Die Eis-Badener

Eisbaden liegt voll im Trend. Aber ist es mehr als eine Mutprobe? Ist es gesund? Und macht das Spass – auch an einem der kältesten Tage des Jahres?

Fotos: Dimitri Dell

Kennt Ihr das? Wenn eine Herausforderung vor Euch steht und Ihr lacht, wie zur Begrüßung? Vielleicht deshalb, weil Ihr sie noch nicht so recht einschätzen könnt. Ich hatte dieses Gefühl heute Morgen um sieben, als ich vor meiner Tasse Tee ein kaltes Glas Wasser getrunken habe. „Kalt?“, lache ich in mich hinein. „Was das heißt, werde ich heute erst noch erfahren.“ Noch ist das alles zwar weit weg, irgendwie unwirklich – gleichzeitig bin ich mir aber schon sicher, dass das Gefühl ein sehr reales wird. Denn Kollegin Franny und ich gehen eisbaden. Nur Dimitri und seine Kamera hoffentlich nicht …

13. Februar 2021, minus 10 Grad

Eine erste Ahnung von kalt habe ich an diesem schönen Februarmorgen aber vielleicht tatsächlich schon bekommen, als ich das Fenster aufgerissen habe. Puhhh, eisig! Wenigstens fühle ich mich aber fit, zumindest nicht weniger als an jedem anderen Samstag um die Uhrzeit. Und das bei um die minus zehn Grad. Bei der Kälte schmiere ich mir ausnahmsweise gerne mal extrazuckrige Nutella-Toastbrote. Unser Eisbade- Experte Calvin hat uns den Tipp gegeben. Denn der Körper verbrennt bei der Kälte, der wir uns aussetzen werden, viel Energie. Schon allein durch das Zittern …

Warum das Ganze?

Calvin und sein Kumpel Roman gehen regelmäßig eisbaden, seit der Schwarzwald diese Saison auf Winter geschaltet hat. Beste Bedingungen haben die beiden: Calvin Dell’Oro wohnt in Hinterzarten, Roman Lorenz in Feldberg, der Weg zum Windgfällweiher ist kurz. An den Kontakt zu den beiden bin ich über Matthias Maier von der Hochschwarzwald Tourismus GmbH gekommen. Zwei Verrückte zu finden, die mit uns ins Eis steigen, war gar nicht so einfach. Aber warum tun sich die beiden das an? „Mir geht es hauptsächlich um die Willenskraft“, sagt Calvin bei unserem Telefonat vorab. „Bei Roman ist es was ganz Ähnliches. Er ist Kraftsportler und muss im Training immer noch ein Stück mehr aus sich herausholen.“ Zusätzlich zur Willenskraft erzählt Calvin noch was von Männlichkeit stärken, bevor er den Hörer auflegt.

 

Die Eisbadgemeinde Windgfällweiher

Ich denke noch ein wenig darüber nach, was Calvin alles erzählt hat. Er und Roman kennen die Videos von Merlin Blumenschein, einem regionalen Eisbader mit professionellen Youtube-Videos von hier am Windgfällweiher. „Ich bin gespannt, ob wir ihm und seinem Kumpel hier auch mal begegnen“, hat Calvin gesagt. Die Eisbade-Szene am Windgfällweiher ist noch klein, aber die Insider suchen Gleichgesinnte. Franny und ich stoßen da erst mal probeweise dazu. Zu abrupt sollte ohnehin niemand den Sprung ins Eisloch wagen, da sind sich alle Quellen einig. Weil ich aber gesund bin und regelmäßig kalt dusche, traue ich meinem Körper dieses Experiment zu. Und Kollegin Franny? Qualifiziert sich durch ihre mehrmalige Teilnahme am Neujahrsschwimmen. „Halb so wild“, meint sie …

13. Februar 2021, minus 18 Grad

Wir treffen uns beim Hotel Köhlerei am See. Eine letzte Chance, sich aufzuwärmen? Das Thermometer zeigt jetzt fast minus 20 Grad! Liegt der Schwarzwald neuerdings in Sibirien? Und was machen wir dann noch hier draußen? Das Hotel scheint geschlossen. Wir haben nur unseren Tee. Und Calvins VW-Bus. Das muss er sein. Jetzt sehen wir unsere zwei Eisbademeister zum ersten Mal: Ein junger Mann mit schulterlangen Haaren schließt den Kofferraum am Bus, einenKopf größer und etwa doppelt so breit steht der andere daneben – ziemlich sicher Roman. Wir geben uns die Faust, Calvin begrüßt uns  und es sprudelt nur so aus ihm heraus: Sie seien gestern schon hier gewesen, heute hätten wir beste Bedingungen, die Eisschicht sei jetzt ganz sicher dick genug … Roman lächelt nur und nickt, er freut sich aufs Eis. Und er muss schmunzeln, als Calvin immer weiterspricht. „Bei ihm hier hättet ihr auch gleich noch einen Extremkurs im Skifahren dazubuchen können“, meint Roman.

