Der neue Dollenberg

Meinrad Schmiederers Dollenberg ist eine Institution. Aber sich im Glanz von gestern ausruhen? Dafür ist der Patron viel zu rührig…

Text: Ulf Tietge

Er hätte es tun können. Mal die Hände in den Schoß legen und abwarten. Mal nichts tun. Einfach die Überbrückungshilfen einstreichen und Corona aussitzen. Vielleicht im Schwarzwald, vielleicht aber auch in irgendeinem Luxus-Resort in der Karibik oder der Südsee, in dem man auch in Pandemiezeiten von oben bis unten verwöhnt wird, wenn man mit dem Privatjet anreisen kann.

Nur wäre Meinrad Schmiederer dann eben nicht Meinrad Schmiederer. Der Gastgeber. Der Mann, der einfach mal eine neue Straße, nein, zwei Straßen bauen lässt, während andere noch in Schockstarre verharren.

Jetzt kann man sagen: Meinrad Schmiederer wohnt ja auch im Dollenberg, er hat nichts anderes gemacht, als Millionen andere, die Keller und Dachboden aufgeräumt haben, nur ist der Dollenberg halt eine Spur größer. Stimmt. Es ist dennoch beeindruckend, wie viel Meinrad Schmiederer, seine Familie und sein Team in den vergangenen anderthalb Jahren bewegt haben und was sie noch vorhaben: Der Rohbau fürs neue Eventhaus ist fertig, ein Kinderland mit 50-Meter-Rutsche entsteht, das gesamte Hotel hat ein neues Dach, neue Saunen, einen neuen Fitnessraum. Dazu die neue Raucherlounge, das neue Schwimmbad, 18 Zimmer, sieben Suiten und, ach ja, die Bushaltestelle. Was das gekostet hat? „Sag ich nicht“, sagt Meinrad Schmiederer. „Wir reden nicht über Geld.“

 

Mehr als nur ein Hotel

Lieber verschwindet der Kuckuck-Ehrenpreisträger 2021 noch mal schnell an die Bar. Ständchen für einen Stammgast. Der Champagner dazu geht aufs Haus. Viel wertvoller aber ist, wie sich der Chef von 180 Mitarbeitern für seinen Gast Zeit nimmt, zuhört, Anekdoten erzählt. Die Botschaft ist eindeutig: Der Dollenberg ist mehr als ein Hotel. Er ist ein kleines Paradies. Familiär, voller Wärme und Menschlichkeit. Ins Gästebuch hat dazu jemand geschrieben: „So schade, dass man dieses Hotel nicht umarmen kann!“

Ob das stimmt, haben Menschen getestet, die das beruflich machen. Wie Heinz Horrmann zum Beispiel. Über den Dollenberg und Familie Schmiederer urteilte er in der „Welt“: „Dieses Spa ist besser als jede Schwarzwaldklinik. Das für mich nach 2000 Hoteltestungen beste Familienhotel auf dem Kontinent: der Dollenberg.“

Die Anfänge

Das war natürlich nicht immer so. Denn dieses Hotel gibt es nicht seit siebzehnhundert-schlagmich-tot, sodass es über Generationen aufgebaut worden wäre, und es ist auch nicht von irgendeinem Mäzen, Gönner, König, Schah oder Oligarchen in die Gegend gepflanzt worden. Nein. Meinrad Schmiederer und seine Familie haben in 48 Jahren alles Stück für Stück aufgebaut, was man hier so sieht. Eine geliebte Heimat auf Zeit für seither 1,5 Millionen Gäste. Einen Leuchtturm der Gastlichkeit mit 105 Zimmern und Suiten. Fünf Sterne Superior als Hotelstandard, dazu zwei Michelin-Sterne in der Küche und jetzt auch noch einen Kuckuck.

Da will ich mal hin!

Die Geschichte von Selfmade-Hotelier Meinrad Schmiederer beginnt mit einem schier unerfüllbaren Traum. An irgendeinem Wochenende in den 60er Jahren blickt der kleine Meinrad beim Preiselbeersammeln rüber zum Schlosshotel Bühlerhöhe, damals der place to be für Kaiser und Könige, Schauspieler und Industrielle. „Da wohnt auch mal der Adenauer“, bestätigt die Mutter. „Aber unsereinen lassen sie da nicht rein.“ Davon träumen, einmal selbst Hoteldirektor zu werden? Dann kann man auch gleich Astronaut werden wollen!

