Badisches Schätzle: Ein Wochenende in Gengenbach

Alt, authentisch, vielseitig: Die ehemalige freie Reichsstadt Gengenbach im Kinzigtal ist immer einen Besuch wert!

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Vom schönen Gengenbach muss man mir nix erzählen. Vor Jahren bin ich in einem Sommer 20-mal in die ehemalige Freie Reichsstadt geradelt, nur wegen dem Klostergarten. Vielleicht auch um ein Eis zu schlecken und etwas zu schnabulieren. Die Bewohner Offenburgs (zu denen ich gehöre) müssten täglich in die Kissen heulen, wüssten sie von Gengenbachs kulinarischer Vielfalt. Das hat seine Gründe: Tausende von Touristen kommen hungrig. Schöner Nebeneffekt: Die Einheimischen kommen auch auf ihre Kosten.

Freitag, 17:00 Uhr

„Pascal, nicht nur immer ans Essen denken“, mahnte mich Chefredakteur Stephan. Diese bittere Ansage musste ich erst mal verdauen und zwar mit einer Pizza in der relativ neuen Pizzeria Cuore di Puglia. Das Herz Apuliens hat das volle Programm Süditaliens und ein paar leere Tische in der Sonne. Gut so! Eine Pizza Puttanesca soll es sein, als Pasta mag ich die würzige Puttanesco ja auch. Sie ist fast so gut wie in Italien. Gerne würde ich mehr dazu schreiben, aber der Patron kann eigentlich nur italienisch. Die Badener versteh ich auch nicht immer, warum also die Italiener? Nebenan sitzt ein in die Jahre gekommener Stenz vorm Antiquitätenladen mit einem Glas Wein in der Hand. Wein wäre gut, darum auf zu den Wilds!

Das Weingut Wild ist eine der angesagten Adressen in Sachen Wein aus Gengenbach. Die Familie Wild ist schon seit 1855 im Thema, aber seit die drei Söhne dran sind, wird am ganz großen Rad gedreht. In der Brennerei powert gerade die Destillieranlage. Hier entstehen Kirschwasser, Gin und Rum. Manuel Wild (Jungwinzer des Jahres 2021) kümmert sich um den Wein, Maximilian ist der Brenner. Der jüngste Bruder, Lukas, lässt – ganz Marketingstratege – ein Fass für sich sprechen. Was ist das? Es ist Whiskey, werde ich aufgeklärt. Da wäre ich nie draufgekommen. „Aber er ist auch untypisch“, verrät er mir. Die fruchtigen Noten sind gewollt. Was würde der Schotte sagen? Vielleicht gar nichts und lieber einen Rosé trinken, der sehr süffig ist und gute Chancen hat, zum Hauswein der kommenden Sommersaison zu werden. Auf der chilligen Terrasse kann man es aushalten. „Unsere Weinberge, unser Wald, unser Streuobst“, erklärt mir Lukas das Panorama. Nach einem Schluck Edelpremiumbrand muss ich husten. Ich vertrag’ keine harten Sachen, auch dann nicht, wenn heimische Kräuter drin sind. Stephan hätte mich davor warnen sollen und nicht vor dem Essen!

Samstag, 9:00 Uhr

Ein neuer Tag in Gengenbach ist wie ein Ankommen in einer anderen Welt. Das hatte wohl auch schon Hollywood-Regisseur Tim Burton gedacht, als er hier ein paar Minuten Film für „Charlie und die Schokoladenfabrik“ drehte. Das Städtchen kennt innerhalb der Stadtmauern keine Bausünden (Vergleichbares sieht man erst wieder im Markgräflerland oder im Elsass). Der Niggelturm wacht über der Stadt und der Ritter steht wie eh und je und hält etwas in der Hand. Ich tippe auf eine Wein- oder Speisekarte. Von allen Seiten strömen Leute Richtung Markt, wo ich mich für ein Picknick eindecke. Das Brot für den Landjäger kaufe ich in der Klostermühle. Ein ganzes Gengenbacher ist nicht verkehrt. „Ha ja, das muss schon sein“, lacht Verkäufer Johannes Schmitz. Das Holzofenbrot ist biss- und charakterfest und hält ewig. Ich kriege sogar ein paar Scheiben geschnitten.

