Hoppla, ein Turm!

Hemingway sagte über das Schreiben: „Mit einem Erdbeben anfangen und dann langsam steigern.“ Der Maisacher Turmsteig wäre ganz nach seinem Geschmack

Text: Pascal Cames · Fotos: Dimitri Dell

Wo ist der Turm? Der alte Mann an der Brücke über der Maisach erkennt an den fragenden Blicken von Lilli und Sophia, dass sie nach dem Einstieg auf den Maisacher Turmsteig Ausschau halten. „Da dribbe bim Nochber“, sagt er und zeigt auf das Haus weiter unten. Dann meint er, dass man von hier schon den Turm sehen kann. Die beiden Freundinnen drehen sich um. Tatsächlich, wie eine kleine römische Eins steht er auf dem Berg. Der Himmel zeigt seine allerschönsten Farben, eine Mischung aus Hellblau, Ultramarin und Stahlgrau. O weia, das schaut nach schwerem Wetter aus! Der Mann auf der Brücke kann Gedanken lesen. „Heute hat es scho’mal gregnet.“ Sprich: Die Wanderung bleibt also trocken … 

Wilde Erdbeeren

Am besagten Haus geht es auf einem breiten Weg den Berg hoch. Er macht eine Kehre und verläuft so, dass die Sonne voll durch den Wald sticht. Jetzt fallen ein paar Tropfen Regen, dann mehr. Einmal ist keinmal, oder wie meinte es der alte Herr? Es folgen noch ein paar Tropfen und das war’s dann. Der alte Mann hatte recht. Von nun an wird kein Tropfen Wasser mehr vom Himmel kommen. Sophia und Lilli kümmert das ohnehin nicht. Mit leichtem Schritt geht’s voran. Was ist das? Im Gras am Wegrand leuchtet es rot. Wilde Erdbeeren! Vier Hände suchen und finden sie. Die kleinen Früchte sehen süßer aus, als sie sind. Genau genommen schmecken sie sauer. Lilli weiß, was zu tun ist: Wie eine Königin wirft sie die Beeren in den Wald. „Für die Füchse und die anderen Tiere!“ 

Die Füchse schweigen, dafür trällern die Vögel. Aus dem Forstweg wird ein Waldpfad und was vorher schon ä bissel steil war, wird jetzt so richtig zur Steillage. Die Rehe haben sich an dieses Gefälle gewöhnt, aber der Mensch? Den einen zwickt der Oberschenkel, dem anderen die Wade. „Ich schwitze nie“, lacht Sophia. „Zum Glück!“ Aber kaum denken die beiden „das hört ja nie auf“, wird es schon eben und die krüppligen Eichen lassen viel Raum für einen Ausblick ins Tal und die Berge gegenüber. Jetzt schlendern sie auf einem schönen Weg, ja vielleicht dem schönsten. Denn er geht über den Bergrücken, der hier ein paar sanfte Wellen schlägt. 

Der erste Schnapsbrunnen

Ein Aussichtspunkt mit Sitzbank und Fahnenmast kommt. Die badische Flagge hängt schlaff. Kein Wind, nirgends. Die Wolken sind auch weg. „Hoppla, ein Turm!“ Da sieht man ihn wieder. Dazu gegenüber ein paar Höfe und Wiesen. Genau dort verläuft der Rückweg. Das alles erscheint irre weit weg. Der Turm erscheint klein wie ein Fingerhut. Immerhin, blauer Himmel. 

Auf dem Wanderpfad läuft es sich prima, aber was ist das? Ein großes Schild zeigt abwärts. Auf dem Schild steht: Schnapsbrunnen. Geht dieser Wanderweg wirklich so hart talwärts? Jeder Wanderer weiß, jetzt runter, später rauf (was nicht immer lustig ist …). Da aber die Beschilderung eindeutiger als eindeutig ist, haben Sophia und Lilli gar keine andere Wahl. 

Wanderstiefel mit Spikes wären für diesen trockenen Boden jetzt angebracht. Natürlich geht’s gut und kaum 100 Meter tiefer zweigt der Weg links ab und führt in die Postkarte vom perfekten Schwarzwald. Enorme Wiesen, Bauernhöfe und hoppla, ein Turm! Der Turm hat Zeit, der Schnapsbrunnen nicht. Zisch, ein Bier und ein paar Wienerle auf die Hand geben Kraft. Das Schnäpsle für schlappe 1,50 Euro …

Die Kraft wird gebraucht, denn bald muss der Filderhard erobert werden. Die Steigung ist sogar noch knackiger! Sophia schwitzt immer noch nicht. Für alle anderen haben sich die Macher des Maisacher Turmsteigs etwas einfallen lassen. Auf dem Weg gibt es ein Waldbadezimmer. In die Wanne steigen die Mädchen nicht, aber sie kühlen ihre Arme unter der Dusche ab. Schön kühl ist es hier in dieser schattigen Kehre. 

Der Wald macht wow. Anfangs war es das zarte, noch nicht von der Sonne verbrannte Moos, dann die Buchen, Eichen, Tannen, die oberhalb des Weges in Gruppen und Reihen stehen und das Licht brechen. Der Weg wird weich. Auf Pfaden wie diesen wurde früher das geschlagene Holz herausgeschleift. Das letzte Stück ist wie gehabt, aber wer will jetzt, kurz vorm Ziel jammern? Geschwitzt wird eh nicht. Endlich, der Buchkopfturm! Jetzt ist Zeit für ein richtiges Vesper, für einen Blick über die Schwarzwälder Welt (140 Stufen!) und chillen auf der Himmelsliege.