Denn „unsereiner“ – das sind die Schmiederers. Alles andere als reiche Leute, aber 1962 der einzige Hof hier hinten im Renchtal mit Weg zur Straße. Also startet die Familie eine Flaschenbierhandlung. Später räumen sie ihre gute Stube leer und stellen drei Tische hinein, damit man das Bier auch an Ort und Stelle trinken kann. „Hat nicht lange gedauert“, erinnert sich Meinrad Schmiederer rückblickend. „Dann hat man uns wegen Schwarzgastronomie verpfiffen und angezeigt. 1963 aber bekamen meine Eltern dann doch noch ihre Konzession.“

Meinrad Schmiederer schafft es derweil tatsächlich auf die Bühlerhöhe. Allerdings durch den Personaleingang. Um Hoteldirektor zu werden, hat er schon eine Kochlehre hinter sich und setzt dann noch eine Ausbildung zum Hotelkaufmann drauf. „Bei Günther Haderecker“, sagt Meinrad Schmiederer. „Als wir dann auf dem Dollenberg die erste größere Hochzeit ausrichten durften, habe ich ihn angerufen und er hat mir Geschirr geliehen. Dafür bin ich bis heute dankbar!“

Zum Schmuggeln nach Paris

In den 1970ern geht es schon steil bergauf. Denn der Dollenberg hat Besonderes zu bieten – auch, weil der Chef schmuggelt. „Naja, wir sind halt nach Paris“, erzählt Schmiederer. „Nach Rungis, zum Großmarkt. Foie gras, frische Hummer, Geflügel. Sachen, die man halt bei uns nicht bekam.“

Im VW Variant 1600 – dem Vorgänger vom Passat – kutschierte der Hotelier seine heiße Ware in den Schwarzwald. „Heute ist ja alles jederzeit verfügbar und nichts mehr etwas wirklich Besonderes. Damals aber musste man sich schon selbst auf den Weg machen, wenn man so etwas auf der Karte haben wollte.“ Immerhin war Schmiederer als Rungis-Fahrer in guter Gesellschaft. Um „bedingungslose Qualität und Frische“ bildete sich in München die Interessengemeinschaft Neue Köche, deren Gründungsmitglieder Eckart Witzigmann, Otto Koch und Hans-Peter Wodarz Fahrgemeinschaften zu den Markthallen von Rungis organisierten.

In all den Jahren wird auf dem Dollenberg immer wieder gebaut und erweitert. Mehr Zimmer, mehr Komfort, mehr Gäste. Meinrad Schmiederer ist oft bis zwei Uhr nachts im Hotel, steht um sechs wieder auf, um mit der Familie zu frühstücken. Ein brutales Pensum. Meist an sieben Tagen in der Woche, ohne Urlaub. Erst jetzt, mit 70, denkt der Patron darüber nach, auch mal selbst zu verreisen. Jedes Jahr für zwei Wochen. Was sehen von der Welt …

Nach fast 50 Jahren Aufbauarbeit misst der Hotelpark sieben Hektar, es gibt einen eigenen Weinberg (auf Anraten von Winfried Köninger 250 Stöcke Grauburgunder auf gut 660 Meter über dem Meer, auch so ein Rekord), einen eigenen Hubschrauberlandeplatz, die eigene Brennerei, eine Hütte für urigere Erlebnisse und mit St. Anna eine eigene Kapelle, in der Menschen jeglicher Konfession heiraten können. Sehr instagrammable und mit toller Geschichte. Denn zur Vita von Meinrad und Birgit Schmiederer gehört eben auch, dass sie lange kinderlos blieben. Als dann 2006 die Kapelle stand und die beiden (mit Trauzeuge Günther Oettinger) hier vor den Altar traten, kündigte sich Isabelle an. Zufall? Vielleicht. Auf jeden Fall gibt es seither eine Nachfolge-Option.

Vor den Kulissen erfreuen sich Gäste derweil an den vielen kleinen Details. Herrlich, wie Sommelier Christophe Meyer im Fünf-Gang-Menü von Martin Herrmann erst einen Wein aus Papua-Neuguinea einstreut und dann auch noch mit einer Rhabarber-Spätlese aus dem Elsass überrascht. Dass es dann auch noch mit Sabine Ritter eine eigene Käse-Sommelière gibt, die eine formidable Weltauswahl an den Tisch bringt: Man kriegt den Mund kaum zu, so selig umfängt einen die hier gelebte Gastfreundschaft.

