Die spinnen, die Badener

Wenn Sasbachwalden seinen Wein feiert, ist Josef Decker nicht weit: Der Winzer hat als römischer Weingott Bacchus die Rolle seine Lebens gefunden. 

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Warum Bacchus? Warum nicht, möchte man sagen, schließlich gibt es Weinköniginnen und Weinprinzessinnen wie Sand am Meer, aber keinen Weingott. Im Schwarzwald mangelt es nicht an jungen, bezaubernden und klugen Frauen mit Weinverstand. Und Männer? Es gibt viele schlaue und sympathische Winzer, aber nirgends einen Weinkönig und erst recht keinen Bacchus. 

75 Jahre Weinfest in Saschwalle

Es war nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Menschen von germanischen Göttern samt Welteroberung die Nase voll hatten. Warum nicht das schöne Leben genießen! Man feierte wieder Weinfeste und im Fachwerkdorf Sasbachwalden wurde nicht nur das Weinfest neu erfunden, sondern aus der Schar der Rebmänner ein Bacchus erkoren. Das war vor 75 Jahren. Jetzt im Herbst steht das Jubiläum an.

Warum Bacchus? Warum nicht, möchte man sagen, denn waren es nicht die Römer, die den Weinbau mitbrachten, vielleicht um die Einheimischen zu besänftigen? Da das Klima mitspielte, gibt es bis heute Wein. Allerdings sind die Rebsorten andere und der Wein muss auch nicht mehr gewürzt werden, höchstens mal mit Sprudel verdünnt. Die Qualität ist wohl etwas besser als damals. 

In alten Tagen war Bacchus, auch Dionysos genannt, eine wichtige Gottheit. Sein Vater war Zeus, aber über seine Mutter herrscht Unklarheit. Nur so viel: Sie war ein Mensch, er ein Gott. Bacchus trug Tiger- oder Panterfell, und wenn er trank, dann aus einem sehr großen Kelch. Großer Mann = großer Durst. Als zuerst die römischen Götter und dann die Römer aus der Weltgeschichte verschwanden, blieb er in guter Erinnerung. Warum? Er war der Sorgenbrecher. Egal ob Klöster, Adel, Bauern, alle kultivierten sie den guten Rebensaft.

Ein Arbeiter im Weinberg

Da bis heute keine Tiger oder Panter im Schwarzwald leben und somit kein Fell da war, wurde in der damaligen Nähschule ein Gewand gefertigt. Es ist burgunderrot und hat goldene Stickereien, die Trauben zeigen. Die Farbe zeugte von Weitsicht, denn der amtierende Bacchus, Josef Decker, 68, trinkt am liebsten Spätburgunder Rotwein. Aber Josef Decker mag auch Müller-Thurgau, Riesling oder einen trockenen Rosé, und wenn im Sommer grad keiner vorhanden, einen Spätburgunder mit Eiswürfel („Kann man auch machen“) und im Schnitt pro Tag eine Flasche Wein.

Allerdings ist dieser Bacchus nicht von der Sorte, dass man ihn besäuselt auf einer Sänfte über die Weinberge tragen muss. „Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, ist er schon fort“, sagt Bacchus’ Tochter Vanessa. „Und wenn ich abends heimkomm, ist er immer noch im Weinberg.“ Dass Bacchus die Arbeit erfunden hat, steht in keiner antiken Sage geschrieben. 

Warum schafft unser Bacchus aber wie ä Brunnebutzer? Das liegt an der Heimat. Josef Decker stammt aus einer kinderreichen Familie  mit Landwirtschaft. Von der Stammburg auf dem Murberg gibt es einen tollen Ausblick über die Reben. Wäre ein Leben ohne Wein möglich gewesen? Nein, sagt der brave Mann. Hätte er woanders hingewollt? Nein, nie, sagt er. Schon über dem Berg wäre eine andere Mentalität. Nirgends ist es so schön wie in Saschwalle.

Ein Bacchus wird bestimmt!

Natürlich war er nicht immer Bacchus. Josef lernte Metzger, war Busfahrer („bis ans Nordkap, ohne Navi!“) und dann in der Autoindustrie. Er arbeitete im Weinkeller und weiß auch ohne Ausbildung, wie’s geht. Josefs Vorgänger Karlheinz Bohnert war’s, der den Decker Josef zum Nachfolger machte. „Ein Bacchus wird bestimmt!“ Das war vor 30 Jahren. Aber was macht ein Bacchus? Zusammen mit der Bürgermeisterin Sonja Schuchter sieht man ihn auf Festen und Empfängen, er ist beim Umzug im Herbst eine feste Größe und auf den Weinfesten der anderen vier Weinorte der Alde Gott Winzer (Obersasbach, Lauf, Neusatz, Oberachern) ist er auch dabei.  Natürlich! Auf Treffen mit Deutschlands anderen Weingöttern und -Hoheiten verzichtet er. 

Lieber bleibt er dort, wo’s am schönsten ist. Das ist in Sasbachwalden, mitten in der Nationalparkregion Schwarzwald. Dort sieht man ihn wie einen jungen Gott in den Steillagen beim Rebschnitt. In Dorf kennen ihn alle. Salli Seppl, rufen sie und hätten es wohl gerne, wenn er mit ihnen eine Flasche Wein pfetzt. Wenn ihn wildfremde Leute, Touristen sind’s wohl, auf der Weitblick-Terrasse der Alde Gott Genusswelt entdecken, dann heißt es bitte lächeln. Wer nach dem Selfie höflich fragt, darf auch mal den 5-Liter-Kelch ansetzen. „Da kann man schon zweimal trinken.“

Feiern mit Bacchus

Von Freitag, 4., bis Sonntag, 6. Oktober 2024 findet in Sasbachwalden wieder das Erntedank- und Weinfest statt. Weitere Informationen findet Ihr hier

#heimat Schwarzwald Ausgabe 46 (5/2024)

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