Schwarzwälder Seebären

Original Schwarzwälder lieben nicht nur die Tanne, sondern auch das Wasser. Eine Geschichte voller Seensucht nach der alten Zeit

Text: Peter Marx · Fotos: Dimitri Dell

Graue Haare, grauer Vollbart. Weißes Hemd, dunkelblaue Hose. Ein Bilderbuchkapitän. Thomas Toth steht am Eingang seiner kleinen Kommandobrücke und beobachtet Touristen, die über die Bug-Rampe das Motorschiff MS Schluchsee betreten. Bereit für ein Abenteuer: eine Seefahrt mitten im Schwarzwald. Drei, vier Dutzend Touristen warten am Strandbad der Gemeinde Schluchsee, kaufen sich Tickets für die Rundreise auf dem höchstgelegenen Stausee Deutschlands. Thomas Toth betritt seine Kommandobrücke, kontrolliert die Anzeigen der beiden 170 PS starken Dieselmotoren, die leise im Leerlauf wummern. Links und rechts vom Steuerstand leuchten gelbe, grüne und rote Lampen. Er legt seine Hand aufs Signalhorn. Noch vier Minuten, dann nimmt der 33 Meter lange Passagierdampfer Fahrt auf.

Rees an Backbord

In einem Bootshaus an einem Seitenarm des Rheins macht Gerhard Holzwarth „Reinschiff“. So heißt es im Jargon, wenn Seeleute zu Putzlappen, Handfeger und Wassereimer greifen. Holzwarth ist der Vorsitzende der Marinekameradschaft Lahr: 1894 gegründet und damit einer der ältesten Vereine in der Ortenau. Der 70-jährige ehemalige Obergefreite der Bundesmarine bereitet das monatliche Mitglieder-Treffen vor. „Rees an Backbord“, heißt es dazu im Jahreskalender der Kameradschaft, was so viel bedeutet wie ein Gespräch in der Runde. Markus Behnert trägt zu diesem Anlass „Erste Geige“, die Marine-Bezeichnung für die dunkelblaue Ausgeh-Uniform. Vier Goldene Streifen, unter Seebären „Kolbenringe“ genannt, zieren seine Uniform-Ärmel. Sie zeigen: Dieser Behnert, der Junge vom Rand des Schwarzwalds, hat es in der Marine weit gebracht, ist jetzt als Kapitän Oberst in der Rostocker Admiralität. Er verwaltet die Dienstposten der Flotte. „Ich bin das Bindeglied zwischen Flotte und Ministerium, vermittle zwischen Haushaltsvorgaben und personellen Wünschen“, erklärt Behnert. Schon als Kleinkind, erzählt der 40-jährige, wollte er Kapitän werden. So wie Urgroßvater und Onkel. „So eine weiße Kapitänsmütze wollte ich unbedingt haben.“ der 58-jährige Thomas Toth, der zufällig an den See kam und „hier hängen blieb“. Jährlich, so schätzt er, schippert er rund 60 000 Passagiere über den See. Die meisten sind Wanderer, Ausflügler, Urlauber. Der gelernte Automechaniker beobachtet, wie die letzten Wanderer über die absenkbare Bug-Rampe an Bord kommen und auf das Oberdeck drängen. Denn hier ist es am schönsten! Der freie Blick auf den See, dahinter die Wälder und am Horizont grüßt der Feldberg. Herrlich! Der Kapitän drückt sanft den Joystick und die MS Schluchsee fährt rückwärts aus dem, was man im Schwarzwald etwas euphemistisch Hafen nennt. Denn eigentlich ist es nicht mehr als ein Anleger am steilen Kiesstrand.

75 Minuten für eine Runde

Das weiße Schiff mit dem roten Streifen an den Bordwänden dreht sich wie auf einem Teller, dann schiebt sich die Bugwelle auf den See hinaus. Sechsmal am Tag fährt Toth seine Runde mit vier Stationen. Jeweils 75 Minuten dauert eine Rundreise mit der MS Schluchsee. Maximal 300 Personen dürfen mitfahren, mehr Schwimmwesten für erwachsene Passagiere sind nicht an Bord. Gebraucht hat Toth noch keine. „Bislang flog höchstens eine Mütze ins Wasser“, erzählt er. Trotzdem wird „Mann über Bord“ regelmäßig von der Crew geübt. Auf der Fahrt zur ersten Station Aha, einem Ortsteil der Gemeinde Schluchsee, schildert Toth, wie er 1986 sein Kapitänspatent machte. Nur damit darf er Passagierschiffe im Schwarzwald fahren. Im Bootshaus der Marinekameradschaft, im Schwanauer Ortsteil Wittenweier, wird derweil die Terrasse unter dem grünen Wellblechdach geschmückt, Kaffee gekocht und Kuchen aufgetischt. Eine Idylle zwischen Gräsern, Fichten und Sandhügeln, die an Seniorennachmittage in Schrebergärten erinnert. Das jedoch ist nur der äußere Anschein. Drinnen im Bootshaus öffnet sich eine maritime Welt. Die holzgetäfelten Wände sind geschmückt mit Bildern von Kriegsschiffen. Dazwischen Zinnteller mit Schiffswappen und Schautafeln mit Seemannsknoten: von der Affenfaust, über spanischer Takling bis zum Palstek, einer festen Schlaufe. Zwölf aktive Mitglieder hat der Verein noch, mehr als 40 waren es in den besten Zeiten. Damals, als im Schuppen noch ein Kutter stand und am Feierabend der Shanty-Chor übte. „Es fehlt der Nachwuchs seit es keine Wehrpflicht mehr gibt“, stöhnt der Vorsitzende. Vor den Rettungsringen des Vorpostenbootes 306 und der MS Berlin ordnet Michael Huck seine dunkelblaue Bootsmanns-Uniform, die er bis zu seiner Pensionierung getragen hat. Der Lahrer ist seit seiner Kindheit Mitglied der Marinekameradschaft. Er gehörte schon in den 60er-Jahren der Marine-Jugend des Vereins an, was zwangsläufig dazu führte, dass er sich verpflichtete: „Ganz ehrlich, ich wollte weg von zu Hause.“ 30 Jahre lang diente der heute 77-Jährige als Munitions- und Waffenmeister bei den Marinefliegern. Hat es sich gelohnt? Die schnelle Antwort: „Tausend Erinnerungen.“ Und damit die nicht verblassen, gibt es die Kameradschaft.

