Wie schmeckt eigentlich Löwenzahn?

Marthe Kehren aus dem Elsass ist eine wahre Gemüseexpertin, vor allem aber kennt sie sich mit Löwenzahn aus.

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Feldsalat! Bärlauch! Und jetzt Löwenzahn? Kommt der nächste Foodtrend aus dem Elsass? Vielleicht. Die heiß gehandelte erste Adresse für Löwenzahn ist jedenfalls Marthe, ein patente Madame mit angenehmer Stimme. „Ich bin aus Fessni im Kochersbari“, singt sie im charmanten Elsässerdeutsch. Auf Hochdeutsch: „Ich bin aus Fessenheim im Kochersberg.“ 

Fessenheim-le-Bas (Niederfessenheim) ist ein kleines Bauerndorf zwischen großen, weitläufigen Äckern. „In Nordheim wächst Wein, da haben sie Obst, da drüben Kartoffeln, da oben ist eine Ziegenfarm“, erklärt Marthes Mann Christian den vom Lössboden geprägten Kochersberg vor den Toren Straßburgs. Der Kochersberg ist eine der Gegenden wo alles schmeckt, was wächst. Marthe erzählt, dass der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. im 17. Jh. bei der Inspektion seiner neuen Provinz  den legendär gewordenen  Spruch vom „schönen Garten Elsass“ im Kochersberg losgelassen hat. Ob’s stimmt? In Saverne sagen sie es auch. Aber ob  nun dort oder hier, der Kochersbari ist wirklich ein schöner Garten. Bis heute. Fessenheim hat immer noch 15 Bauern, dazu fünf Hofläden – und Marthe Kehren, die im  Elsass jeder kennt. „Marthe, eine gute Gemüsefrau und gute Fee überhaupt, wacht über diese Wurzeln und ihre grünen Pflanzen, als wären sie ihre Kinder“,  flötet daher der französische Gastrokritiker Gilles „Pudlo“ Pudlowski über Marthe und ihre Liebesgeschichte mit dem Gemüse.

Mit den Erbsen fing es an  

Unsere gute Fee stammt aus einer Bauersfamilie aus Fessenheim und lernte Buchhalterin, aber weil sie mit ihrem Chef immer morgens auf den Markt musste, bekam sie irgendwann Lust aufs G’mies, also auf Gemüse, und so ging sie zurück zu den Wurzeln. Das war vor mehr als 30 Jahren. Zunächst kultivierte sie Mais, Sonnenblumen und Tabak. G’mies fand sie aber spannender. Überhaupt mag sie es, wenn sie sich um etwas bekümmern kann. „Topinambur interessiert mich nicht, der wächst von allein“, erklärt sie ihre Passion für Gemüse, das etwas Sorgfalt braucht. Sie fing mit Erbsen an, die immer noch ihre Leidenschaft sind. „Ha ja“, sagt sie. Aber dann entdeckte sie den Löwenzahn, der auf Französisch pissenlit heißt, auf Elsässisch und Badisch Bettseicher. Das wiederum ist die ziemlich genaue Übersetzung von Pissenlit. Den Namen hat er von der harntreibenden Wirkung des aus seinen Blüten gewonnenen Tees.

Kauft beim Bauern! 

Früher war Löwenzahn ein Arme-Leute-Essen, weil man ihn überall gefunden hat. Marthe rät zum Kauf beim Bauern, dann sei er garantiert sauber. Aber so oder so, waschen muss man ihn. Draußen vorm Dorf hat sie ein gigantisches Feld mit zehn Reihen Löwenzahn, jede 500 Meter lang. Im April sät sie ihn aus.  Sie erzählt, dass sie in die Erde schaut, ob sich auch was tut. Wenn sich dann was tut, und es tut sich immer was, dann muss sie ihn zweimal mähen und im Oktober Erde über ihn häufeln, dann schaut der Acker wie ein Spargelacker aus. Nur sind die Dämme kleiner. Ab Februar lugen die ersten gelben Blätter aus dem Grund, die schnell grün werden. 

Et voila, die Saison beginnt. Und damit der Frühling und die Lust auf frische Salate. „Es ist der erste Salat im Jahr!“, freut sie sich wie tausende anderer Elsässer.  Marthes Pissenlit gibt es in Bauernläden, Wochenmärkten, an Straßenständen,  in guten Häusern wie Sandkischt, Chez Yvonne, La Fabrique und in Sternerestaurants wie dem Buerehiesel in der Straßburger Orangerie. „Ich hab angerufen“, erklärt sie ihre Strategie und so kamen Sternekoch und Bäuerin miteinander ins Geschäft. Ob sie schon mal im Burehiesel ihren Löwenzahn gegessen hat? Nein! „Pissenlit esse ich zu Hause, aber nicht beim Westermann!“ Ein gesundes Selbstvertrauen sieht man ihr an. 

Über Marthe

Landwirtin Marthe Kehren engagiert sich für krebskranke Kinder in Straßburg. Ihr Verein heißt Enfants de Marthe: www.enfantsdemarthe.fr. Sie sammelt Geld, etwa für Ausflüge in den Europa-Park. „Wenn Sie sie zufällig – sie glaubt nicht an den Zufall – besuchen, werden Sie feststellen, dass Marthes positive Kraft auf das Lebendige über die Grenzen ihres Gemüsegartens hinausgeht“, sagt Eric Westermann, vom Buerehiesel.

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