Die Geschichte vom Apfelmann

Martin Geng ist der bekannteste Apfelbauer des Schwarzwalds. Wir wollten wissen: Was macht der „Obstrebell“ anders als die anderen?

Text: Pascal Cames · Fotos: Baschi Bender

Mehr als 300 Sorten Äpfel, 220 Sorten Birnen, dazu Quitten, Mirabellen, Zibärtle, um nur mal ein paar Obstsorten zu nennen sowie exotische Früchte. Bioland-Obstbauer Martin Geng und Familie arbeiten erfolgreich ohne Spritzmittel. Wir haben den „Obstrebell“ besucht und wollten wissen: Was macht er anders? Und warum?

Wer niemals träumt, hat nichts für die Zeit, wenn das Leben einen anderen Plan verlangt. Martin Geng (61) aus Staufen ist ein Träumer – und er lebt seinen Traum. Durch seine Verwandtschaft in Bonndorf wollte er Bauer werden. „50 Säue, 100 Küh.“ So stellte er sich seinen Leben als Erwachsener mit Bauernhof vor. Aber die Eltern meinten, dass er was Gescheites lernen soll, und so landete er im Baugewerbe und gründete mehrere Firmen. Immer wenn eine gut lief, war die Zeit reif für das nächste Projekt. Zuletzt verkaufte er Lattenzäune aus Kastanienholz, mit denen man heute aus Neubaugebieten Bullerbü macht. Das Geschäft lief blendend, bis ihn ein Zeckenbiss aus der Bahn warf. 

Viel Bewegung, lautete der ärztliche Rat. Also ging er spazieren und entdeckte Streuobstwiesen, die es auch im Markgräflerland gibt. Aber die Bäume wuchsen mehr krumm als gerade, hatten manchmal Pilze, die Rinde war mit grau-grünem Schorf bedeckt und das Gras stand hoch. Gewaltige Brombeerhecken machten es fast unmöglich an die Bäume heranzukommen. Obwohl die Obstanlagen vergammelt ausschauten, waren die hochstämmigen Bäume voller Äpfel. Wie kann das sein? Bäume in dem Zustand? Martin Geng fragte die Besitzer und durfte das Streuobst ernten. Für lange Autofahrten trocknete er die Äpfel. „Dörrobst und Kaffee: davon habe ich mich ernährt.“ Dann ging die Saat auf und er wurde Apfelbauer. 

Der Apfelwald

Martin Geng rumpelt mit dem Pickup die grüne Piste hoch, vorbei an Nussbäumen und Reben, einmal um eine Kurve und schon stehen die ersten Apfelbäume auf der Wiese. „Das wird mal ein Apfelwald“, sagt er im Markgräfler Dialekt, der sich nach Schweiz anhört. Der zukünftige Apfelwald ist eine lange Reihe Bäume. Alle sind sie verschieden. Das heißt: Wenn die Früchte verschieden sind, fallen auch die Erntetermine nicht zusammen. Die Vielfalt ist Programm. Danach kommen weitere Apfelbäume, dann leuchtet es quittengelb aus den Baumkronen, dann wieder rot. Äpfel. Viele Äpfel. Hier wachsen sogar exotische Früchte wie Nashi, Milchorangen oder Indianerbananen. Oder der kleine Speierling, den man erst essen kann, wenn er überreif ist, also braun und matschig. Dann aber schmeckt er fein nach Marzipan. 

Martin Geng steigt aus und streift die Bäume entlang. Seine Bewegungen sind staksig, aber er geht unheimlich schnell. Er macht Tempo. Mit ein paar Flächen fing es an, heute sind es 20 Hektar. Dazu kommen Hof, Baumschule, Safterei und Hofladen. Diese drei Hektar waren ein Geschenk des Himmels. „Dusel“, sagt er im Dialekt. Eine betagte Dame aus Frankfurt verkaufte sie ihm für einen fairen Preis. Warum? Es war die Spielwiese ihrer Kindheit und bei Martin Geng hatte sie das Gefühl, dass das Land in guten Händen ist. 