Mit Stadtführerin Ursula Maurer habe ich das große Los gezogen. Sie weiß alles, zum Beispiel, warum die Uhr auf dem Turm am Kinzigtor Kartoffeluhr heißt (sie wurde aus dem Gewinn des Kartoffelanbaus finanziert) oder was der Ritter in der Hand hält. Es ist keine Weinkarte, sondern die Stadturkunde. Wir spazieren durch die Engelgasse. In der engen Gasse hat es Blumen, Weinranken, abgelaufene Staffeln, große Tore, wo früher Werkstätten waren, und Kinder, die Ball spielen. Manche der Fachwerkhäuschen berühren sich fast in den oberen Stockwerken. An einigen Hauswänden stehen die Jahreszahlen des Stadtbrands und des Wiederaufbaus. Irgendwo hat jemand die Plakette Chill Zone angebracht. An der ehemaligen Postexpedition stoßen wir auf die Hauptstraße, wo statt Postkutschen E-Bikes vorbeirollen und Leute mit einem Eis in der Hand schlendern.

Samstag, 14:00 Uhr

Jetzt ist Zeit für einen Trip auf die Moos. Beim Radhändler Laufrad werde ich ins E-Bike eingewiesen. Da der Hausberg der Ortenau näher liegt als es ausschaut, könnte ich auch bequem auf höchster Stufe hinpesen. Trotzdem komme ich ins Schwitzen, so ein E-Motor macht auch nicht alles. Das Obere Tor liegt bald hinter uns und vor uns öffnet sich eine heile Welt mit Kuhwiesen, Wald, Schwarzwaldhäusern – und einem gigantischen Buckel vor uns, den ich vom Rodeln gut kenne. Beim Naturfreundehaus Kornebene (am Wochenende Kaffee und Kuchen, Bier und Vesper) raste ich, das Lothardenkmal ist dann bald erreicht.

Das vom Gengenbacher Künstler Norbert Feger geschaffende Denkmal erinnert an den großen Plattmacher, den Orkan Lothar von 1999. Trotzdem es ein bisschen frisch ist, ist es ein Tag wie bestellt. Nach Süden reiht sich eine Bergkette nach der anderen und ich surfe solange mit den Augen auf den blauen Linien, bis mich der Hunger einholt. So ein Landjäger hält halt auch nicht ewig. In der Abendsonne rase ich talwärts.

Samstag, 19:00 Uhr

Die Brasserie Cocotte ist immer noch im Testmodus, kommt aber bald auch offiziell an den Start. Innen ist es eine Mischung aus altem Gemäuer und stylischen Regalen, ultracoolen Schwarzwalduhren, raffinierten Beleuchtungen, massiven Holztischen und eleganten Bartischen. Der Service wuselt emsig und effektiv und schon habe ich mein Export vor mir. Herrlich!

Die Cocotte ist ein Ableger der Reichsstadt und teilt sich mit dieser die Produkte (aber einfacher zubereitet) und auch kulinarische Specials, wie z. B. ein Chili-Gel, um die Speisen zu tunen. Die Weinkarte mit fast 20 offenen Weinen ist vorbildlich. Welche Brasserie kann da mithalten? Ich ergötze mich an zwei Vorspeisen – Ceviche mit Lachs, Pulpo auf Bratkartoffeln – und singe Halleluja. Der Lachs hat eine angenehme Schärfe, aber auch einen hinreißenden Hauch von Zitrone, der Pulpo hat so viel Festigkeit wie nötig. Als Wein wird mir ein Weißer aus Cleebourg im Elsass empfohlen. Passt.

Sonntag, 10:00 Uhr

Wenn ich hätte wollen, dann hätte ich auch schon um 8 Uhr mein Milchhörnchen in den Cappuccino stippen können. Aber es ist Sonntag und ich lasse es im Café Honig gemütlich angehen. Das Hörnchen ist genauso alte Schule wie Mohnkuchen und Gedeckter Apfelkuchen in der Glasvitrine. Von der altehrwürdigen Kaffeehauskultur wechsle ich zur Museumskultur gegenüber. Das Museum Löwenberg hat einen der originellsten Museumsshops weit und breit und einen heißen Draht zum Museum Frieder Burda, zu National Geographic und zu Leuten wie dem Puppenspieler Andreas Kurrus. Ihm verdankt das Museum die historischen Marionetten.

Zufälligerweise ist er da und erzählt, dass man drei Jahre lernen muss, um eine Marionette richtig bewegen zu können. Ich darf es versuchen. Wäre die Puppe ein Mensch, sie hätte sich alle Knochen gebrochen. Seufz. Dafür vermittelt mir die Kugelbahn Erfolgserlebnisse. Im ersten Stock fühle ich mich dank der Ausstellung Magie des Mondes wie der Mann im Mond. Hier entdecke ich Astronauten, alte Zeitungsberichte von Mondlandungen und sogar das Horoskop von Christian Streich. Experten könnten damit den Wechsel zum DFB errechnen. Für Selfies bietet sich eine große Installation mit der Erde im Rücken an. Und siehe da: Nicht nur die Chinesische Mauer ist vom Mond zu sehen, sondern auch der Niggelturm.

