Sattgrün trifft aschfahl
Der Variometer piept entspannt vor sich hin, wir haben eine Höhe von rund 2100 Metern erreicht. „Jetzt geht’s Richtung Schweiz“, freut sich Matthias. Ich kann mich gar nicht sattsehen an der ganzen Schönheit. Der Himmel strahlt in einem geradezu unverschämten Blau, das am Horizont in einen zarten Fliederton wechselt. Die Dörfer und Städte haben eine Puppigkeit, wie man sie nur von Modelleisenbahnlandschaften kennt. Selbst das Freiburger Münster und die Sprungschanze von Hinterzarten sehen irgendwie niedlich aus. Das tiefe, satte Grün der Wälder scheint fast zu vibrieren. Ich muss schlucken, so schön ist das. „Sentimentale Heulsuse“, schimpfe ich mich und packe mein Handy aus, um ein paar Bilder zu machen.
Mein Gleichgewichtsorgan findet das gar nicht lustig und die Butterbrezel vom Mittag beschließt, dass sie partout nicht mehr mitfliegen will. Ich schicke ein hastiges Dankgebet an Heike und halte mir eine Tüte vors Gesicht. „Na, wie geht’s?“, fragt Matthias mitfühlend, nachdem mein Röcheln verebbt ist. „Geht.“ Das passiere auch erfahrenen Leuten schon mal, erklärt er mir, das hänge mit dem Wechsel aus Nah- und Fernsehen zusammen. Und ich sehe einmal mehr ein: Übermut kommt vor dem Fall …
„Ein bisschen Höhe könnten wir noch brauchen“, sagt Matthias und zeigt auf eine Wolke vor uns: „Da könnten wir Glück haben. Sie ist unten leicht fransig und auf dem Gelände darunter siehst du die Sonnenflecken.“ Wolkenmuss man lesen können, lerne ich. „Beim Segelfliegen kannst du auch die Luft spüren, die dich trägt“, erzählt er. Stimmt, es fühlt sich an, als würde uns eine riesige, unsichtbare Hand behutsam nach oben heben und weiter schieben. Mein Magen hat sich wieder beruhigt. Ich genieße den Flug und starre staunend auf eine Bergkette. „Das ist das Schweizer Jura und die Alpen. Dabei sind wir gerade mal eine Dreiviertelstunde unterwegs.“
Mehr Frauen, bitte!
Während wir uns auf den Rückweg machen, erzählt mir Matthias ein bisschen was über den Verein: „Es gibt ihn seit 1970 und wir haben nicht nur Segel-, sondern auch Motorflugbetrieb.“ Elf Segelfl ugzeuge und Motorsegler sowie sechs Motorflugzeuge umfasst der Flugzeugpark. Etwa 340 Mitglieder gehören dazu, dass von den rund 160 Aktiven nur wenige weiblich seien, findet er schade. „Da könnte sich mehr tun.“ Dass Fliegen viel mit Technik, Physik und Meteorologie zu tun habe und das vielleicht abschrecke, lässt er nicht gelten: „Frauen können das genauso!“ Und wer einfach nur mal reinschnuppern und mitfliegen wolle, sei herzlich willkommen. „Alles Weitere findet sich“, sagt er noch schnell und setzt zur Landung an. Wäre es nicht so unsagbar albern: Ich würde klatschen. Kein Schlagen, kein Ruckeln – sanft setzt Matthias die Maschine auf und kommt exakt (!) an unserem Ausgangspunkt zum Stehen. Weltmeisterlich halt.
„Und? Wie war’s?“, wollen die Umstehenden wissen, während ich mich aus dem Arcus schäle. „Einfach Wahnsinn! Toll! Ich könnt’ glatt noch mal!“, sage ich und schlucke meine Rührung runter. Mein Traum ist in Erfüllung gegangen. Und er war noch viel schöner als gedacht. Okay, den kleinen Schönheitsfehler lasse ich mal außen vor. „Hier“, Heike strahlt mich an und drückt mir ein Glas eiskalten Rosé in die Hand: „Für unsere Erstfliegerin – willkommen im Club!“