Wie die Bahn den Schwarzwald erobert hat

Das kleine Grossherzogtum Baden war eines der ersten deutschen Länder mit eigener Eisenbahn. Der Schwarzwald wurde zur Herausforderung 

Text: Pascal Cames

Der Fortschritt klopft an. Wer macht auf? Niemand. Es dauert immer seine Zeit, bis das Neue ankommt. Die erste öffentliche Dampfeisenbahn fuhr 1825 in England, die erste deutsche Bahnstrecke ging 1835 von Nürnberg nach Fürth, das Großherzogtum Baden sprang 1838 auf den Zug und nahm 1840 die Strecke Mannheim–Heidelberg in Betrieb, 1843 wurde Karlsruhe angeschlossen, ein Jahr später Offenburg. Erst 1855 war die Rheintalbahn bis Basel vollendet. Anspruchsvoller wurden die Seitenstrecken von Offenburg nach Singen (1873) und die Höllentalbahn. Hier lauerte der Schwarzwald, der bekanntlich nicht nur lauschige Täler hat.

Der Fortschritt kommt

Aber nicht alle waren begeistert von der Eisenbahn. Man befürchtete Gehirnerkrankungen und Schlagfälle wegen des hohen Tempos. Und das schon bei 20 bis 30 Stundenkilometern. Auch Kaufleute und Kutscher waren nicht amused. Denn wer fährt mit der Kutsche, wenn’s auch  schneller geht? Und: Die Eisenbahn brachte neue Waren in die Stadt! Oh, oh, Konkurrenz! Andere wie der Korker Pfarrer Bernhard Fecht (1811–1851) sah die Eisenbahn als „Hebel des Fortschritts“. Der Großherzog erkannte die Chance, denn mit der Bahn ließen sich Menschen, Waren und auch Ideen transportieren. Ein Gesetz wurde dafür erlassen.

Geografie als Herausforderung

Schaut man auf eine Landkarte, wird klar, das mit der etwas seltsamen Form Badens – schmal, lang und krumm – eine Herausforderung gegeben ist. Dann gibt es noch ein Mittelgebirge, den Schwarzwald, das auch überwunden werden muss. Wegsprengen? Nein, soweit wollte und konnte man nicht gehen. Berge konnte man keine bewegen, aber Flüsse umleiten, wo nötig und so wurde es auch zweimal gemacht. Knifflig war’s auch mit den Nachbarstaaten. Paris und Straßburg waren seit 1852 miteinander verbunden, hier wollten die Badener andocken und verlegten Schienen bis Kehl. In Sachen Württemberg lag die Sache aber anders. Der württembergische Schwarzwald  sollte nicht ans badische Eisenbahnnetz, denn sonst könnten die Schwaben ihre Waren besser verkaufen und die Badener würden auf ihren Kuckucksuhren sitzen bleiben. Also war die ganz große Ingenieurskunst gefragt, um die Konkurrenz zu umfahren. 

Der Macher aus Karlsruhe

Auftritt Robert Gerwig, der maßgeblich daran beteiligt war, dass Offenburg mit Singen verbunden wurde. Der Karlsruher Bauingenieur dachte radikal neu und hatte nicht den Tunnelblick, auch wenn 39 Tunnels gebohrt wurden. Aber wie wollte man die 630 Meter Höhenunterschied überwinden? Gerwig dachte rund und ließ die Gleise ganz eng am Berg entlang laufen. Statt Tunnel gab es Kurven, Kehren und keine enormen Steigungen. Dafür verlängerte sich die Bahnstrecke. Für dieses Projekt waren 1500 Arbeiter aus Italien, Österreich und der Schweiz am Schuften, denn sie kannten sich mit Granit gut aus. Die Bauzeit der Schwarzwaldbahn war von 1863 bis 1873. Die Schwarzwälder waren begeistert. 

1. Klasse mit Veranda

Heute ist die Schwarzwaldbahn für ihre Streckenführung und ihre Aussichten berühmt. Das sah man damals schon genauso. Die Sommerzüge hatten drei Aussichtswagen 1. Klasse mit Veranda. Der aus Hornberg gebürtige Schriftsteller Wilhelm Hausenstein (1882–1957) staunte nicht schlecht: „Hier ist nun kein Zweifel mehr: auch der Schwarzwald ist ein rechtes Gebirge.“ So kann man es bis heute erleben, ob nun auf der Schwarzwaldbahn, durchs Höllental oder nicht ganz so abenteuerlich, aber herrlich schmuck auf der Dreiseenbahn. Alle einsteigen! 

Schon gewusst?

Eisenbahn in der Sprache

Die Eisenbahn hat sich tief in der Sprache verewigt. Sprachbilder wie etwa ganz großer Bahnhof, es ist höchste Eisenbahn, alter Mann ist kein D-Zug, der steht mächtig unter Dampf und ich verstehe nur Bahnhof gehören zum deutschen Sprachschatz. 

Eisenbahn-Irrtum

„Das Reisen mit der Eisenbahn bei hohen Geschwindigkeiten ist nicht möglich, da Passagiere nicht in der Lage wären zu atmen und erstickten“, glaubte Dionysius Lardner (1793–1859), irischer Physiker, Mathematiker und Enzyklopädist. 

Musical

Der aus Karlsruhe stammende Konstrukteur der Schwarzwaldbahn Robert Gerwig (1820–1885) wurde in einem Musical verewigt, das 2009 und 2010 in Triberg aufgeführt wurde. Die Urheber sind Peter Bruker (Text) und Rolf Langenbach (Musik).

Sommerau

Der höchste Punkt der Schwarzwaldbahn heißt Sommerau (830 m) und hat seinen Namen angeblich vom Klima: „In Sommerau ist’s im Winter kalt und im Sommer au.“ 

Die Bahnhäusle-Uhr

Schwarzwaldbahn-Konstrukteur Robert Gerwig war auch Direktor der Badischen Uhrmacherschule in Furtwangen und rief 1850 zu einem Wettbewerb für eine zeitgemäße Uhr auf. Es gewann der Architekt Friedrich Eisenlohr, der auf die Fassade eines Bahnwärterhäuschens ein Zifferblatt setzte.  

Eisenbahn im Museum

Im Verkehrsmuseum Karlsruhe stehen die ersten Dampflokomotiven Badens.
www.verkehrswacht-karlsruhe.de

Im Technikmuseum Sinsheim sind
27 Lokomotiven ausgestellt:
sinsheim.technik-museum.de/ 

Europas größtes Eisenbahnmuseum befindet sich in Mulhouse im Elsass. Die Cité du Train hat sogar Modelle aus den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts.
www.citedutrain.com

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