Vom Cowboy der See...

Kapitän Markus Behnert, geboren in Rheinfelden, ging direkt nach dem Abitur zur Marine. Geplant war, entsprechend der Familientradition, bei der Handelsmarine anzuheuern. Was nicht klappte. „Ich wollte große Schiffe fahren.“ Was auch nicht klappte. 1987 stieg er in Kiel auf sein erstes Schnellboot und wurde zu einem „Cowboy der See“. So ist der Ruf der Schnellbootfahrer. Und die Reaktionen in seinem damaligen Umfeld? Die Mutter traurig, der Vater stolz – aber bei den Klassenkameraden „völliges Unverständnis“.

...bis zum Strandbad Schluchsee

Die MS Schluchsee erreicht Höchstfahrt! Die Stationen Aha und Unterkrummenhof liegen bereits weit zurück. Nur noch 50, 60 Passagiere sind an Bord. Die Heckwelle wühlt auf, schlägt Wellen. Viel Betrieb heute auf dem See. Kapitän Toth darf sich nicht darauf verlassen, dass alle Segler, Surfer, Paddler, Ruderer und Tretbootfahrer die wichtigste nautische Regel auf dem Schluchsee kennen: eine Fähre wie die MS Schluchsee hat immer Vorfahrt. Die Staumauer zählt zu den Höhepunkten der Rundreise. 1932 wurde der vorhandene See um 30 Meter aufgestaut mit einem Fassungsvermögen von 108 Millionen Kubikmeter. „Ist doch was“, meint Toth, der konzentriert das letzte Ablegemanöver auf dieser Runde einleitet. Im Fahrstand blickt er kurz auf den Monitor; Außenkameras zeigen ihm, ob rund um das Schiff alles in Ordnung ist. Die Sirene heult auf; Rückfahrt zur Endstation: Strandbad Schluchsee.

Die gute alte Zeit?

Im Bootshaus am alten Rheinarm vergleichen der Ettenheimer Rentner Rainer Rehmann, 81, und Norbert Wieskow, 71, aus Kappel-Grafenhausen ihre Seefahrtserlebnisse. Der ehemalige Obermaat und Schwimmtaucher sowie der Ex-Hauptgefreite vom 3. Zerstörer Geschwader aus Wilhelmshaven machen das wahrscheinlich nicht zum ersten Mal. Seekrank? Der eine hatte damit keine Probleme, der andere hing schon bei der Ausfahrt aus dem Kieler Hafen über der Reling … Rehmann fuhr mit dem Segelschulschiff Gorch Fock über den Atlantik nach New York, nach Pakistan, Indien und Ägypten. Wieskow, der Jüngere, ging als Wehrpflichtiger zur Marine, Rehmann, der Ältere, hängte noch ein paar Jahre dran und wurde Ausbilder für Seemannschaft. Einer wollte die Welt sehen, der andere schnell heim und wieder Fußball spielen. Ihre alte Liebe führte sie jedoch später beide zurück ins Bootshaus. Der maritime Treffpunkt in der Ortenau hat allerdings schon bessere Zeiten erlebt: In den 1960er-Jahren war die Stadt Lahr noch Pate des Trossschiffes Schwarzwald und die Besatzung des Munitionstransporters Offenburg besuchte regelmäßig die Patenstadt. Selbst Hornberg hatte enge Kontakte zu den U-Booten vom Marinestandort Eckernförde. „Ja, die gute alte Zeit“, fährt es aus Gerhard Holzwarth heraus und der Flottenchef der deutschen Marine, Vizeadmiral Rainer Brinkmann winkt aus Rostock Richtung Lahr und ergänzt: „Die Schwarzwälder machten einen guten Job.“

Mit dem Schiff über Titisee und Schluchsee

Die MS Schluchsee ist der größte Passagierdampfer im Schwarzwald und fährt täglich sechsmal seine Runde über den See. Die erste Fahrt beginnt um 10.30 Uhr am Strandbad Schluchsee, danach im Rhythmus von 75 Minuten. Zu- und aussteigen können Wanderer in Aha, am Unterkrummenhof und an der Staumauer. Das Schiff hat einen Salon mit 92 Sitzplätzen und Bistro. Dazu kommen 205 Sitzplätze auf dem Sonnendeck. Die Preise liegen zwischen vier und elf Euro, je nach Fahrstrecke.

Auf dem Titisee kreisen täglich zwei kleine Passagierschiffe: Die „Götz von Berlichingen“ bietet 80 Passagieren Platz und startet am Hafen Titisee im 30-Minuten-Rhythmus. Das Schwesterschiff Titus ist einer römischen Galeere nachempfunden. Auf den Rundfahrten erfahren die Gäste auch, warum dieses Schiff nach einem römischen Kaiser benannt worden ist. Kostenpunkt: zwischen drei und 6,50 Euro.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 26 (3/2021)

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