Eiserne Reserve: der Schnaps
Aber halt, erst muss sie noch erklären, warum sie ein Töpfchen und eine Flasche aus Steingut dabei hat. Manchmal wird sie für ihre Dienste mit Griebenschmalz bezahlt, das muss dann ins Schmalztöpfchen. Manchmal bekommt sie auch Eier oder Kuchen, Speck oder Schnaps. Für all das hat es eine Kratte, einen Korb. Wenn sie keinen Schnaps bekommt, dann trinkt sie den eigenen, darum die Flasche. „Mirabelle“, sagt sie mit einem Unterton, der es schwer macht, nicht nach einem Schluck zu fragen. Dann sagt sie „Reserve“, was soviel heißt wie, jetzt noch nicht, vielleicht später.
Beim ersten Hof legt sie schon los: „De Küferi ihr Mann im Loch isch geschtorbe, Küferi losst bätte, am Mändig morge um elfi, mit ihrem Mann selig, bätte für die Licht!“ „Wer sin’ die Litt?“, will die Nochberi wissen und wir werden als Praktikanten vorgestellt. Wir merken schon, dass die Grenzen zwischen damals und heute fließend sind und der Moni der Schalk im Nacken sitzt. Ein Schluck Schnaps, die Backen leuchten etwas mehr und die Lichtsagerin und ihre Praktikanten folgen der Straße den Buckel nuff. Wir laufen eine Weile, kommen an einer Kreuzung vorbei und laufen wieder abwärts. Sind Vögel in der Luft? Schwarze Vögel? Der Tod wird uns begleiten, der Sensenmann wird auch seinen Auftritt haben.
Getrunken wird immer
Wir laufen beim Stilzer-Fritz vorbei, über den die Leute so einiges wissen. Das war bis vor drei Jahren ein Ausflugslokal. Die Wirtin weiß, wo es Pilze hat, ihre Steinpilzpfanne mit Nudeln ist legendär. Und jetzt? Der Stilzer-Fritz (hochdeutsch: der Holzbein-Fritz) ist längst tot und Wirtin Ingrid hat keine Lust mehr. Ein Jammer, fluchen wir und laufen am dunklen Haus vorbei bis zum Amsen-Hof. Ein großes Gehöft ist es und wir rufen die Bäuerin raus. „Wer ist die Bagage?“, fragt Rita. Wenn die Leute höflich sind, sagen sie „die Litt“ und wenn sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, dann sagen sie wie Rita halt „die Bagage“. Es heißt auch nicht gestorben, sondern verreckt oder hii, was mausetot bedeutet. Wir legen los: „Der Küferi ihr Mann im Loch …“ Die Nochberi ist ganz verschreckt. Darauf einen Schnaps! Getrunken wird immer, genauso wie gestorben … In der Knochenscheune steht schon alles parat, normalerweise werden hier Tiere entbeint. Gläser, Schnapsflasche und eine Buddel mit Eierlikör stehen bereit. Der wird mit Milch gemacht, denn den Rahm brauchte man für die Butter, erklärt die Bäuerin. „Wie ein Dessert“, jubelt jemand. Beim Schnaps wird der milde Abgang gelobt, was für einen Brummer mit 51 Prozent nicht zu erwarten ist. Wir dachten eher, der weckt Tote auf …
Der Job der Knochenbrecher
Während wir so reden, hören wir Metall über den Boden kratzen. Neugierig schauen wir, woher das fiese Geräusch kommt und sehen zwei dunkle Gestalten, die eine mit einem blitzenden Etwas über der Schulter. Der Sensenmann war’s und er hatte es eilig. Wir bleiben aber noch unter den Lebenden und dackeln ein paar Meter weiter zum übergroßen Grabstein vom Amsen-Bür, dem Bauer des Amsenhofs und dann nebenan zu einer kleinen Scheune, wo besagter liegt.
Die Lichtsagerin verwandelt sich jetzt in die historisch interessierte Monika Reinbold-Schmidlin, die uns von der Holzknappheit im Schwarzwald berichtet. Damals durften die Särge nicht sehr groß sein. Monika zeigt gleich auf die Großen in der Gruppe, also auch auf mich, und berichtet, was mit uns passiert wäre. Der Knochenbrecher wäre gekommen und hätte uns ein bisschen verkürzt. Damit das nicht bei Scheintoten passiert, gab es ein paar Vorkehrungen, so wurde ein Glas Wasser auf den Bauch gelegt. Zitterte das Wasser, war der Mensch lebendig – oder ein Erdbeben kam. Für den zweiten Test hielt man eine Glasscherbe unter die Nase, um zu sehen, ob sich der Spiegel beschlägt.
Ein weißes Hemd hängt an einem Haken, es ist das letzte Hemd, das Totenhemd. Eigentlich würden wir jetzt ein Stück runter Richtung Mundingen gehen, aber es ist zu dunkel. Einmal hatte die Moni auf dem Weg dorthin an einem Baum ein Feuerchen gemacht, dann fing der ganze Baum an zu brennen. „War nicht schlimm, der Baum war eh hii“, zitiert sie die Bäuerin.
Alles ist wahr
Jetzt aber zum Stilzer-Fritz, hier hat die Ingrid für uns Kuchen gebacken. Wir rufen unseren Spruch, als hätten wir noch nie etwas anderes gemacht, als Leichen ansagen. „Der Küferi ihr Mann im Loch …“ Die Bäuerin kommt heraus und unter dem Carport gibt es Kuchen. Eine Katze streicht herum. „Zum Glück ist es keine schwarze Katze“, sagt einer aus der Gruppe. Jetzt sind wir richtig tief im Aberglauben und die Moni erzählt uns am Waldrand noch drei dunkle Geschichten mehr. Die Geschichte vom Messer im Hals, vom bösen Geist im Zimmer… Und natürlich: „Ich erzähle euch keine Geschichten, nur Wahrheiten!“ An einer Eiche flackert derweil ein Feuer. Da die Eiche voll im Saft steht und es regnet, wissen wir, dass dieser Baum nicht abbrennen wird. Mit gutem Gewissen gehen wir in stockdunkler Nacht zum Huttenhof. Alle da? Keiner ging verloren.
Vesper und Todeszone
Endlich Vesper. Endlich eine warme Stube. Jungbäuerin Elke tischt fürstlich auf und der Most wird eingeschenkt. „Der erste Schluck schmeckt nie“, heißt es über das traditionelle Gebräu der Schwarzwälder. Da gehen die Meinungen auseinander. Den einen schmeckt schon der erste Schluck, den anderen auch nicht der zweite, dritte oder vierte.
Über Speck, Schwartenmagen, Schwarzwurst und Bauernbrot lässt man aber nichts kommen. So köstlich! Die Leute fühlen sich berufen, noch tiefer in die Welt des Aberglaubens und der tragischen Geschichten einzutauchen. Eine Bettina berichtet vom Himalaya, wo jedes Jahr Menschen in der Todeszone erfrieren. Ist’s ein schöner Tod? Puhh … Die originale Lichtsagerin, die Monika heute verkörpert, starb genauso. Nach einer Zecherei auf dem Amsen-Hof ist sie heimwärts ins Loch, wo sie nie ankam. Sie legte sich irgendwo ab und schlief ihren Rausch aus, der ganz woanders endete. Wer hat ihre Lich verkündet?
Monika Schmidlin kann über ihre Webseite für Touren angefragt werden: www.monika-schmidlin.de/die-lichtsagerin/