Einkehren und zurück

Die Renchtalhütte ist nur ein paar Minuten entfernt. Lilli und Sophia stehen kurz vor dem Verdursten … Besagte Hütte im Alpenstil gehört zu Meinrad Schmiederers Dollenberg-Imperium. Große Portionen, frisches Bier, schöne Terrasse, Geranien, Weitblick. Das ist mal ein Wunschlosglücklichprogramm!

Durch Wald, vorbei an großen Wiesen, wo Leute mittendrin hocken, wieder Wald, wo der Bussard davonflattert, geht es retour, aber nicht immer abwärts. Zweimal meint man, wieder zum Turm zu laufen. Besonders gut ist der wellige Bergrücken des Maisacher Grats zu sehen. Was so lieblich ausschaut, sind die Steigungen. „Ich mag Wandern“, sagt Sophia, „da kann man lange weiterlaufen und hat lange was davon.“ Als die beiden am Parkplatz ankommen, ist der Mond da. Der Turm liegt im Dunkeln …

Die 12 schönsten Türme

Himmelsglück, Schömberg

Der jüngste Turm des Schwarzwalds lässt tief und weit blicken. Die Schwäbische Alb und der Stuttgarter Fernsehturm, eventuell auch’s Äffle und Pferdle, sind von der 50 Meter hohen Plattform zu sehen. Barrierefrei mit Aufzug.
www.schoemberg.de/naturerlebnis/himmelsglueck

Friedrichsturm, Baden-Baden

Großherzog Friedrich I. von Baden weihte den 30 Meter hohen Sandsteinturm ein. Fernsicht in die Pfalz, auf die Alb, in die Vogesen, auf den Feldberg und bei extrem guten Wetterverhältnissen sogar bis in die Alpen! 

Mehliskopfturm, Herrenwies

Der kleinste Turm der Region (11 Meter) bietet dank exponierter Lage (1000 Meter) den gesuchten Weitblick. Auch im Blick sind Bobbahn und Klettergarten. www.mehliskopf.de

Buchkopfturm, Renchtal

Der 28 Meter hohe Weißtannenturm bietet Weitsicht vom Feinsten. Der Westweg führt vorbei, Parkplätze in der Nähe. 

Urenkopfturm, Haslach

Uren ist kein Schreibfehler, es leitet sich von Morast („Murenwald“) ab. Die Plattform ist auf 33 Metern Höhe. Der Turm ist nur zu Fuß zu erreichen. Beliebte Picknickoase. 

Hünersedelturm, Freiamt

Der 29 Meter hohe Turm bietet eine exzellente Draufsicht ins Rheintal. 

Schlossbergturm, Freiburg

Dank der verdrehten Holzkonstruktion wirkt der 33 Meter hohe Turm sehr dynamisch. Aufstieg mit der Schlossbergbahn oder zu Fuß. Sonnenuntergang de luxe!

Testturm thyssenkrupp elevator, Rottweil

Für den definitiv höchsten Turm des Schwarzwalds – 246 Meter – müssen sich Besucher anmelden. Die Fernsicht ist nicht zu toppen! www.testturm.tkelevator.com/global-de

Feldbergturm, Feldberg

Die Wanderwege gelten zwar als „Wanderautobahn“, aber früher oder später wandert hier jeder mal und steht dann auf der 45 Meter hohen Plattform. www.feldbergbahn.de

Riesenbühlturm, Schluchsee

Tannen und Fichten sind hoch, dieser Turm (36,5 Meter) überragt sie. Ideal für eine Wanderung mit Alpenblick und einem Bad im Schluchsee. www.riesenbuehlturm.de

KletterTurm Rothaus-Zäpfle-Turm, Höchenschwand

Die einen schauen von 42 Meter Höhe auf die Alpen, die anderen klettern alpin (mit Anmeldung.)
www.teamwelt.de

Gugelturm, Herrischried

Auf dem 30 Meter hohen Turm bekommt man einen schönen Überblick über den unbekannten Hotzenwald. Eintritt: 1 Euro. 

Wandern im Renchtal

Von der Badischen Weinstraße bis auf die Schwarzwaldhöhen ist das Renchtal mit seinen unzähligen Seitentälern für Wanderer erschlossen. Über 800 Wanderkilometer sind beschildert. Der längste Weg ist der Renchtalsteig mit um die 100 km. Zu den bekanntesten Wanderwegen zählen Brennersteig (14 km) und der Lautenbacher Hexensteig (15,2 km). Zudem führen Westweg und Kandelweg durchs Tal. Der Maisacher Turmsteig gilt dank 656 Höhenmetern als ein sehr ambitionierter Wandersteig. Eine Besonderheit im Renchtal sind die Schnapsbrunnen, die mit heimischen Edelbränden, aber auch Bier, Limo und Wasser bestückt sind. Wichtig: immer Kleingeld im Rucksack haben! 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 27 (4/2021)

#heimat, Ausgabe 27 (4/2021)

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