Schwarzwälder Handwerkskunst: Der Maskenschnitzer

Magische Hände, geheimnisvolle Masken. Simon Stiegeler ist einer der besten Maskenschnitzer im Schwarzwald. Wir trauten uns in seine Werkstatt

Text: Pascal Cames · Fotos: Michael Bode

Eines der Vorurteile über den Schwarzwald lautet, dass der Wald ziemlich blickdicht wächst und die Bewohner daher (je enger das Tal …) auch wenig Schimmer haben. Aber das stimmt ja nicht. So wie es Lichtungen und Almen gibt, wo ein frischer Wind geht, so gibt es auch Spielwiesen, wo sich die Freigeister austoben. Einer, der dazu wie die Faust aufs Auge passt, ist Simon Stiegeler (45), ein wilder Bursche aus Grafenhausen mit integrierter Spielwiese unter der Schädeldecke. „Ich bin halt der Maskenschnitzer“, sagt er etwas bescheiden. Das ist sein Beruf. Er und seine Frau Lillian rocken die Welt. Ihre Masken und Skulpturen waren schon auf der Expo in Schanghai zu sehen und erst kürzlich gingen ein paar Masken nach Kanada für eine Netflix-Serie. Offensichtlich stehen sie in den wichtigen Adressbüchern der Welt unter C wie Carving (Schnitzen) und M wie Mask …

Wie und wo kommt einer wie Simon zum Beruf? Beim ihm war’s so, dass die Leidenschaft da war, seit er denken kann. Schon als Kindergartenkind zeichnete er, bekam aber in der Schule nicht die besten Noten dafür. Warum? Die Lehrer wollten ihm nicht glauben, dass er es gemacht hatte! Zwölf Jahre jung zeichnete er eine Maske, geschnitzt hat sie dann der Papa. Damals konnte er das noch nicht. Zur Lehre ging er nach Österreich. Nicht, weil sie’s dort besser können, sondern weil er dort mehr Freiraum hatte. Erraten: Die Spielwiese im Hirn und an der Werkbank. Als der Vater starb, musste er wieder heim nach Grafenhausen in die Werkstatt und die Auftragsbücher abarbeiten, zum Beispiel mit Fasentmaskenschnitzen. Bei Kollegen hörte er sich um, wie sich die Selbstständigkeit anfühlt. Da ist ihm eine pessimistische Grundstimmung aufgefallen. „Muss doch go“ (muss doch gehen), sagte er sich und führte das Geschäft seines Vaters am gleichen Ort weiter. Und siehe da, sogar mit Erfolg.

Künstler oder nicht?

Zuerst ging Simon nach Freiburg und studierte Kunst. „Simon, bist du ein Künstler?“ Da muss er die Augen rollen. Künstler ist er schon. Aber auch Kunsthandwerker. „Aber für einen Kunsthandwerker bin ich zu künstlerisch“, sagt er. Früher hat er damit gehadert, heute kann er die Freiheiten als Künstler / Kunsthandwerker schätzen. Im Studium hatte er Leute um sich, „die sagten: ‚Ich will Kunst machen‘ – aber die waren orientierungslos“, erinnert er sich. „Ich wollte schnitzen und davon leben.“

So hat er es dann auch gemacht. Er hat sich inspirieren lassen von Büchern wie Momo und Der kleine Prinz, von Wikingern, Mittelalter, Fantasy. Er will bei diesem Thema gar nicht so sehr in die Tiefe gehen, weil er die Schubladen fürchtet, in die er gesteckt wird. Einmal Maskenschnitzer, immer Maskenschnitzer. Oder: Einmal Kirchenfiguren, immer Kirchenfiguren. Er schnitzt ja nicht nur Larven für alte und neue Fasnachtszünfte, sondern wirklich wilde Masken, die Freddy Kruger zum Hosenscheißer degradieren. Vor allem schnitzt er originell. Das hat er während Corona gemerkt, dass sich die Leute an Individuelles erinnern und nicht an 08/15. Simon hat es gewundert, von wo die Leute hergekommen sind. Merke: Wird etwas gesucht, ist kein Weg zu weit. Wenn er für traditionelle Fasnachtszünfte Larven schnitzen muss, ist das relativ einfach, weil es ja schon die Vorlagen dazu gibt. Die müssen alle gleich ausschauen. Handelt es sich aber um neue Zünfte und Gruppen, dann wird es spannend. Manchmal wird erst beim Gespräch klar, was verlangt wird, wie spitz und lang die Zähne werden, ob die Augenbrauen so oder so verlaufen, wie giftig die Augen sein sollen und vieles mehr. „Am schönsten ist es, wenn die Leute ‚mach mal‘ sagen, dann kommen die besten Sachen heraus“, sagt Simons Frau Lillian, die nebenan Masken bemalt.

In der Werkstatt

Neben der großen Werkstatt hat sie ihr kleines Reich, ein winziges Atelier mit Blick nach draußen. Sie hat „nur“ einen Arbeitstisch, nebenan in den beiden Werkstätten stehen fünf oder sechs Werkbänke, dazu unzählige Kisten mit Masken oder Figuren oder auch nur mit Holzspänen gefüllt. Wo gehobelt wird, da fallen Späne – und hier wird wohl sehr viel gehobelt. Die Schubladen stehen halb offen, sind randvoll mit Klebebändern und Zangen, auf den Werkbänken liegen die Stemmeisen im Dutzend, an den Wänden – wo halt noch Platz ist – sind die Masken in einer Reihe aufgehängt. Da ist ein Spättle dabei, ein Froschgesicht, ein grinsender Winzer, aber auch der böse Clown, der Wolf, das Monster und andere fiese Gestalten. Kriegt er da keine Angst? „Nein, natürlich nicht.“ So tiefenentspannt an die Werkbank gelehnt und ausnahmsweise mal mit den Händen in der Hosentasche sagt er: „Jetzt kann ich’s ja locker ausplaudern“, und erzählt, wie eine Maske gemacht wird.

