Ein Team für alle Felle

Eva Isele und Manfred Siefridt lassen in ihrer Werkstatt am Schluchsee Tiere wieder auferstehen. Wir haben den  Präparatoren bei ihrer Arbeit über die Schulter geschaut ...

Text: Jana Zahner · Fotos: Jigal Fichtner

Der stehende Braunbär im Hausflur sieht aus, als wollte er gerade zur Tür eilen, um dem nächsten Kunden die Tür zu öffnen. Drumherum springen Rehböcke, lauern Füchse, tummeln sich Waschbären. Alles springlebendig wirkende Nachbildungen von Manfred Siefridt und seiner Schülerin Eva Isele – dabei sind die Tiere, denen die Felle einst gehörten, schon lange tot. Möglich macht das die Kunst der Präparation. Ein Handwerk, von dem der Laie eher vage Vorstellungen hat, dabei gehört das Geweih an der Wand zum Klischeebild einer Schwarzwaldstube wie der Kachelofen oder das Hergottseckle. Höchste Zeit für #heimat
also, sich einmal in der Werkstatt für Tierpräparation am Schluchsee umzusehen ...

Eva ist es gewohnt, zu erklären, was ihr Beruf ist. „Viele können mit dem Begriff Präparator nichts anfangen“, sagt die 32-Jährige. Die Berufsbezeichnung ist gesetzlich nicht geschützt, aber in Bochum kann man sich zum staatlich anerkannten Präparationstechnischen Assistenten ausbilden lassen. Die meisten von ihnen arbeiten später in Museen oder naturwissenschaftlichen Instituten und konservieren die Überreste von Tieren, Menschen oder Pflanzen. Selbstständig wie Manfred Siefridt arbeiten bundesweit nur noch wenige Präparatoren. Dass Eva und ihr um ein halbes Jahrhundert älterer Ausbilder 2018 zusammengefunden haben, ist also keine Kleinigkeit. „Durch einen befreundeten Jäger habe ich erfahren, dass Manfred gerne eine Nachfolge hätte“, sagt sie.  „Ich habe mich über den Job des Präparators informiert und schnell gemerkt, dass das genau mein Ding ist. Also stand ich eines Tages einfach vor seiner Tür und hab gefragt, ob ich bei ihm arbeiten kann.“

Schneiden, Nähen, Modellieren, Malen

Berührungsängste hat die einstige Pathologielaborantin beim Umgang mit den Tierleichen nicht, die Privatleute mal mehr, mal weniger fachmännisch gekühlt zum Werkstattkeller in Schluchsee-Schönenbach bringen. Der 81-jährige Manfred ist glücklich, sein Lebenswerk einmal in die Hände der fleißigen jungen Frau übergeben zu können. „Ich hatte schon mehrere Azubis, aber keiner hatte ihr Durchhaltevermögen.“ Denn wer mit sauschweren Keilern und Zwölfendern hantiert, muss nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastbar sein. „Jeder Tag bringt neue Herausforderungen und handwerklich muss man ein kleiner Allrounder sein“, sagt Eva. Schneiden, Nähen, Modellieren, Malen zählen zu den Fertigkeiten eines Tierpräparators.

Das Wort „Ausstopfen“ hört kein Präparator gerne. Denn damit habe das Handwerk heute nichts mehr zu tun, erklärt Manfred. Ausgestopfte Tiere im wortwörtlichen Sinne sind ein Relikt vergangener Jahrhunderte, als Seefahrer die Überreste exotischer Arten aus fernen Kolonien von ihren Reisen mitbrachten. In Ermangelung moderner Techniken zur Konservierung und Modellierung wurde der abgezogene Fellsack tatsächlich wie ein Kissen mit Holzwolle oder Stroh gefüllt und in Form gebracht – meist von Handwerkern, die keine Ahnung hatten, wie das lebendige Tier ausgesehen hatte. Einige besonders missglückte Exemplare wie Leo, der erste Löwe in Schweden auf Schloss Gripsholm, haben traurige Berühmtheit erlangt.

„Ein Präparat herzustellen, bedeutet heute, eine naturnahe Momentaufnahme des Tieres zu schaffen“, sagt Manfred. Anatomiekenntnisse sind unerlässlich, und heutige Präparatoren recherchieren, wenn sie eine Tierart vor sich haben, mit der sie noch wenig Erfahrung haben, in Zoos oder schauen Naturdokus.

