Don't call it Moscht!

Von Seattle nach Unterkirnach: Mit den Spezialitäten ihrer Schwarzwälder Cider-Manufaktur zeigen Wendy und Patrick, was aus Mostobst alles werden kann

Text: Ulf Tietge · Fotos: Jigal Fichtner

Die Geschichte von Patrick und Wendy ist mehr als nur eine Lovestory. Herrlich zu hören, wie sich die beiden Software-Spezialisten in Seattle kennen- und lieben gelernt haben. Er aus einem Nest im Schwarzwald, sie aus Utah. 15 Jahre war Patrick bei Microsoft, leider ist er ein bisschen zu spät eingestiegen, als dass auch ihn Aktienoptionen zum Millionär gemacht hätten. Aber darum soll es heute ja gar nicht gehen, sondern um die zweite große Liebe der beiden – die zum Cider!

Pffft macht es, als Wendy den Kronkorken ihres Perry Ciders Cobalt Lake von der Sektflasche hebelt. Ein Etikett hat dieser Birnen-Cider noch nicht und außerhalb von Unterkirnach hat noch niemand diesen Tropfen verkosten dürfen – man darf also gespannt sein!

Als bekennender Normandie-Fahrer erwarte ich einen fruchtig-herben Geschmack. Denn so lieben die Nordfranzosen ihren Cidre. Drei bis fünf Prozent Alkohol, eine schöne Alternative zu Bier, aber nicht so filigran wie Wein. Selbst beim Cidre brut ist (fast) immer ein bisschen Restzucker drin, beim demi-sec wird es mitunter sogar lieblich und die Sympathie zum großen Holzfass wird auch nicht versteckt. Manche Cidre müffeln daher ein bisschen …

Filigran und überraschend

Der Schwarzwälder Cider vor mir im Glas aber ist anders. Fast wie Rotkäppchen und Champagner. Wendy und Patrick haben ihren Perry (von pear, englisch: die Birne) zunächst komplett durchgären, dann in Edelstahl reifen lassen. in ein gebrauchtes Whiskeyfass wie andere Cider aus Unterkirnach durfte der Perry nicht, hat er aber auch gar nicht nötig!

Knapp acht Prozent Alkohol hat er jetzt, die zweite Gärung in der Flasche sorgt für eine tolle Perlage mit feiner Kohlensäure, wie man es aus der Champagne kennt – aber ohne Degorgation. Man kann der auf dem Flaschenboden dösenden Hefe also noch zu ihrem Werk gratulieren. Denn dieser Cider von der Schweizer Wasserbirne offenbart auf der Zunge beeindruckend filigrane Fruchtnoten! Nicht nur Birne, sondern eben auch Zitrusfrucht, Grapefruit, ein bisschen Pfirsich und Kräuter. Frisch, herb, gut eingefasst von einem feinen Tannin-Gerüst. Wow! Das hätten sich unsere Vorfahren nicht träumen lassen, dass man aus Mostobst so etwas Feines keltern kann!

Die Cider-Community: eine große Familie

Denn genau das ist es, was Patrick und Wendy verarbeiten. Obst von uralten Bäumen rund um Unterkirnach. Schweizer Wasserbirne, Mostbirne, Danziger Kantäpfel. Alte Sorten, die mit dem zuckersüßen Hochleistungsobst von heute nicht viel gemein haben. „We don’t know exactly bei jedem Baum, was es ist, aber wie die Früchte schmecken“, sagt Wendy.

6000 Kilogramm Äpfel wurden vergangenen Herbst geerntet. Alles von Hand. Und nicht einfach mit Traktor und Schüttler am Baum, sondern nach alter Väter Sitte: alle zwei, drei Tage hin zur Wiese. Den perfekten Reifegrad abpassen, die Früchte aufsammeln, verlesen und dann sortenrein abpressen, um später assemblieren zu können. 2018 war das noch ein Hobby, das sie aus Seattle mitgebracht haben. 2019 haben Wendy und Patrick dann professionelle Kellertechnik angeschafft und eine Halle gemietet, um noch bessere Cider machen zu können. Dass die Craft-Cider-Szene in Deutschland ungleich kleiner ist als in den USA – nicht schlimm. „Wir gehen alle sehr kollegial miteinander um. Man hilft sich, tauscht sich aus“, sagt Patrick.

Als experimentierfreudige Aromentüftler haben Patrick und Wendy mit ihrer Cider-Manufaktur 1785 (nach dem Baujahr des Elternhauses) trotz geringer Erntemengen ganz schön viele Sorten im Angebot. Den Cobalt Lake Perry, ein Perry Cuvée und sechs Sorten Apfel-Cider. Ein knackig trockener mit intensiven Aromen von grünem Apfel und sieben Gramm Restsäure auf den Liter ist darunter. Noch spannender ist vielleicht der kaltgehopfte Cider mit der Farbe eines feinen Muskatellers, bei dem die Liebe der beiden zu amerikanischem IPA Craft Beer unverkennbar ist. Großartig, wie der Centennial-Hopfen die Frucht umfängt und fein zu einem komplexen Geschmacksbild ausgestaltet. Superlecker! Einfach stark, was man aus Äpfeln alles machen kann!

„Cider is an Adventure, ein Abenteuer“, sagt Wendy. „Wie genau der Geschmack in den Cider kommt, kann dir keiner sagen!“ Jeder Boden, jeder Apfel ist anders. Das Wetter spielt eine große Rolle, kein Jahr ist wie das andere. „Bei der Weinherstellung weiß man heute sehr viel. Beim Apfel dagegen geht es um Grundlagenarbeit, um das Wiederentdecken von altem Wissen und die Erforschung unbekannter Zusammenhänge“, sagt Patrick, der passend dazu eines seiner alten Microsoft-Shirts trägt. Werbung für den Internet Explorer. Den Forscher. Wie passend …

Die Kraft der Natur Natürlich?

Dass Patrick und Wendy auf Organic setzen, also nicht spritzen oder sonstwie nachhelfen: klar. Ihr Schwarzwälder Cider wird auch nicht filtriert oder pasteurisiert. Er wird auch nicht künstlich karbonisiert oder geschönt. Stattdessen setzt man auf die Kraft der Natur und hat auf den drei Hektar rund ums Haus noch einige Apfel- und Birnbaumsorten gesetzt. Französische und englische Sorten sind darunter, Bittersweet Apples, wie Wendy das nennt.

Mal sehen, ob nicht eines Tages doch auch ein Schwarzwälder Cidre mit ins Sortiment kommt …

#heimat Schwarzwald Ausgabe 28 (5/2021)

#heimat, Ausgabe 28 (5/2021)

Menschenskinder, ist das schön bei uns! Wir sind in dieser Ausgabe dann mal weg. Campen in den herrlichsten Ecken des Schwarzwald. Und Kochen in der freien Natur – mit Chefkoch Vincent! Zudem geht’s ins Murgtal, zu den Craft-Cider-Machern nach Unterkirnach und zum Kettensägen-Weltmeister nach Hornberg.

Lecker Essen und Trinken haben wir natürlich auch wieder: Zum Beispiel die ersten Rezepte aus unserem neuen #heimat Backbuch Schwarzwald Reloaded 3. Oder köstliche Drinks mit Obstbränden aus dem Schöllmanns in Offenburg. Ihr wollt noch mehr? Haben wir!

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