An der Werkbank

Für eine Maske braucht Simon je nachdem einen oder mehrere Tage. Ein Unikat ist schwieriger zu machen als 10 oder 20 Stück einer Serie. Da kommt schnell eine Routine auf, was die Fehlerquellen verringert. Man kann sich mit dem Schnitzmesser ja auch verhauen. Auch wenn er schon Tausende Masken gemacht hat, möglich wär’s. In der Regel verleimt er zuerst Blöcke aus Buchenholz. Die nächste Phase heißt „Anhauen“, da wird alles überflüssige Holz weggeschlagen, danach beginnt das „Anlegen“, da arbeitet er die Gesichtszüge heraus. Mit einemHolzhammer schlägt er mit dem Schnitzeisen sachte Holz ab, wo es zu viel ist. Vier Schläge, vier Schläge, dann fünf, fünf, fünf, wieder vier Schläge, dreimal hintereinander … So geht das Stunden. „Am liebsten nachts“, sagt er, dann mit Heavy Metal als Begleitmusik. „Es gibt nichts Tolleres, als bis spät in die Nacht Musik zu hören und zu arbeiten.“ Die Gesichtszüge der Larve macht er nur zu 80 Prozent fertig. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, da er auch die Innenseite bearbeiten muss. Sollte dabei das Holz einen Riss bekommen oder gar brechen, wäre alle Arbeit umsonst. Erst wenn innen alles schön gemacht ist, werden die restlichen 20 Prozent der Konturen fertig herausgearbeitet. Feinarbeit. „Früher wurden Masken nach Gewicht bezahlt“, erzählt er und nimmt eine federleichte Spättle-Maske in seine Hände. Je dünner, desto teurer, so war das früher einmal. Heute ist das nicht mehr die Regel, denn wer als Werwolf auf die Gass’ geht oder den Horrorclown spielt, braucht wohl etwas Robusteres. Dann ist das Holz dicker und die Maske stabil. Sollte die Larve auf den Boden plotzen, würde sie nicht so leicht kaputtgehen.

Bekannt in der Welt

Seine Findigkeit, seine Originalität und sein Geschick sind weit bekannt. Simon ist einer der Besten in seinem Metier, das hat sich herumgesprochen. Für die Fans der Holzmaske ist das kleine Grafenhausen hinterm Schluchsee so wichtig wie Miami für Heidi Klum. Die Erfolge sprechen für ihn. 2007 wurde er in die Liste der 300 wichtigsten Schwarzwälder aufgenommen, 2010 stellte er im deutschen Pavillon auf der Expo in Schanghai aus. 2014 wurde er zum Heimatbotschafter des Hochschwarzwalds ernannt. Die vorerst letzte Glanztat ist der Holzpokal für The Masked Singer. Und das ist noch längst nicht alles. Er schnitzt schlanke Flügelwesen, die so ganz anders sind. „Gleich heben sie ab“, denkt man. Und er hat noch ein Label namens Blackest Forest („Schwarzwald UndergroundStyle“) am Start, das den Schwarzwald etwas dunkler und fieser zeigt. Aber halt. Der Abgrund kommt mit einem  Augenzwinkern rüber. Am bekanntesten wurde seine Handgranate aus Tannenzapfen, die später auch den Strumbel inspirierte. In seinem Shop gibt es Mützen, Shirts, Sweater und vieles mehr für Groß und Klein. Man kann wohl nicht zu früh anfangen … Hier kommt wieder der alte Zwiespalt ins Spiel. Wie kriegt man das alles unter einen Bollenhut? Oder anders gefragt: Wer oder was ist Simon Stiegeler? Dazu sagt er nur so viel: „S’Wichtigschte isch: schaffe un mache!“ Mal wieder typisch Schwarzwald … Und dann. „Ich habe viele Facetten.“ Das stimmt. Deutschland redet von Vielfalt, er lebt sie.

Masken, Larven, Schemen

Seit es Menschen gibt, gibt es auch Masken. Sie werden aus Pflanzen, Leder, Holz, Ton und neuerdings aus Kunststoff gemacht. Masken wurden und werden von Schamanen benutzt, man spielt mit ihnen Theater und man schützt mit ihnen das Gesicht. Im 19. Jh. trugen Kellermeister in der Champagne eine eiserne Maske als Schutz vor explodierenden Champagnerflaschen. Masken sind weltweit im Brauchtum zu finden. Das bekannteste Beispiel sind die venezianischen Karnevalsmasken. Die schwäbisch-alemannische Fasnacht wäre ohne Masken, Larven und Schemen (um alle drei Begriffe zu nennen) undenkbar. Das vielleicht verbreitetste Motiv ist die Hexe, die ursprünglich nur von Männern getragen werden durfte. Eine große Maskensammlung hat das Fasnachtsmuseum in Schloss Langenstein. Dieses Jahr wird außerdem noch das Hegauer Museum neueröffnet.

Mehr dazu: www.fasnachtsmuseum.de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 30 (1/2022)

In unseren neuen Ausgabe #heimat springen wir für Euch als Eis-Badener ins eiskalte Wasser, stapfen langsam auf Schneeschuhen durch die Natur und starten mit Rüben statt Rindern vegetarisch ins Jahr. Dazu lernt Ihr unseren Masked Schnitzer Simon Stiegeler und Freiburgs Breakdance-Queen Naomi Karfich kennen. #heimat-Herz, was willst Du mehr?

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