 

Das Apfelmanagement

Weiter oben strecken Rehe ihre Hälse in einem Gehege, zwei große Tümpel sind nebenan, die erhabene Staufener Burg liegt rechts, dreht man sich um, sind Rheinebene, Baumgruppen und die Vogesen im Blickfeld. Wenn Martin Geng von seinen Apfelbäumen erzählt, dann hört es sich an wie beim Manager von Bayern München, der gerade beim BVB einkauft. Äpfel, Birnen, Quitten … Flächen, Flächen, Flächen. Bumm, bumm, bumm! 

Aber Martin Geng kann den Markt nicht leer kaufen. Unmöglich. Im Markgräflerland bleibt das Ackerland in der Familie. Und Äpfel gibt es mehr als genug. In Deutschland sind 1000 Sorten bekannt, im deutschsprachigen Raum 2500, weltweit 20 000, und die Hälfte unserer Äpfel wird aus China importiert! 

Schaut man aber in den Supermarkt, sind es selten mehr als sechs Sorten. Golden Delicious, Jonagold und Red Delicious decken fast drei Viertel des Marktes ab. Sie schmecken super, sind fruchtig, süß, knackig, haben weder Dellen noch braune Flecken und natürlich auch keinen Wurm. Alle Bitterstoffe und die Säure wurden herausgezüchtet. Perfekte Ware. Es gibt sogar Züchtungen, die eher eckig als rund sind. So sind sie besser zu stapeln. 

Das Apfelerlebnis

Mit solchen Exemplaren kann und will er aber nicht dienen. Warum auch? Die Natur hat ihn überzeugt, dass es auch anders geht. Martin Gengs Äpfel dürfen gerne ein bisschen Schorf haben. Er ist einer von ganz wenigen Obstbauern, die ohne Pflanzengift oder Insektengift auskommen. Das ist gut für die Wildbienen, ohne die keine Apfelblüte bestäubt wird. Nur ein halbes Prozent aller Obstbauern arbeitet wie er. Bioland-Bauer Martin Geng veredelt Bäume, pflanzt Hunderte von Sämlingen, und manchmal bekommt er sogar ein paar Reiser (Zweige) von Freunden oder Bekannten geschickt, die er dann veredelt. So kommt eines zum anderen. Im besten Wortsinn wächst das Unternehmen immer weiter – und das im grünen Bereich! 

Sein Aha-Erlebnis für die eher wilde Art, Äpfel zu kultivieren, war ein 70 Jahre alter Apfelbaum. Der trug 1630 Kilo Äpfel, die für 13 Stunden Arbeit sorgten. Während er nun erzählt, bekommt das Markgräflerland seine ganz eigene Farbe. Durch den niedrigen Sonnenstand leuchtet das Grün noch kräftiger. Auch Martins grüne Augen und seinen buschigen Augenbrauen bekommen in diesem Licht ihren eigenen Glanz. 

Etwas Apfelgeschichte

„Vor 1950 war alles Bio“, sagt er. Da wurde nichts gespritzt, mit was auch? Die Äpfel, die es damals noch gab, wurden vielfältig verarbeitet zu Saft oder Most (Apfelwein), sie wurden zu Mus, getrocknet oder verschnapst. Dann wurden neue Sorten gezüchtet, die alle für sich optimal schmecken, aber leider viel zu empfindlich sind. Wer heute einen Apfel kauft, der will ihn knackig und frisch. Und sofort verzehrbar. 

Für die alten Sorten muss man sich aber ein bisschen auskennen. Äpfel wie die Champagner Renette muss man bis Ende Januar liegen lassen, der Bohnapfel schmeckt erst ab Januar und ist dann bis Juni im Naturkeller lagerfähig. Der rote Eisenapfel ist sogar drei Jahre lagerfähig. Aber wer weiß schon, was wann gut schmeckt?  Bei den neuen Äpfeln wurde das herausgezüchtet. Fakt ist, dass auch Apfelallergien zunehmen. Aber nicht bei den alten Sorten.