einen Tag brauchte. Auch nach Taormina in Sizilien wäre man gerne mitgefahren, dito zu Monets Seerosen nach Paris.

Als Chefredakteur und Herausgeber lässt er sich ein, zwei Geschichten nicht nehmen. Über den legendären Höhenkurort Semmering in Niederösterreich ist er auf Goethe gestoßen. „Überall, wo ich war, war Goethe auch“, stellt er dabei amüsiert fest. Wobei Goethe zwar nie eine richtige Eisenbahn zu sehen bekam, er starb 1832, angeblich aber ein Modell einer englischen Eisenbahn geschenkt bekam. Klein, aber fein und seiner Zeit etwas voraus war dieses Modell eines Zugs. Genauso wie Adrians Der Passagier. Nächster Halt Ausgabe sechs!

Bitte einsteigen, aber wo?
Das Magazin Der Passagier gibt es an jedem gut sortierten Bahnhofskiosk oder via Internet: derpassagier.com

Der Passagier

„Das Magazin über das Zugreisen“ erscheint dreimal pro Jahr und ist nach dem Aus von DB mobil das einzig ernsthafte Heft über Zugreisen. Optisch erinnert das Magazin an den New Yorker, jedes Mal gibt es ein gemaltes oder gezeichnetes Titelbild von einem anderen Künstler. Auch im Heft finden sich viele Zeichnungen. Typisch für das Heft sind die langen Texte. „Schreiben, wie man es berichten möchte“, lautet die Devise. Statt über Venedig gibt es eine Story über die Zugfahrt dorthin. Auch ungewöhnliche Orte werden angesteuert, wie die Hohe Tatra. Dazu viel Service: Einkehren, Gimmicks, Geschenke, Bücher …

#heimat Schwarzwald Ausgabe 37 (2/2023)

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