Mit der Dampfeisenbahn nach Titisee

Blauer Himmel und schwarzer Rauch, Fahrtwind und Sommerfrische, Aha-Erlebnisse und gugge mol... Eine Fahrt mit der Dampfeisenbahn hat was

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Fesch sieht der ältere Herr in der blauen Uniform aus. Wie ein freundlicher, neugieriger Vogel schaut er unter der Kappe zu den Leuten. Großes Lächeln. „Steiget ein!“, ruft er und klettert in den Waggon. „Suchet euch ein schön’s Plätzel!“, schwäbelt er. Schönes Plätzchen? Hier gibt es keine gepolsterten Sitze. Holzklasse. Von irgendwo zieht es herein. Ach herrje, der Zug steht ja immer noch. Doch dann, endlich, bewegt sich der Zug.

Sitzen in der Holzklasse

Kein Luxus. Nirgends. Die Passagiere sitzen in der Holzklasse, die es tatsächlich vor langer, langer Zeit gab. Es zieht immer noch, aber niemand stört sich daran. Heute sitzt man in Abteilen, deren Fenster nie aufgehen werden. Hier aber kann man sie selber kippen, dafür gibt es Hebel. Die Heizung könnte auch von Hand bewegt werden, in drei Stufen von gar nicht über mittel bis volle Pulle. Alte Emailleschilder zeigen, wo’s lang geht. Der „Abort“ ist das Klo. Ganz groß steht über der Tür „Nichtraucher“. Dann gibt es also auch ein Raucherabteil?

Züge wie dieser waren nicht nur Fahrzeuge zur Sommerfrische oder zur Arbeit. Bauern setzten einen Korb Eier oder einen Topf Meerrettich hinein, der dann in Freiburg von Markthändlern aus dem Zug geholt wurde. Auch Zeitungen wurden mit Zügen transportiert. Die einspurige Bahnstrecke Seebrugg–Titisee verkehrt nur dank Horst Jeschke und anderen Helden der Freizeit. 2008 sollte der Nebenbahnendbahnhof mit seinen Verladeanlagen abgerissen werden. Dann hätte Deutschland den letzten Bahnhof dieser Art für immer verloren. Das rief Eisenbahnfreunde auf den Plan, die eine Interessengemeinschaft gründeten und es schafften, dass dieser Bahnhof zum Museum wurde. Seitdem wird hier gewerkelt, werden alte Loks auf Vordermann gebracht, werden historische Feste gefeiert und Sonderfahrten angeboten. Um die 140 Leute aller Alters- und Berufsklassen packen an und schaffen am Wochenende.

Ganz viele dieser Geschichten beginnen in der Kindheit. Man ist selber mitgefahren und kann sich noch an die Gerüche erinnern oder an die Bilder, „wenn man durch den Zug bis zur Lokomotive schauen konnte“, wie ein mittelalter Mann sagt, der die Bahn noch aus der Kindheit kennt, als er im Hochschwarzwald mit den Eltern Urlaub machte. Viele hatten als Kind kleine Eisenbahnen und große Träume, die sich dann im Erwachsenenalter verflüchtigt haben, wie der schwarze Rauch im blauen Himmel. Erst als Horst, Kurt, Uwe und andere in Rente waren, kam die Zeit, um den Kindheitstraum Wirklichkeit werden zu lassen. Der eine ist Schaffner geworden, ein anderer glüht vor Leidenschaft und Hitze als Heizer an der Ofenluke, wieder ein anderer steuert den 70 Tonnen schweren Koloss (1180 PS!) mit den Waggons. Die Strecke Seebrugg–Titisee ist eine relative junge Strecke, denn als sie 1924 fertiggestellt wurde, waren die großen Projekte wie Schwarzwaldbahn und Höllentalbahn schon längst gebaut.

So schnell wie geflogen

Die Geschichte der Eisenbahn beginnt 100 Jahre früher in England. 1840 schrieb der in England tätige Schwarzwälder Uhrenverkäufer Andreas Löffler folgende Zeilen nach Hause: „Wir sind auf der Eisenbahn gefahren auf den Markt, das geht so schnell wie geflogen – ich wünsche, Du tätest das auch sehen.“ In Karlsruhe, wo der Großherzog residierte, machte man sich auch so seine Gedanken. Eine Eisenbahn war wichtig, um Geld zu verdienen, so wurde erkannt. Mit ihr kamen Güter, Menschen, Ideen von A nach B. Oder nach Aha.