Große Pläne – aber noch geheim!

Die Bühlerhöhe ist längst geschlossen, der Dollenberg dagegen zur ersten Adresse im weiten Umkreis geworden. Schmiederer hat den König von Thailand bewirtet, Barack Obama während des Nato-Gipfels, deutsche Politiker wie Gerhard Schröder. Das alles aber ist kein Grund, sich Geld zählend ins Büro zurückzuziehen. Es gibt Tage, da hilft Meinrad Schmiederer in der Küche der Renchtalhütte aus.

Der Perfektionist und Antreiber Meinrad Schmiederer gehört als Macher in eine Riege mit Roland und Jürgen Mack oder Roland Burtsche. Alles große Gastgeber. Selfmade-Menschen, die dafür brennen, anderen Freude zu bereiten. Die ganze Familie hilft dabei mit. Meinrad und seine Frau Birgit, Schwester Ulrike und ihr Mann, der Zwei-Sterne-Koch Martin Herrmann, den Meinrad Schmiederer einst selbst ausbildete. Das allein wäre eine Geschichte für sich. Genauso wie die Story von den gastro-interessierten indischen Quereinsteigern, die über ein Austauschprogramm in den Schwarzwald kamen und am Ende fast alle im Dollenberg landeten.

Aber was kommt als Nächstes? „Etwas Großes“, sagt Meinrad Schmiederer mit blitzenden Augen. „Aber mehr kann ich noch nicht verraten … Kommst halt noch mal wieder!“

Erfolgsrezepte vom Dollenberg

Was den Dollenberg neben seiner Gastlichkeit so erfolgreich macht, ist die Küche von Martin Herrmann, über dessen Gourmet-Restaurant Le Pavillon seit Jahren zwei Michelin-Sterne leuchten. Wer Lust hat, auch daheim mal wie Martin Herrmann groß aufzukochen: Einige seiner besten Rezepte finden sich in den Büchern Schwarzwald Reloaded 1 und Schwarzwald Reloaded 2, darunter Schwimmende Schneckle, ein Süpple von der Brunnenkresse, Spargelsalat mit Kalbsbries, Schwarzwälder Kirsch und Flauschige Schokolade.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 28 (5/2021)

#heimat, Ausgabe 28 (5/2021)

Menschenskinder, ist das schön bei uns! Wir sind in dieser Ausgabe dann mal weg. Campen in den herrlichsten Ecken des Schwarzwald. Und Kochen in der freien Natur – mit Chefkoch Vincent! Zudem geht’s ins Murgtal, zu den Craft-Cider-Machern nach Unterkirnach und zum Kettensägen-Weltmeister nach Hornberg.

Lecker Essen und Trinken haben wir natürlich auch wieder: Zum Beispiel die ersten Rezepte aus unserem neuen #heimat Backbuch Schwarzwald Reloaded 3. Oder köstliche Drinks mit Obstbränden aus dem Schöllmanns in Offenburg. Ihr wollt noch mehr? Haben wir!

Jetzt bestellen!

Weitere tolle Artikel aus der #heimat

Schwarzwald

Die besten Obstbrand-Cocktails

Obstbrände sind oldschool? Wir treten da mal den Gegenbeweis an. Denn: Willy, Kirschwasser & Co. sind im Cocktailglas der Bringer!
Menschen

Don't call it Moscht!

Von Seattle nach Unterkirnach: Mit den Spezialitäten ihrer Schwarzwälder Cider-Manufaktur zeigen Wendy und Patrick, was aus Mostobst alles werden kann
Reportagen

Der große Campingküchentest

Ein paar Schwarzwälder Freunde haben eine mobile Campingküche entwickelt. Super Idee! Ob das Teil aber auch den Chefkoch-Test besteht…?
Schwarzwald

Schwarzwald Reloaded 3: Jetzt wird's süß!

Rauer Schwarzwald schön und gut – Lisa Rudiger und Ulf Tietge zeigen euch in unserem neuen Backbuch jetzt aber auch die süße Seite der Heimat…
... Reportagen Der neue Dollenberg