Diesen habe ich auch auf meinem Spaziergang aufs Bergle vor Augen. Aber Gengenbach hat ja noch viele andere Türme, bestimmt sind es um die 100. Aber der Niggelturm, den ich warum auch immer nicht bestiegen habe, ist der schönste von allen. Ich tippe auf eine umgebaute Mondrakete. Aber warum auf den Mond oder zum Mars fliegen? Wer in Gengenbach lebt, will nimmer mehr weg.

Gengenbach

Die Wurzeln der ehemaligen Freien Reichsstadt (11 000 Einwohner) gehen zurück bis zu den Römern. Das Stadtbild mit Stadtmauer, zwei Toren und drei Türmen stammt aus dem Barockzeitalter. Gengenbach betreibt seit 1000 Jahren Weinbau, prägend für die Stadt waren die Benediktiner Mönche. Dank seines pittoresken Stadtbilds zieht es pro Jahr eine Million Gäste und Touristen an. Als Schauplatz für Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005) war es weltweit zu sehen – allerdings als Düsseldorf.

www.stadt-gengenbach.de

Weitere Tipps

Hotels

Salz & Pfeffer (Mattenhofweg 3): Weinhotel mit Restaurant, Fasssauna und eigenem Weingut (Simon Huber).

Roserhof (Einachstraße 15): Sympathische Gastgeber, die im Sommer ein Datschkuchenessen anbieten.

Cafés

Café Honig (Hauptstraße 12): Klassisches Café mit feinen Kuchen.

Café Birnbräuer (Leutkirchstraße 2): Das Epizentrum der Pralinen, hier ist es!

Restaurants

Cocotte (Victor-Kretz-Straße 21): Ambitionierte Brasserie, die zum Fine-Dining-Hotel-Restaurant Reichsstadt gehört.

Frederix (Grabenstraße 34): Das Restaurant zum Hotel-Restaurant Hirsch bietet Châteaubriand und mehr.

Mercyscher Hof (Mercyscher Hof 6): Gengenbachs schönster Biergarten bietet Klassiker vom Käsesalat bis Cordon bleu.

Cuore di Puglia (Hauptstraße 4): Nix capito, aber feine apulische Küche.

Museen

Haus Löwenberg (Hauptstraße 13): Kunst als Erlebnis, super Museumsshop.

Wein

Brennerei Wild (Streuobstgarten 1): Schöner Trinken geht hier immer.

Freizeit

Schneckenmatt (An der Schneckenmatt): Schöne Wiese, Schatten, Minigolf, Eis …

Lothardenkmal (Siedigkopf, Moos): Imposantes Denkmal, herrlicher Ausblick.

Laufrad (Berghauptener Straße 7): Die Adresse fürs (E-)Radmieten.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 32 (3/2022)

Der Schwarzwald hilft den Menschen aus den Ukraine und wir erzählen davon. Denn wir finden: Heimat ist ein Menschenrecht. Punkt. Und: Auch klar, dass wir in dieser Ausgabe noch viel mehr Themen haben, die es zu entdecken gilt: von den Tortora-Brüdern und ihrer Pizza La Foresta Nera bis zu Badens neuem Weingärtner.

Weitere tolle Artikel aus der #heimat

Reportagen

Ukraine-Hilfe aus dem Schwarzwald

Der Krieg in der Ukraine hat uns alle erschüttert. Wer hierzulande helfen will, kriegt seine Chance – z. B. bei diesen starken Hilfsaktionen
Reportagen

Fürs Lernen brennen: Ein Besuch in der Brennerschule

Hochprozentig hirnen! Mathe, Gesetze und Obstbau – was man halt so macht in der Brennerschule des Ortenaukreises… 
Menschen

Das Feuer der Tortora Brothers

Wild auf Pizza? Exklusiv für uns haben die Tortoras aus dem kultigen Mammalina neue Rezepte entwickelt: voller Amore für den Foresta Nera
Reportagen

Auf Crosswander-Tour im Albtal

Und Action: Deutschlands erste Crosswander-Tour führt durch das Albtal. Wir haben uns gemeinsam mit Parkour-Sportler Andy Haug auf den Weg gemacht…
... Schwarzwald Badisches Schätzle: Ein Wochenende in Gengenbach