Wolfgangs kleine Welten

Wolfgang Bonert fertigt jedes winzige Element seiner Krippen in Handarbeit an. Deshalb verkauft er sie auch nur ungern – und schon gar nicht an jeden

Text: Verena Vogt · Fotos: Jigal Fichtner

Urgemütlich ist es hier im Keller. Ein warmer Holzduft strömt durch die kleine Krippenwerkstatt, in der sich überall die Werkzeuge stapeln: Kappsäge. Bandsäge. Schleifmaschine. Mindestens ein Dutzend Schnitzermesser und Zangen. Dazu lagern Äste und Bretter in allen Formen und Größen in Plastikkisten bis unter die Decke, an einer Wand drängen sich die fertigen Krippen in Regalen aneinander.
Mittendrin führt Wolfgang Bonert mir seine Schindelschneidemaschine Marke Eigenbau vor. Mit einem Küchenmesser, das in eine Eisenkonstruktion eingeklemmt ist, schneidet er ein dünnes Brett in gewollt ungleichmäßige Plättchen. Wolfgangs Augen leuchten. „Mit der Drahtbürste werden jetzt die Fasern der Schindeln rausgebürstet, und danach mit der Zange abgebrochen, damit alles aussieht wie vor 500 Jahren.“ Später werden sie noch gebeizt, abgeschliffen und eingeölt, bevor sie auf dem nächsten Krippendach zum Einsatz kommen.

Die Säge ist immer dabei

Es gibt wohl kaum einen Krippenbauer im Schwarzwald, der so verrückt detailverliebt ist wie der Altenheimer. „Andere Krippenbauer“, sagt er, „fertigen ein Exemplar pro Tag“. In jedem seiner Modelle stecken dagegen teilweise bis zu 250 Arbeitsstunden. Der 66-Jährige ist stolz darauf, dass er nichts im Baumarkt kauft: Er verwendet nur altes Holz, hauptsächlich Tanne und Fichte, teilweise mehrere Hundert Jahre alt. „Wenn wir wandern gehen, sind immer der Rucksack und die Säge dabei. Man findet ja immer irgendwas“, sagt er. Wichtig ist für Wolfgang, dass alles nicht nur selbst gebaut, sondern auch handwerklich in  Topqualität gefertigt ist. Natürlich könnte er den Krippen-Rohbau in wenigen Minuten mit Schrauben stabilisieren. Wolfgang aber verzapft seine Holzbalken lieber mit Streichhölzern oder benutzt Spangen, die er aus Bindedraht dengelt. „Wahnsinnig aufwendig“, sagt er selbst, „aber so sieht man nirgendwo einen Nagel.“ Auch Farbe kauft er nicht im Laden: „Den Boden streiche ich mit einer Patina, die mische ich selbst. Da kommt Sägemehl rein zum Abtönen, und so kriegt man die Farbe hin.“

Schummeln kommt nicht in Frage

Und damit nicht genug: Viele Krippenelemente sind auch voll funktionstüchtig. Wolfgang demonstriert, wie sich ein winziger Eimer per Seilwinde aus einem Brunnen hochziehen lässt. Dann holt er einen unscheinbaren Karren aus einer fertigen Krippe hervor. „An so einem Wagen mit Achse, dreh- und lenkbar, da sitzen Sie wahnsinnig lange. Dafür braucht man zwei Stunden, wenn’s langt. Und wenn was abbricht, fangen Sie grad von vorne an.“ Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht… Dennoch: „Schummeln“, wie er sagt, kommt für Wolfgang nicht infrage. „Deshalb ist die Krippe für mich auch so viel wert, die kann ich eigentlich gar nicht verkaufen.“ Dass er das trotzdem tut, hat er der Durbacher WG zu verdanken. Weil er dort seit mehr als 20 Jahren seine Krippen ausstellt, sind im Lauf der Zeit Menschen von überallher auf sein Talent aufmerksam geworden. Und als es zu Hause vor lauter Krippen langsam eng wurde, lag die Lösung auf der Hand. Aber Wolfgang verkauft seine Krippen nicht jedem, und schon gar nicht übers Internet. „Ich muss mich mit den Leuten unterhalten, und ich muss wissen, dass die Krippe eine gute Heimat kriegt“, sagt er. Zwischen 600 und 800 Euro verlangt er pro Exemplar, aber „für mich ist der Lohn sicher nicht das Geld, sondern die Anerkennung, und vor allem, dass es mit der Tradition weitergeht“.
Wie viele Krippen Wolfgang schon gebaut hat? Das kann er heute nicht mehr sagen. Dafür weiß er aber noch genau, wie alles angefangen hat. Das hatte nichts mit Weihnachten oder Religiosität zu tun, sondern mit seinem Cousin, einem Maurermeister und Zimmermann. Vor 45 Jahren brachte der ihm einmal aus der  Gewerbeschule ein paar Miniaturziegelsteine mit, mit denen die angehenden Maurer ihr Handwerk lernen. Wolfgang setzte sie mit Mörtel zu einer kleinen Mauer zusammen – und war so fasziniert, dass er um die Mauer herum einfach immer weiterbaute. Das Ergebnis: seine erste eigene Krippe – und eine lebenslange Leidenschaft.

Der Schwarzwald als Inspiration

Und die verbindet er gern mit einer anderen Leidenschaft: der Natur. Von ihr lässt er sich gern inspirieren, bevor er ein neues Projekt in Angriff nimmt. „Oft fahr ich irgendwo in den Schwarzwald, seh irgendwo einen interessanten Stall und dann hab ich das im Kopf.“ Wenn er sich dann ans Werk macht, orientiert er sich zwar ein bisschen am Krippenmeter, mit dem man die Proportionen der Krippenelemente im Verhältnis zu den Figuren berechnen kann. Ansonsten lautet die Devise Pi mal Daumen – an Vorgaben hält er sich nämlich nur ungern. Deshalb hat er auch nie eine Ausbildung zum Krippenbaumeister gemacht, und deshalb ist auch jede Krippe ein Unikat. „Ich könnte sie gar nicht nachbauen, weil ich nicht weiß, wie ich es gemacht habe“, sagt er lachend. Nur an eins hat sich Wolfgang in all den Jahren nie gewagt: das Schnitzen der Krippenfiguren. Das überlässt er lieber den Profis, zum Beispiel einem befreundeten Schnitzer aus dem Grödnertal. Er hofft, dass seine Kunden sich einen Figurenschnitzer im Schwarzwald suchen: „Damit die Tradition weiterlebt. Denn wenn das mal verloren geht, sind wir arm dran.“ Und das könnte man sicher auch über Wolfgangs Handwerkskunst sagen …

Zur Person

Fast wäre aus Wolfgang Bonert, Jahrgang 1955, ein Profifußballer geworden. Er hatte bereits einen Vertrag bei den Stuttgarter Kickers in der Tasche, als ihm ein schwerer Verkehrsunfall mit 18 die Traumkarriere zerstörte. Danach lernte Wolfgang Automechaniker und Automobilkaufmann, bevor er Ende der 70er-Jahre die freie Tankstelle in der Offenburger Rammersweierstraße aufbaute. Neben dem Krippenbau fährt er gern Mountainbike und genießt es, bei Wind und Wetter unter seine – natürlich selbst gebaute – Outdoordusche zu stehen

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