Die Arbeit an jedem neuen Präparat beginnt mit dem Ablösen der Haut. „Wir Präparatoren sagen dazu Decke“, sagt Eva. Die Arbeit erfordert Fingerspitzengefühl, um keine Schäden zu verursachen, die später genäht oder kaschiert werden müssen. Die Decke wird gegerbt, Schädel und Geweihe werden gekocht, gebleicht und geschliffen. Übrigens:  In Evas und Manfreds Werkstatt riecht es besser als erwartet, vielleicht eine Spur herber nach Leder und Fell als beim Schuhmacher. „Wenn es in der Präparationswerkstatt stinkt, dann stimmt etwas nicht“, sagt Manfred und lacht. Neben dem Gerben werden in stundenlanger Arbeit ein neuer anatomisch korrekter Körper aus Kunststoff modelliert, Details wie Muskulatur mit Ton ausgearbeitet und Glasaugen in den Kopf eingesetzt. Was dann folgt, demonstriert Eva an einem Rehbock: Routiniert, als würde sie einen Pullover anziehen, streift sie das nasse Leder über das Modell, das so „bedeckt“ schon ziemlich echt aussieht. Damit dem Präparat nicht beim Trocknen die Gesichtszüge entgleiten, wird alles mit Nadeln fixiert. „Nach ca. zwei bis drei Wochen ist das Leder getrocknet, das Präparat bekommt dann noch einen Feinschliff und darf zurück zum Kunden“, erklärt Eva. 

Nicht für Haustiere geeignet

Ein Teil der Arbeit dreht sich ums lokale Brauchtum: Narrenzünfte schmücken ihre Masken mit Fellen. Auch der Chilbi-Bock, der jährlich beim Volksfest in Waldshut-Tiengen verlost und später geschlachtet wird, landet immer wieder zur Präparation in der Werkstatt am Schluchsee. Wichtige Auftraggeber sind außerdem Bildungseinrichtungen und -initiativen, die zeigen, was im Wald lebt. „Wie sonst können Kinder einen Fuchs streicheln?“, sagt Eva.

Haustiere zu präparieren, lehnen Präparatoren meist ab. „Unsere Präparate sollen Freude machen“, sagt Manfred. Seine Erfahrung: Kurz nach dem Verlust können manche Tierhalter nicht loslassen – und bereuen die Entscheidung spätestens dann, wenn Hund oder Katze bewegungslos auf der Kommode stehen und keinen Ersatz für das geliebte Tier bieten.

Geschützte Arten zu präparieren, erfordert eine Genehmigung. Die Oryxantilope an der Wand der Werkstatt lässt zwar an Großwildjagd denken, stammt aber aus dem Zoo. Der Großteil der Auftraggeber sind dennoch Jäger. Manfred ist selbst einer. „Jagen ist kein Hobby, sondern eine Aufgabe“, ist seine Überzeugung. Er hat seine Schülerin mit seiner Begeisterung angesteckt, Eva hat gerade die Lehrgänge für das „grüne Abitur“, ihren Jagdschein, begonnen. „Für mich ist es die ethisch korrekteste Art und Weise, an Fleisch zu kommen“, sagt sie. „Die eigentliche Jagd ist außerdem nur ein kleiner Teil der Arbeit, auch der Naturschutz und die Habitatpflege spielen eine wichtige Rolle.“ An ihrer Arbeit als Präparatorin gefällt ihr auch, dass aus einem Nebenprodukt der Jagd, also aus Knochen, Klauen und Fell, etwas Neues entsteht. Aber: „Es ist auf keinen Fall so, dass wir morgens auf die Jagd gehen, um nachmittags in der Werkstatt was zum Arbeiten zu haben“, sagt Eva.

Erinnerung an erste Jagd mit Tochter

Für den Nicht-Jäger mag es etwas seltsam erscheinen, sich die Überreste selbst erlegter Tiere an die Wand zu hängen. Eva aber sieht das anders: „Jäger sprechen zwar von Trophäen, jedoch sind es oftmals schöne Erinnerungen, die wir bewahren.“ Zum Beispiel könne ein Rehbock an den ersten Ansitz mit der Tochter erinnern.

Etwas bewahren, etwas weitergeben. Das wird bei der Arbeits- und mittlerweile auch Wohngemeinschaft von Manfred und Eva in dem alten Schwarzwaldhaus am Schluchsee weiter großgeschrieben. An das Aufhören denkt Manfred nicht. Gerade bringt er Eva bei, wie man Fische präpariert und mit Airbrushtechnik glänzende Schuppen auf die getrocknete Haut malt. Umgekehrt nimmt auch die Schülerin die Arbeit des Lehrers kritisch unter die Lupe. Es gilt das Vieraugenprinzip. „Es gibt bei uns nicht ‚dein Bock‘ oder ‚mein Reh‘, es sind unsere Präparate“, sagt Eva. Die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit kann man auch auf dem Instagram-Kanal eva__1991 bewundern. Und dort selbst sehen, dass Präparieren mit Ausstopfen heute wenig zu tun hat ...

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