Alle fünf gehen wir jetzt erst einmal in dicker Winterjacke, mit Handschuhen und Kappen Richtung See. Die Oberfläche glitzert uns entgegen, noch bevor wir über die Straße kommen, die dicht am See entlangführt. „Bestes Badewetter“, murmle ich noch und schon stehen wir auf dem Windgfällweiher. Die Oberfläche des Sees voller weißer Kristalle. Wo sie weggekratzt sind, strahlt das Eis spiegelglatt. „Hier vorne ist noch unser Loch“, sagt Calvin. Diese Stelle scheint erst wieder halb zugefroren zu sein. Hier sei er mit seiner Schwester die Tage zuvor mal gewesen. Als er näher rangeht, knarrt es ein wenig, aber: „Das Eis hält!“, sagt Calvin. Er nimmt sein Beil und haut auf neu vereiste Kanten des Rechtecks. Er schlägt kleine Löcher hinein, bis das Wasser spritzt, aber die Decke ist immer noch so fest, dass er sich nur Stück für Stück vorarbeiten kann. Plötzlich hört er auf. „Wir machen sowieso ein neues, größeres Loch.“ Er erklärt: „Aber wieder so nah am Ufer, dass wir noch stehen können.“ Klingt gut. Also schlägt er aufs Neue zu, holt immer wieder aus, bis das Wasser spritzt, und weiter, bis genug Platz ist für unsere Poolparty zu viert.

Franny spaziert währenddessen auf dem Eis auf und ab und hält das Gesicht noch ein wenig in die Sonne, während sie den Vorbereitungen unserer beiden Guides zuschaut. Dimitri checkt die  besten Kamerapositionen. Was wir dann hören, ist ein paar Schnappschüsse wert: Calvin knallt einen Eisbrocken auf den Boden, den er vom Rand unseres neuen Eislochs abgeklopft hat. Gut zehn Zentimeter misst der. „Und weiter weg vom Rand wird es noch dicker.“ Das Loch ist geschlagen.

In Badehose

Im VW-Bus können wir uns jetzt umziehen. Wir gehen der Reihe nach rein, während sich die anderen mit Tee wärmen. Franny kommt mit Bademantel, Mütze und Lächeln aus ihrem Auto, ich lege meine übrigen Klamotten in den Kofferraum und spaziere los in Badehose, Fellmütze und Winterschuhen. Bademantel? Ach was, wir gehen doch gleich ins Wasser … Da habe ich die Rechnung aber ohne Calvin gemacht. Er will auf dem Eis erst noch in aller  Ruhe Atemübungen mit uns machen. Ich zittere schon, als wir es betreten. Die anderen unterhalten sich noch und lachen. Als ich merke, dass das eine längere Geschichte wird, renne ich noch einmal hoch und hole mir meinen Pulli. Ich komme zurück, Franny steht mit verschränkten Armen da, die anderen beiden sitzen schon auf ihren Handtüchern. Wirklich? „Wir legen uns hin und atmen“, sagt Calvin. Ich zittere schon beim Hinsitzen – das große Zittern komme eigentlich erst nach dem Wasser, hatte mir Calvin gesagt … Am Boden liegend bibbere ich mir die Konzentration für die Atemübungen aber jetzt schon weg. Die Luft bläst an den Beinen. Ich decke sie mit dem Handtuch zu, an das sich meine steifen Finger krallen. „Fertig“ – für viel mehr bekomme ich meine Zähne nicht mehr auseinander. Ich weiß gar nicht, wie die anderen noch so gut sprechen können!

Die Kälte ist so verdammt still!

Ich schiebe gerade einen ganz anderen Film, und der geht so: Winter ist so verdammt still. Und die Kälte ist so still, dass es in den Ohren wehtut. So dicht am Eisloch wird dieses ruhige Rauschen aber so laut, dass ich nichts mehr vomDrumherum höre. Und auch der Blick ist schon längst im Tunnel. Eigentlich ist es so: Ich höre und sehe alles, und zwar klar, bewusst wahrnehmen tue ich aber nur noch zwei Dinge: Das Loch im Eis und den Weg dorthin. „Fokus!“, würden die Motivationsprediger in ihren beheizten Büros sagen. Ich spüre nur: schnell, aber ruhig zum Wasser!

