Die Dialektretter
Günter Kramer und Reinhard Valenta retten die Mundart ihrer Heimatstadt Wehr. Gut so – denn die ist im Schwarzwald einmalig
Wanderer, kommst du nach Wehr … dann vernimmst du womöglich Laute, die fremdartig klingen, gleichzeitig aber doch freundlich und einladend. Eine Wortmelodie liegt in der Luft und du lächelst. Denn du hörst: Wäärerdütsch, einen einzigartigen Dialekt, wie es auf dieser Welt keinen zweiten gibt. Allein schon aus der Tatsache heraus, dass er nur hier im Ort gesprochen wird …
Damit sind wir schon beim ersten Haken dieser Geschichte angelangt. Wäärerdütsch ist ein alemannischer Dialekt, und weil Dialekte grundsätzlich vom Aussterben bedroht sind, steht auch dieser besondere auf der roten Liste der bedrohten Arten. Oder sagen wir’s besser so: Der Dialekt stand auf dieser Liste, bis zwei umtriebige Herren aus Wehr sich ein Herz fassten.
Die Letzten ihrer Art
„Wir müssen was tun!“, sagte Günter Kramer und Dr. Reinhard Valenta stimmte ihm bei. Natürlich sagten sie das eigentlich auf Wäärerdütsch, doch das lässt sich schwer aufschreiben. (Aber hören! Wie ihr gleich im Video seht...) Und das ist der zweite Haken der Geschichte: Dialekte sind mündliche Angelegenheiten. Die besonderen Ausdrücke und die Grammatik und Semantik aufs Papier zu bringen – das ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Natürlich kann man es versuchen, doch meistens geht es schief: Wie um alles in der Welt schreibt man diesen rauchigen Kratzlaut „ch“, der klingt, als qualme man eine Zigarre auf Lunge, während man gleichzeitig Konversation acht? Dieser Laut kommt jedoch im Wäärerdütsch häufig vor. Fragen wir also die Fachmänner, was zu tun ist.
Rettung durch Aufschreiben
„Es gibt ein Wörterbuch“, sagt Günter Kramer. „Bruno Schäuble aus Wehr hat damit versucht, unseren Dialekt über die Zeiten zu retten.“ Dabei setzte der Autor nach Gutdünken Akzente auf Vokale, um wenigsten annähernd den rauchigen Kratzlaut und andere Besonderheiten zu beschreiben. „Das entspricht natürlich nicht der wissenschaftlichen Herangehensweise an Dialekte“, ergänzt Reinhard Valenta. „Nimmt jemand in ein paar Jahren das Buch zur Hand und hat den Klang des Dialekts nicht mehr im Ohr, weiß er nicht, wie diese Worte ausgesprochen wurden.“ Und es sind immerhin mehr als 1000 gesammelte Worte in Wäärerdütsch …
Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch, und in dieser kam den beiden Wehrern die glänzende Idee: Eine phonologische Transkription muss her! Dafür schnappten sie sich ein Aufnahmegerät und zogen durch Wehr, um von alteingesessenen Bürgern zu erfahren, auf welche Art und Weise die Wörter ausgesprochen werden. Wobei auch Mittzwanziger zu den befragten alteingesessenen Bürgern zählen – und die älteste Teilnehmerin blickte auf stolze 91 Lenze zurück.
So entstand bisher zunächst ein Audiofile, das mehr ist als eine historische Tonaufnahme. Denn verschwindet ein Dialekt, verschwindet das damit verbundene kulturelle Wissen gleich mit. Das wäre in Wehr besonders schade, weil dieses reizende, am Fluss Wehra gelegene Städtchen – und zwar dort, wo er sich aus der sagenumwobenen Wehraschlucht gen Rhein aufmacht – eine Menge zu bieten hat.

Der Blick schweift weit: Hinüber zum Dinkelberg, hinab nach Wehr, und natürlich auch aufs Vesper. Denn nirgends schmeckt’s besser als draußen in der Natur. Dort haben es sich Inge Hemberger und Gabriele Meisel in einem der überall aufgestellten Aussichtsplätzchen bequem gemacht. Die sind übrigens mit einem Mundartgedicht von Inge Hemberger versehen. Was da zu lesen ist? Kommt vorbei und schaut selbst!
Ein Bilderbuchort
Diesen Teil der Geschichte übernehmen Inge Hemberger und Gabriele Meisel, die eine Mundart-Dichterin und die andere Fachfrau der Wehrer Touristik. Ganz klar kennen sie alle schönen Ecken des Heimatortes der weltberühmten Geigerin Anne-Sophie Mutter – „die immer wieder nach Wehr zurückkehrt“, wie Inge Hemberger betont. Und warum die große Wehrerin das tut, liegt auf der Hand: Gleich hinter dem Städtchen beginnt der Naturpark Südschwarzwald mit dem prämierten Qualitätswanderweg Schluchtensteig. Wer es kürzer mag und trotzdem auf einen kleinen Nervenkitzel nicht verzichten will, nimmt den Sagenpfad hinauf aufs Schlössle mitten im Ort.
Die meisten zieht es natürlich in die wilden Schluchten des Wehratals mit den urwaldartigen Bergmischwäldern. „Was Wehr auszeichnet“, so Gabriele Meisel, „ist diese urwüchsige Schwarzwaldlandschaft. Dazu geht die Gemarkungsgrenze bis zur Einmündung der Wehra in den Rhein. Hier gibt es ein Naturschutzgebiet mit seltenen Vogelarten. Und auf der Rheinpromenade spaziert man im Sommer zum Badestrand“. Und chillt dort ganz gemütlich in der Sonne – vor einer Wasser- und Naturkulisse, die keine Wünsche offen lässt.
Wäärerdütsch für Anfänger
Ob ich für die Wörter Beach und chillen nun eigentlich mein Wäärer „ch“ brauche? Hm … In der Transkription sind die beiden Wörter nicht erfasst. Vielleicht sollte ich dann lieber erst noch üben – und dabei eine kratzige Zigarre am Rhein rauchen, oder was meint Ihr?
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