Jump and run

Andy Haug ist so etwas wie Deutschlands Parkour-Pionier. Seine ersten Saltos schlug er
schon vor 20 Jahren – auf dem Freudenstädter Marktplatz 

Text: Patrick Czelinski · Fotos: Jigal Fichtner

Andy Haug ist ein echter Schwarzwaldbub. Zwar wohnt der 30-Jährige heute bei Achern, geboren und aufgewachsen aber ist er in Freudenstadt. Hier oben, wo sich Rechtmurg und Rotmurg zur Murg vereinen, ist er heute immer noch beinahe täglich. Morgens fährt er die knapp 45 Kilometer vom Rheintal bis hinauf nach Baiersbronn. Aber nicht etwa, weil er so gerne in Sterne-Restaurants isst, sondern aus sportlichen Gründen. Andy ist so was wie Deutschlands Parkour-Pionier – ein kerniger Abenteurer, immer auf der Suche nach den besten Spots. In Baiersbronn steht seine Trainingsanlage. Die gehört zwar nicht ihm, ist aber auf seine Initiative hin gebaut worden. Den Parkour-Sport in Deutschland bekannt machen, das ist sein Anliegen. Aber stopp mal. Parkour? Was war das noch mal?

Von Hindernis zu Hindernis

„Wir versuchen, Hindernisse durch Kombination verschiedener Bewegungen so effizient wie möglich zu überwinden“, erklärt Andy etwas kompliziert und zeigt auf die Holzbauteile, über die er gleich springt. Ah, jetzt, verstanden! Der Sport kommt ursprünglich aus Frankreich. Als Erfinder gilt David Belle, der die Idee von seinem Vater Raymond übernommen hatte. Die Sportart kann auf einem Hindernisparcours – wie in Baiersbronn – oder inzwischen auch in speziellen Hallen durchgeführt werden. „Wichtig ist, dass die Bewegungen gut aussehen und Sprünge gestanden werden“, erklärt uns Andy. 

Seine Profi-Karriere begann er fernab der Schwarzwälder Heimat, in Thailand, wo er von 2010 bis 2012 lebte. „In den asiatischen Ländern ist dieser Sport schon viel weiter als bei uns in Deutschland“, sagt er. Allein schon wegen Jackie Chan, dem äußerst populären Stuntman, Kampfsportler, Schauspieler und Regisseur gebe es in der Bevölkerung eine deutlich größere Begeisterung für Adventure-Sportarten. In Südostasien nahm Andy auch an ersten Wettkämpfen teil, drehte Werbespots. Zur gleichen Zeit entwickelte sich in Thailand eine aktive Turnierszene. Der Traum des Schwarzwälders ist es, eine vergleichbare in Deutschland aufzubauen. „Von 2013 bis 2015 gab es hier in Baiersbronn den Black Forest Parkour Cup“, erinnert er sich. Damals seien Starter aus der ganzen Welt in die Schwarzwaldgemeinde gekommen. Heute arbeite er daran, den Event wiederzubeleben. Am liebsten in besagtem Parkour-Park, in dem wir gerade mit Andy stehen. 

Speed und gute Moves

Wie so ein Parkour-Wettkampf abläuft? „Es gibt Speed-Disziplinen, bei denen es um die reine Geschwindigkeit geht, und Freestyle, wo die besten Moves gezeigt werden, ähnlich dem Kunstturnen“, erklärt uns der Profi. Punktrichter geben dann für Flow, Landung und Schwierigkeitsgrad eine Wertung ab. Dass er bei solchen Wettbewerben meist vorne mit dabei ist, lassen seine Skills vermuten, mit denen er uns daraufhin ins Staunen versetzt. Aus dem Stand springt er meterweit von Klotz zu Klotz – über unsere Köpfe hinweg. Wir wollen noch mehr sehen – kein Problem für Andy. Als Zugabe gibt’s ’nen Rückwärtssalto vom Hindernis auf den Boden, den er perfekt steht und mit einer artistischen Rolle kürt. „Wofür war die denn gut?“, wollen wir wissen. „Da musste noch Energie raus“, antwortet er. Ach so …

Abenteuerlustig war Andy schon immer. Seine Begeisterung für Parkour musste aber erst geweckt werden. Während der Olympischen Spiele in Sydney 2000 hatte er Windpocken. Klein Andy schaute – ans Bett gefesselt – alle Wettbewerbe, war vom Bodenturnen angetan. „Ich fand das so cool, ich wollte das unbedingt können“, erinnert er sich. Da es aber in Freudenstadt keinen Turnverein gab, begann er mit Skispringen, ehe er schließlich mit 13 seine Liebe zu Parkour entdeckte. Auslöser war ein Youtube-Video aus Russland. Als er die Bewegungen sah, habe er innerlich gespürt, dass das der Sport sei, den er immer machen wollte. Andy machte die Tricks nach. Einfach mal ’nen Vorwärtssalto im Garten, „natürlich auf einer alten Matratze“. 