Roman geht aufs Eisloch zu, Calvin hinterher. Roman gleitet schon rein, Calvin redet immer noch. Letzte Tipps: „Ruhig atmen“ – machen wir ja! Er geht hinein, ohne das Gesicht zu verziehen. Die Konzentration aber in den Augen. Ich trabe langsam hinterher. Badeschlappen raus und ans Wasser. Erster Kontakt am Fuß. Jetzt sitze ich aufs Eis, meine Beine baumeln rein. Die Kälte zieht an ihnen und ich gehe mit, bis ich mit der Brust im Wasser bin. Weiter bis zum Hals. Stille. Oder übertönt einfach nur mein Atem alles? Der pumpt sich seinen Weg bis tief in den Bauch. „Komm rein, Franny“, atmet meine Kühlschrankstimme. Sie ist schon auf dem Weg, sitzt ab, wedelt mit den kalten Händen und zögert am Rand. Roman und Calvin reden mit ihr, ich atme. Ich mache ihr Platz, drehe mich um und sie stützt sich mit den Armen ab, lässt sich bis zum Bauch rein – und zieht sich dann doch wieder hoch: „Ich kann nicht atmen! Mir reicht’s bis hier.“

Alles gut. Ich will noch ein paar Sekunden bleiben. Der Körper fühlt sich hier an, wie unter einem seltsamen Druck. Schmerz ist das nicht, das Ziehen ist anders. Es ist intensiv, aber mit dem Erschrecken unter der Dusche hat es rein gar nichts zu tun. Mein Zittern wird jetzt stärker. Aus Zittern wird Schlottern, meine Knie wackeln und ich weiß: „Jetzt muss ich auch raus.“ Ich gehe hoch, strecke mich mit steifen Gliedern, schnappe mein Handtuch, beginne mich abzutrocknen und stiefle Richtung Standheizung auf Rädern. Der Körper fühlt sich so rot an, wie er wahrscheinlich gerade ist, und Franny legt sich trotzdem noch schnell mal in den Schnee und macht einen Engel …

Das grosse Zittern danach

Alles ist jetzt eingefroren. Die Füße, die Beine, die Hände. Jetzt zittern wir so richtig. Mit welchen Händen soll ich meine Hose greifen? Irgendwie zittere ich sie hoch. Kräfte sammeln fürs nächste Kleidungsstück. Und wo sind eigentlich meine Füße? Nach einer Viertelstunde sitzen wir oben im beheizten Bus und trinken Tee, so gut es ohne Verzittern geht. Hände und Füße sind noch wie weggefroren. Wir lachen viel und klappern mit den Zähnen. High off Ice! Erst jetzt nach dem Umziehen im VW Bus zeigen mir Calvin und Roman ihre Kälteverbrennungen an den Knöcheln. Es sind Erfrierungen von einem ihrer Badeausflüge durch eineinhalb Meter hohen Schnee und brüchiges Eis. Wären wir mitgegangen, wenn wir das vorher gesehen hätten? Ich weiß es nicht, aber zum Glück haben wir es heute auf direkterem Weg und ohne einzubrechen geschafft – der Kälte sei Dank. Zwei Stunden nach dem Bad lasse ich trotzdem gern ein Stück Kälte in Dimitris Auto abfallen und freue mich auf eine heiße Suppe daheim: Als ich aufstehe, spüre ich auch meine Füße wieder, das Blut strömt zurück. Gott sei Dank!

Alle Mann dem Iceman nach!

Wer eisbaden will, kommt an einem nicht vorbei: Wim Hof. Seit dem „Iceman“ aus den Niederlanden ist Eisbaden der große Trend bei den Gesundheitsfanatikern mit Hang zum Extremen. Während Kritiker an der Wirksamkeit seiner Methode zweifeln, wollen wissenschaftliche Studien der niederländischen Radboud Universität Belege für den Einfluss auf das vormals „autonome“ Nervensystem gefunden haben. Sind sie die Erklärung für Wim Hofs Weltrekorde? Weltweit folgen ihm jedenfalls Abertausende und versprechen sich von seinem Programm aus Atemübungen, Kälte und Meditation Effekte aufs Immunsystem.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 30 (1/2022)

In unseren neuen Ausgabe #heimat springen wir für Euch als Eis-Badener ins eiskalte Wasser, stapfen langsam auf Schneeschuhen durch die Natur und starten mit Rüben statt Rindern vegetarisch ins Jahr. Dazu lernt Ihr unseren Masked Schnitzer Simon Stiegeler und Freiburgs Breakdance-Queen Naomi Karfich kennen. #heimat-Herz, was willst Du mehr?

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