Jetzt lassen sich mich hängen. Endlich! Die Zeit im Sessellift kam mir ewig vor. Der Lift blockierte. Es ging nicht mehr vorwärts und auch nicht mehr rückwärts. Runterspringen wäre der pure Wahnsinn. Zu hoch. Mindestens zehn Meter sind es bis zum Hang unter mir. Vielleicht sogar mehr. Außerdem macht‘s die Kälte echt ungemütlich.
Murphys Law
Normalerweise läuft ein Sessellift nonstop und tadellos. An manchen Tagen transportiert er 2000 Personen. Was wäre, wenn er mal nicht will? Einfach stehen bleibt? Das kam noch nie vor, könnte aber. Normalerweise läuft der Lift noch eine Runde, sodass alle aussteigen können. Theoretisch. Praktisch könnte das Dinge aber auch blockiert sein. Und dann?
Dann kommt die Bergwacht. Dieser vor 100 Jahren gegründete Verein ist der Partner des Steinwasenparks, zu dem diese Seilbahn gehört. Sollte eine Situation wie diese eintreffen, dann wären die Helden in rot und blau zur Stelle. Die Bergwacht ist im ganzen Schwarzwald präsent und hilft, wenn ein Segelflieger im Baum landet, ein Pistengott sich die Haxen bricht oder ein Biker stürzt. Oder um aus einer blockierten Seilbahn die Menschen zu retten.
Für den Fall der Fälle findet einmal im Jahr eine Übung statt. Dieses Mal sind acht Bergwachtstationen aus dem Südschwarzwald dabei. Das Ziel lautet nicht Einzelne retten, sondern eine vollbesetzte Bergbahn. 70 Leute! Die Masse zählt, nur dann ist die Übung realistisch. Die Bergwacht arbeitet gegen die Zeit: Bevor es dunkel ist, sollen alle Menschen in Sicherheit sein. Denn ohne Tageslicht wird es noch kniffliger.
Berge, Gemeinsinn, Freikarten
Wo kommen all die Leute her? Der Auftrieb schaut so aus, als würde es gleich mit Reinhold Messner auf den Montblanc gehen. Die beste Ski- und Winterkleidung wurde für diesen Anlass angezogen. „Hallo, ich bin ein Opfer!“, sagt eine gutgelaunte Frau. „Wo kann ich mich retten lassen“, ruft eine tiefe Männerstimme. „Interessant auch mal in der Rolle zu stecken“, erklärt Christian Kuhn, 36, Arzt aus Freiburg seine Motivation. Zwischen Einzelpersonen, Vätern und ihren Kindern, Freundinnen sowie meist blutjungen Leuten der Bergwacht stehen Feuerwehrleute und Polizisten. Ein Mann ohne Gesichtsfarbe (der Bürgermeister von Todtnau) verabschiedet seine Frau, als würde sie gleich bei Elon Musks in die Space X-Rakete steigen. „Im Läbe nid“, sagt er. Ihn bringt nichts in den Sessellift. Die anderen sind da, weil sie als Wanderer und Wintersportler die Bergwacht wertschätzen oder weil sie bei der Bergwacht sind und Kollegen unterstützen. Und bei der Bergwacht sind sie, weil sie was Sinnvolles machen wollen, wegen der Kameradschaft oder der Liebe zum Berg. Und manche suchen auch das Abenteuer. Nur die Kleinen sind aus profanen Gründen dabei: Es gibt Freikarten!
Nach und nach leert sich der kleine Platz und jetzt bin ich an der Reihe und stelle mich dorthin, wo jemand zwei Füße auf den Boden gemalt hat. Es ist so weit! Mein Mitfahrer, klappt den Sicherheitsbügel nach vorne und beißt herzhaft ins Käseweckle. Einen Guten, sollte man wohl wünschen, aber ich stiere in die Tiefe, wo aus einem Meter zwei werden, dann vier, sechs, acht, zehn Meter.