Jetzt haben wir das Aha-Erlebnis

Der leutselige Schaffner erzählt den Mitreisenden beim Halt im Weiler Aha seinen obligatorischen Aha-Witz. Einige lachen. Angeblich wurde hier angehalten, damit Bauern Speck und Eier verkaufen können. Der Zug zuckelt weiter, links ist der Windgefällweiher und man sieht ein paar Leute am See hocken und spazieren. Das Wasser glitzert. "Gugge mol“, staunt jemand. Der Titisee kommt bald ins Blickfeld. „Wie ein norwegischer Fjord“, staunt ein anderer. „Das ist der schönste Teil der Strecke.“ Ein junger Souvenirverkäufer kommt herein. Brezel? Postkarten? Schnaps? Wie früher hat Jakob (15) einen Bauchladen mit allerlei Waren. Jakob will erst Souvenirs verkaufen, dann Schaffner werden, danach Heizer, in der Werkstatt arbeiten und dann Lokführer. „Das geht nur mit einer Ausbildung“, sagt er.

Einer der im echten Leben Lokomotivführer ist, schaufelt in der Freizeit Kohle. Philipp (23) mag den Knochenjob. „Das ist 100 Jahre alt und es funktioniert immer noch. Das ist ein schöner Kontrast zum Computerzeitalter“, sagt er und wuchtet eine Schaufel Steinkohle ins Feuer. Sechs bis sieben Kilo sind das. Mit jeder Schaufel … Die Lokomotive muss anderthalb Stunden vorher unter Dampf stehen, bis sie überhaupt mal ein bisschen vom Fleck kommt. „Wie ein Teekessel“, erklärt Philipp das Prinzip Dampflokomotive. Mit „Technik“ beschreibt der junge Heizer sein Tun, wie ein Kran, der mit Schwung etwas im Kreis bewegt, führt er die Schaufel von der Kohle zur Feuerluke. Die Lok wird von Kurt (67) gelenkt, einem ehemaligen Ingenieur, der so gut wie jedes Wochenende irgendwo im Süden eine Lok steuert. „50 km/h ist schnell“, sagt Kurt. Die „Breslau“ aber könnte auch 100 Sachen machen, zumindest steht es so auf der Plakette.

Ganz grosser Bahnhof

Nach 45 Minuten fährt der Zug in Titisee ein, wird langsamer und der Fahrtwind lässt nach. Jakob schaut nicht mehr aus dem Fenster, sondern ins Abteil. Will noch jemand eine Brezel? Der Mann mit den lebhaften Kindheitserinnerungen lächelt selig und streicht sich durchs Haar. Schwarze Partikel bleiben auf der Hand kleben. „Ruß“, stellt er fest. „Das gehört dazu“, lacht er. Fotoapparate und Handys werden gezückt, es ist mal wieder ein „großer Bahnhof“ für die 1920 gebaute Lokomotive Preußen P8(das P steht für Personen), die einem Sammler gehört. Die Lok wird umgesetzt, Zeit genug für eine Führung durch den Bahnhof. Dann hei t es wieder: „Steiget ein!“ und „suchet euch ein schön’s Plätzel!“

Hin und weg und wieder zurück

Ein Fahrgast liest laut eine vergilbte Werbung vor, die im Abteil über den Sitzplätzen hängt. „Wenn du die Zeit dabei hast, kann die Reiseroute nicht lang genug sein.“ Die Fahrgäste laufen herum, sagen wieder mal „gugge mol“ und seufzen ein „ach ist das schön“. An diesem schönen Tag haben alle Zeit, aber nach 2,5 Stunden ist schon wieder Schluss. Von daher: Noch mal Titisee und zurück?

Ewig schön

Weil die Nebenstrecke von Titisee nach Seebrugg nicht so wichtig war, wurde sie spät gebaut. Erster Weltkrieg und Wirtschaftskrise sorgten für eine Verzögerung. Ab 1924 war die „Ewigkeitsbahn“ (so der Spitzname) in Betrieb. Auf der Strecke der Dreiseenbahn liegt die höchste Haltestelle Deutschlands, Bärental, sowie der Weiler Aha. Die Bahn fährt in normalen Zeiten von Mai bis September am Wochenende.

Mehr Infos unter: www.3seenbahn.de

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