In Andys Familie stand der Sport glücklicherweise schon immer ganz weit oben. Auf seinem Weg zum Parkour-Profi musste er aber auch gegen Widerstände kämpfen. Als Jugendlicher habe er oft den Satz gehört: „Bub, mach was G’scheits!“. Doch seinen Traum aufgeben wollte er nie. Und so startete er 2015 bei der Parkour-WM in Mexiko und qualifizierte sich zwei Jahre später schließlich als erster Deutscher für den Parkour-Weltcup des Weltturnverbandes. Heute reist er für Wettkämpfe um die ganze Welt, lebt von Sponsorengeldern, vermarktet sich aktiv über Social Media – und kämpft darum, seine Sportart attraktiv zu machen.

Auf dem Weg zum Trendsport

Parkour, da ist sich Andy sicher, wird irgendwann Trendsport Nummer eins werden. „So wie heute Kinder Mountainbike fahren wollen, werden sie Parkour laufen.“ Er selbst hat sich übrigens neben dem Profi-Sport ein zweites Standbein als Stuntman aufgebaut. „Zwei bis drei Mal im Jahr stehe ich vor der Kamera.“ Allerdings handelt es sich dabei ausschließlich um Parkour-Stunts. „Ich springe jetzt nicht aus einem brennenden Auto.“  

Trotz dieser Nebentätigkeit sieht sich Andy in erster Linie als Profi-Sportler – und da hat er auch immer die Konkurrenz im Blick. Die, so erzählt er, sei in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Heute bekomme er ordentlich Druck von jüngeren Parkour-Cracks. „Die Kids werden einfach immer besser. Ich musste mir damals meine Matten selbst zusammenkramen und bin im Garten rumgehüpft, heute gehen die jungen Sportler in Trainingshallen.“ Training ist auch für ihn das A und O – ohne drohen Verletzungen. Andy hat sich zwar selbst noch nie etwas Ernstes zugezogen, ein verstauchter Knöchel gehöre aber hin und wieder dazu. 

Wie schön, wenn man mit dem Schwarzwald ein ideales Trainingsgelände vor der Haustür hat. Für den letzten Jump des Tages nimmt uns Andy mit an den Stöckerkopf. Zu dritt stapfen wir fünfzehn Minuten lang durch kniehohes Gras, bis wir den Baiersbronn-Schriftzug erreichen, der an Hollywood erinnert. Andy klettert aufs zweite „R“, streift sich die Schuhsohlen am Metall trocken, zählt auf drei und springt – hoch und weit. Bei der Landung gleitet er einige Meter durchs Gras und rollt sich ab. Redakteur und Fotograf applaudieren. 

Beim Abstieg blickt Andy in die Ferne und sagt: „Ist das geil hier.“ Denn zur Region spürt das Sport-Ass eine tiefe Verbindung. „Das ist meine Heimat, der Ort, an dem ich voll und ganz bei mir bin.“ Wann immer es geht ist er deshalb auf einer der Trainingsanlagen in Baiersbronn, Ötigheim oder Freiburg. Und wenn er Lust auf noch mehr Natur hat, springt er auch gerne mal von Stein zu Stein durchs Flussbett der Murg. Umso stolzer macht es ihn, dass er seit Kurzem auch noch offizieller Werbebotschafter der Schwarzwald Tourismus GmbH ist. „Ich fühle mich überall auf der Welt wohl, aber heimisch und angekommen nur hier.“  

So ist Parkours entstanden

Anfang des 20. Jahrhunderts begann in Frankreich die Entwicklung der „Méthode naturelle“, einer Art Naturturnen mit Hindernissen. Der in Vietnam geborene Soldat und Feuerwehrmann Raymond Belle entwickelte auf Grundlage dieser Methode effiziente Fluchttechniken. Sein Sohn David (Jahrgang 1973) war es schließlich, der – beeinflusst von der Leidenschaft des Vaters – diese Bewegungsmuster gemeinsam mit Freunden auf urbane Räume in dem Pariser Vorort Lisses übertrug. Ihr Hobby tauften sie „Le Parkour“ und gründeten die Parkour Worldwide Association (PAWA)

#heimat Schwarzwald Ausgabe 27 (4/2021)

#heimat, Ausgabe 27 (4/2021)

Mit der neuen Ausgabe #heimat geht es hoch hinaus: Wir waren für Euch tatsächlich segelfliegen! Autorin Karen erzählt Euch, wie unglaublich es war und ob es so war, wie sie es sich immer erträumt hatte.

Außerdem gibt es Action mit Deutschlands Parkour-Pionier Andy Haug in seinem Geburtsort Freudenstadt. Der Mann pfeift sowas von auf Schwerkraft!

Und es wird wie immer lecker: Focaccia, Pfifferlinge, ein ganz besonderer Eisdealer und dann wär da noch der Ausblick auf eine neues Kochbuch … na, wie klingt das?

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